Krieg & Frieden

Naomi Klein:

Der Krieg gegen den Terrorismus wird nicht nur mit Bomben und "Mannszeug" gewonnen

Folgender Beitrag wurde von der kanadischen konzernkritischen Autorin Naomi Klein am 29.10.2001 verfasst und in der dänischen linken Tageszeitung "Information" auf dänisch veröffentlicht.

Echte Sicherheit kann nicht durch größere Geldbewilligungen an Polizei und Verteidigung erreicht werden, sondern nur durch einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst.

Es waren nicht wenige Stunden nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, als Curt Weldon - einer der herausragenden Miglieder der Republikaner im Repräsentanhaus - in CNN auftrat und verkündete, er hätte ab jetzt keine Lust mehr, sich Klagen darüber anzuhören, dass zu wenig öffentliche Gelder für Krankenhäuser und Schulen ausgegeben werden. Ab jetzt ging es nur noch um "Spione, Bomben und ähnliches Mannszeug." Die wichtigste politische Aufgabe der USA zur Zeit ist weder Bildung noch Gesundheit, sondern der Schutz der Bürger der USA", sagte er und fügte hinzu: "Ich bin selbst Lehrer und mit einer Krankenschwester verheiratet. Aber all das hat heute überhaupt keine Bedeutung." Nun zeigt es sich in der Zwischenzeit, dass diese uninteressanten öffentlichen Ausgaben überaus wichtig sind. Denn das, was die USA angreifbar für terroristische Anschläge macht, ist nämlich nicht ein veralteter Militärapparat, sondern ganz im Gegenteil der eigene ausgehungerte, missachtete und verkümmerte öffentliche Dienst. Das neue Schlachtfeld ist nicht bloss das Pentagon, sondern auch die amerikanischen Postämter; dieser Kampf erfordert nicht nur eine verbesserte Ausbildung der Geheimdienste, sondern auch mehr Ausbildung von Ärzten und Krankenschwestern, dieser Kampf gegen Terror verlangt nicht bloß nach einer neuen und verbesserten Raktenabwehr, sondern auch nach der alten und schwerfälligen FDA-Food and Drug Administration (die Lebensmittel-und Arzneimittelbehörde, die Red.).

Es ist in Mode gekommen, anzumerken, als wäre es der allerneueste Geistesblitz, dass die Terroristen dazu übergegangen sind, die Technologie und Waffentechnik des Westens gegen eben jenen Westen selbst zu richten: Flugzeuge, E-mails, Handys etc. Aber genauso, wie die Angst vor Bioterrorismus neue Formen annimmt, kann es sich sehr schnell erweisen, dass die besten Waffen der Terroristen die Risse, Löcher und Mängel in der öffentlichen Infrastruktur der USA sind.

Die wirkliche Terrorbedrohung

Liegt es daran, dass der öffentliche Sektor nicht genug Zeit hatte, sich gegen diese Angriffe zu rüsten. Wohl kaum. Die amerikanische Regierung hat seit dem Golfkrieg erkannt, dass die Gefahr bioterroristischer Angriffe real ist, und nach den Botschaftsbombardierungen 1998 forderte Bill Clinton nochmals dazu auf, neue Verhaltensregeln aufzustellen, um die Nation gegen Bioterror zu schützen. Dennoch ist es schockierend zu sehen, wie weng in dieser Beziehung getan wurde.

Der Grund dafür liegt auf der Hand. Eine effektive Verteidung gegen die biologische Kriegsführung aufzubauen würde nämlich einen Waffenstillstand im viele Jahre älteren, aber nicht weniger dramatischen Krieg der USA verlangen: Dem Krieg gegen den öffentlichen Dienst. Es kommt nicht in Frage, hier Schuldeingeständnisse zu machen. Hier sind einige Augenblickseindrücke von dieser Front:

Gesundheitssystem

Hier fehlt es sowohl an Forschung als auch an der Entwicklung von Impfstoffen. Die Hälfte der Bundesstaaten der USA haben keine Experten, die in der Abwehr von Bioterrorismus geschult sind. Die Zentren für Seuchenkontrolle- und Vorbeugung sind dabei, unter der Last von Milzbrandalarmen zu ersticken und ihre finanziell völlig unterentwickelten Laboratorienkämpfe einen fast aussichstlosen Kampf, um die nötigen Tests im erforderlichen Tempo durchzuführen.

Was Pocken angeht, ist der Vorrat an Impfstoff weit davon entfernt, für die Gesamtbevölkerung auszureichen, was das nationale Institut der USA für Allergien und ansteckbare Krankheiten dazu veranlasst hat, zweifelhafte Experimente durchzuführen; wie z.B. die Verdünnung der existierenden Impfstoffe ins Verhältnis 1 zu 5 oder sogar 1 zu 10.

Wasserversorgung

Interne Dokumente zeigen auf, dass die Umweltschutzagentur der USA, EPA, mehrere Jahre im Hintertreffen ist, was den Schutz der Wasserversorgung gegen bioterroristische Angriffe angeht. Gemäss einem geheimgehaltenen Papier vom 4.10. hatte die EPA die Aufgabe alle Sicherheitslücken in den kommunalen Wasserversorgungen ausfindig zu machen, und zwar spätestens bis Ende 1999. Jedoch ist die erste Phase dieser Untersuchungsreihe bis heute nicht zu Ende gebracht.

Lebensmittelsektor

Eine andere bundesstaatliche Agentur, die Lebens- und Arzneimittelbehörde,,hat sich außerstande erwiesen, Vorkehrungen zu treffen, die den Lebensmittelsektor ausreichend gegen so genannten "Agroterrorismus" schützen können, d.h. die Verbreitung tödlicher Bakterien in Nahrungsmitteln. Aufgrund der beständig zentralisierter und globalisierter werdenden Landwirtschaft, ist der Lebensmittelmarkt anfälliger gegenüber Krankheiten geworden, sowohl in den USA als auch anderswo (wie die Maul- und Klauenseucheepidemie und die BSE-Krise gezeigt haben).

Aber die Food and Drug Administration, die letztes Jahr nur ein Prozent der US-amerikanischen Lebensmittel inspizierte, beklagte sich darüber, dass die Agentur "verzweifelt der Anstellung von mehr Inspekteuren bedarf." Tom Hammonds, der Chef des Food Marketing Insituts (die CMA der USA, sg) erklärte, dass "falls eine Krise entstehe, die ernsten Mängel des jetztigen Lebensmittelkontrollsytems für jeden offensichtlich seien."

Innere Sicherheit

Nach dem 11.September wurde von George Bush ein neues Aufgabengebiet in den Ministerien geschaffen, innere Sicherheit, um das Bild einer eisenharten Nation zu vermitteln, die sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt und jedem Angriff widerstehen kann. Jedoch zeigt es sich jetzt, dass das neue Amt nur dafür geschaffen wurde, um die fundamentalen Misstände der öffentlichen Infrastruktur zu beheben und die Standards in Sicherheits- und Gesundheitswesen wieder geltend zu machen,um die Mängel ,die in den jetzten Jahren aufgrund von Ignoranz gegenüber diesen Standards entstanden sind, wiedergutzumachen.

Die Truppen an der Heimatfront im neuen Krieg der USA - was die selben Ressorts sind, die in den letzten Jahrzehnten zusammengestrichen und privatisiert wurden - sind in Wirklichkeit hart bedrängt. "Die Volksgesundheit ist ein nationales Sicherheitsanliegen", so der amerikanische Gesundheitsminister, Tommy Thompson,zu Anfang des Monats. Denkt nach! Jahrelang haben kritische Köpfe dafür argumentiert, dass die Kürzungen, Deregulierungen und Privatisierungen grosse menschliche Kosten nach sich ziehen.

In Grossbritannien: Extreme Zunahme der Zugunglücke. In Walkertion in der Provinz Ontario, Kanada: Kolibakterien im Trinkwasser. Bis zum 11.September wurde der Sicherheitsbegriff eher als ein militärisch-politisches Anliegen definiert. Was nützt es, wenn unsere Festung uneinnehmbar ist, jedoch auf sandigem Grund gebaut ist?

Falls wir etwas aus diesem Chaos lernen können, dann das, dass echte Sicherheit nicht vom traditionellen Sicherheitsapparat getrennt werden kann. Dies hängt entscheidend mit unseren elementaren sozialen Einrichtungen zusammen, vom Postwesen bis zu Notfallambulanzen, vom U-Bahnnetz bis zur Wasserversorgung, vom Schul- bis zum Lebensmittelkontrollwesen. Diese ganzen, und oft als banal erscheinenden Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, die für das geselllschaftliche Zusammenleben unerlässlich sind, sind alles andere als irrelevant, wenn es darum geht, den Terrorismus effektiv zu bekämpfen. Faktisch sind sie die Grundlagen unserer zukünftigen Sicherheit.

(Übersetzung aus dem Dänischen: sg)

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