Internationalismus

Kabul gefallen. Was kommt als nächstes?

Von Farooq Tariq (Generalsekretär der Labour Party Pakistan

Die Nordallianz hat Kabul am 13. November übernommen, ohne auf großen Widerstand gestoßen zu sein. Der oft angedrohte so genannte Jihad der Taliban war nirgendwo zu sehen, als die Kräfte der Allianz die Stadt erreichten. Kabul wurde eingenommen, ohne dass es zu einem ersthaften Kampf mit den Taliban kam. Der Mythos, den die Taliban und ihre Unterstützer international verbreitet hatten, dass niemand sie besiegen kann, wird nach dieser beschämenden Aufgabe Kabuls binnen weniger Tage rund um den Globus zerstört sein. Es war nicht, wie einige Medienvertreter angenommen haben, ein taktischer Rückzug, sondern Ausdruck des totalen Zerfalls der Moral unter den Taliban.

Farooq Tariq

Die von den USA unterstützte Nordallianz nahm Kabul nur einen Tag nach einem öffentlichen Versprechen Bushs ein, dass die Allianz eben das nicht tun würde. Bush hatte dem auf Besuch befindlichen pakistanischen Militärherrscher General Musharaf einen Gefallen tun wollen. Die pakistanische Regierung wirbt nun für eine UN-Friedenstruppe, die helfen soll, eine breite Regierung zu bilden; aber das geschieht vor allem, um überhaupt etwas zu sagen, nachdem Musharaf durch die Einnahme Kabuls öffentlich erniedrigt wurde.

Nachdem am 12. November ein weiteres Flugzeug in New York zerschellt war, wollte die USA verzweifelt gewinnen. Sie brauchten einen sofortigen Sieg. Das ist der Grund, weshalb das öffentliche Versprechen Präsdent Bushs, dass die Nordallianz nicht in Kabul einziehen würde, zur Seite gelegt wurde.

Auf der anderen Seite zeigt die Aufgabe Kabuls die absolut diktatorische Natur der Taliban und wie schnell ihre soziale Basis verschwindet. Die gewöhnlichen Bürger Kabuls schienen ziemlich begeistert über den Sieg. Eine der ersten Anweisungen der Nordallianz bestimmte, dass Frauen wieder arbeiten dürfen. Aber das geschah nur, um ihren Herren in den imperialistischen Ländern zu gefallen. Die Mehrheit in der Nordallianz hat keine Frauenpolitik, die sich von der der Taliban unterscheiden würde. Wenn die Nordallianz erst einmal ihre Machtbasis gefestigt hat, werden diese Fundamentalisten ihr Gesicht zeigen.

Der US-Imperialismus hat einmal mehr seine Taktik des "der Feind meines Feindes ist mein Freund" verwendet. In der Vergangenheit haben sie eine hohen Preis für Unterstützung der religiösen Fundamentalisten gegen die Sowjetunion bezahlt. Dennoch wiederholen sie die gleiche Taktik und wenn sie fortfahren, die Allianz zu unterstützen, wird diese Politik wahrscheinlich ein anderes Monster gebären, das schon in kurzer Zeit außer Kontrolle geraten wird.

Die Niederlage der Taliban in Kabul ist kein Sieg für den US-Imperialismus. Er musste auf die Hilfe einer anderen Gruppe religiöser Fundamentalisten zurückgreifen. Diese Leute mögen zunächst einige Änderungen an ihrem Äußeren vornehmen, aber das wird nicht ihr wirkliches Ziel, die islamische Revolution in Afghanistan, ändern.

Die Taliban werden nun auch ihre Kontrolle über Kandahar verlieren. Ihr Wille, nach dem Rückzug in die Berge einen Guerillakrieg zu führen, wird nicht viel Gewicht haben und fürs erste werden ihre Wurzeln in Afghanistan zerstört. Osama könnte dabei zusammen mit vielen anderen Führern der Taliban sein Leben verlieren. Aber der religiöse Fundamentalismus wird mit dem Tod seiner bekanntesten Führer nicht verschwinden. Die Strategie der Taliban, sich in die Stammesgebiete an der pakistanischen Grenze zurückzuziehen, wird nicht sehr erfolgreich sein. Die Taliban sind ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie in allen Teilen Afghanistans die Macht verloren haben. Religiöser Fundamentalismus wird lange warten müssen, bevor er wieder die Gelegenheit haben wird, die Macht in einem Staat zu übernehmen, wie es in Afghanistan und im Iran der Fall gewesen ist. Aber der religiöse Fundamentalismus wird deshalb nicht absterben und die extremen Seiten dieser Kräfte werden auch weiter Selbstmordattentate, Guerillaaktivitäten und Ähnliches ausführen.

Die Einnahme Kabuls durch die Nordallianz beschert dem pakistanischen Militärregime neue Schwierigkeiten. Ihr Vorgehen steht im Widerspruch zur Strategie General Musharafs. Es sieht so aus, als habe der US-Imperialismus ein doppeltes Spiel gespielt. Auf der einen Seite hat er dem Militärregime versichert, er werde nichts gegen seine Interessen unternehmen. Auf der anderen Seite hat er die Nordallianz bewaffnet, damit diese es mit den Taliban aufnehmen kann. Der US-Imperialismus war sehr besorgt, dass in diesem Krieg seine eigenen Soldaten verschont bleiben. Die Strategie war daher, die Nordallianz zu bewaffnen, damit sie das Geschäft erledigt. Sie bekamen volle Luftdeckung, um auf Kabul vorzurücken. Die Reaktionen Tony Blairs und George Bushs zeigen, dass sie von der Einnahme Kabuls alles andere als überrascht waren, sondern eben das geplant hatten.

Das pakistanische Militärregime wurde von der Geschwindigkeit der Entwicklung und von der Art, wie die Taliban ohne Kampf abzogen, kalt erwischt. Nur Pakistanis und arabische Gotteskrieger (Jihadies) wurden in Kabul zurückgelassen, um von den Streitkräften der Nordallianz massakriert zu werden. Ihre toten Körper, die in den Straßen Kabuls liegen, zeigen die Methoden, die uns in Zukunft auch von der Nordallianz erwarten. Die Taliban haben in der Nacht bevor Kabul fiel, diese ausländischen Mujahedin aufgegeben und sich selbst überlassen.

General Musharafs Politik, einerseits die Taliban abzulehnen, andererseits weiter die Mujahedin in Kaschmir zu unterstützen, wird zurzeit noch von den USA akzeptiert. Aber er wird keine andere Wahl haben, als seine Kaschmir-Politik aufzugeben. In der Frage des Terrorismus sind keine zwei Linien möglich. Er muss sich entscheiden. Hört er in Sachen Kaschmir nicht auf den US-Imperialismus könnte er schon bald nicht nur seine Macht, sondern auch sein Leben verlieren. Die Bush-Regierung hat General Musharaf für die mutige und pünktliche Unterstützung gedankt, aber der Fall Kabuls hat vieles verändert. Er wird entscheidende Auswirkungen auf die Pakistan-Strategie des US-Imperialismus haben.

Der Fokus der internationalen Aufmerksamkeit wird nunmehr auf Kabul und nicht auf Islamabad liegen. Islamabad hingegen wird den US-Imperialismus wieder und wieder an die gemachten Versprechungen erinnern müssen. Doch die meisten werden vergessen werden. Der Fall Kabuls und - in einigen Tagen - Afghanistans - wird die Psychologie des US-Imperialismus verändern.

Für uns hier in Pakistan war der Fall Kabuls keine Überraschung. Der religiöse Fundamentalismus stand auf verlorenem Posten. Das pakistanische Regime hatte sie im Stich gelassen, und man kann keinen Krieg allein mit religiösen Gefühlen gewinnen. Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Taliban in kurzer Zeit verlieren würden. Die Taliban waren das am meisten verhasste Regime, dass die Afghanen in ihrer ganzen Geschichte je gesehen haben. Es wollte seine mittelalterliche Politik mit Gewalt durchsetzen. Die Menschen waren gezwungen, sich anzupassen, aber die Taliban hatten zu keiner Zeit irgend eine soziale Massenbasis in Afghanistan. Die religiösen Fundamentalisten waren eine winzige sehr entschlossene Minderheit, die vor allem die internationale Unterstützung zusammenhielt.

Der Fall Kabuls wird Afghanistan keinerlei stabile Verhältnisse bringen. Es wird die Lage weiter polarisieren und wie schon zuvor wird es einen bürgerkriegsähnlichen Zustand geben. Der Unterschied wird sein, dass nun die religiösen Trennungslinien in den Hintergrund treten und statt desssen die nationalen Gräben wichtiger werden. Afghanistan ist ein Wirrwarr von Geschichten und Geschichte in allen möglichen Formen. Es ist ein Dschungel verschiedener Nationalitäten mit ihren eigenen Stammesidentitäten. Unter kapitalistischen Voraussetzungen wird dieses Knäuel nicht aufgelöst werden können. Kapitalismus wird die nationale Spaltung nur vertiefen. Die USA werden auch nicht massiv Dollar ins Land pumpen, um es zu stabilisieren. Man wird ihnen einige Peanuts geben und sie dann unter sich lassen, damit sie weiter gegen einander kämpfen können.

Nach fünf Jahren brutaler Herrschaft der Taliban hat die Geschichte einen weiteren Machtwechsel in Afghanistan gesehen, aber auch dieser wird nichts an der Armut der afghanischen Massen ändern.

Es könnte, sollte eine breite Regierung unter dem Einfluss des US-Imperialismus etabliert werden, eine kleine so genannte liberale Zeit in Afghanistan geben. Die Nordallianz ist in einer sehr starken Position. Sie kann seine Bedingungen diktieren, aber nicht die verschiedenen kämpfenden Nationalitäten vereinen. Die Strategie des US-Imperialismus wird es sein, eine Koalitionsregierung zu schaffen, die loyal zum alternden Zhair Shah steht (dem ehemaligen König, d.Ü.). Aber diese Regierung könnte nur von kurzer Zeit sein, da sie nicht in der Lage sein wird, die Situation zu kontrollieren. Wir werden eine neue Phase des Bürgerkriegs sehen. Sieben Jahre lang hatte die pakistanische Regierung die Taliban unterstützt und aufgebaut, bevor sie nun plötzlich gezwungen war, sich gegen sie zu richten. Nun steht die pakistanische Regierung mit einem Mal ohne Verbündete in Afghanistan da. Sollte Kabul eine Regierung gegen die Wünsche des pakistanischen Militärregimes installiert werden, könnte das eine neue Runde von Feindseligkeiten mit Pakistan einleiten. Ein Krieg zwischen den beiden Ländern könnte unter diesen Umständen nicht ausgeschlossen werden.

Die Pakistanische Arbeiterpartei wird den winzigen Kräften der afghanischen Linken helfen, die sich derzeit bietende zeitlich begrenzte Chance zu nutzen, in Afghanistan Strukturen aufzubauen. Unsere Wochenzeitung Mazdoor Jeddojuhd plant den Druck einer monatlichen Ausgabe in Pushtu in enger Zusammenarbeit mit der Revolutionären Arbeiterorganisation Afghanistans. International sollte die Linke weiter der Kriegsstrategie des US-Imperialismus und seinen Plänen ein Marionetten-Regime zu installieren entgegentreten. Der Krieg ist nicht vorbei; er ist nur in eine neue Phase eingetreten. Die Antiglobalisierungs-Kampagne verbunden mit der Friedensbewegung muss weitergehen. Eine fundamentalistische Gruppe ist abgetreten, eine andere ist mit der Hilfe der USA an die Macht gekommen. Wir haben keine ander Wahl, als gegen diesen Machtwechsel in Kabul zu opponieren, in der Hoffnung auf einen demokratisch-sozialistischen Wandel.

Lahore Pakistan, 13. November 2001

(Übersetzung wop)

Mehr Informationen im Internet unter www.labourpakistan.org

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