Der Saal war mit 900 Sitzen nicht klein, und doch reichten sie nicht, die Aktivisten und Neugierigen, geladenen Gäste und Referenten aus aller Welt aufzunehmen. Aus Jakarta sind sie gekommen, aus Paris, Porto Alegre, Brüssel und New York, aus Kairo, Damaskus, Dakar und Mumbai (Bombay).
Und aus Beirut. Dort hielt das Netzwerk Arabischer Entwicklungsorganisationen zusammen mit Gewerkschaften, Frauenverbänden und anderen Anfang November das Worldforum on the WTO, das Weltforum über die WTO ab. Da die Handelsminister es vorgezogen hatten, sich in das unzugängliche Emirat am persischen Golf zurückzuziehen, wählten die Organisatoren der Gegenveranstaltung Beirut. Zwar wurde auch hier die geplante Demonstration gegen die WTO schließlich verboten, aber immerhin konnten die Globalisierungskritiker aus aller Welt ungehindert anreisen und konferieren.
"Als wir hörten, dass die WTO sich in Katar treffen will, war für uns klar, dass wir diese Konferenz hier organisieren werden." Eine Löwenaufgabe. Kanch war zusammen mit rund zwei Dutzend Studenten, meist junge Kommunisten, eine Woche lang nahezu rund um die Uhr im Einsatz. Ca. 150 ausländische Gäste waren zu versorgen, in Hotels unterzubringen, herumzuführen, zu den Veranstaltungsorten zu bringen.
Auf dem Forum waren sie allerdings in der Minderheit, besonders auf der Eröffnungssitzung am Montag in der Amerikanischen. Über 1000 waren gekommen, die Sitzplätze reichten bei weitem nicht, um den Andrang aufzunehmen.
Das Forum war das erste seiner Art nach den Anschlägen in den USA und dem Beginn des Bombenkriegs der "zivilisierten Welt" gegen Afghanistan. Entsprechend nahm Bushs "Kreuzzug" in vielen Reden und Diskussionen eine zentrale Rolle ein. "Afghanistan wegen bin Laden zu bombardieren ist ganz so, als würde man wegen der IRA Bomben auf Boston, Glasgow oder Dublin werfen," meinte z.B. Lindsey German von der Anti War Koalition in Großbritannien.
Globalisierung und militärische Aggression seien untrennbar miteinander verbunden, so Samir Amin im Eröffnungsplenum. Amin gehört zu den Exponenten der Dependenz-Theorie und leitet in Senegals Hauptstadt Dakar das Dritte-Weltforum. Das Interesse der USA bestünde vor allem darin, sich in Zentralasien militärisch festzusetzen, und zwar nicht nur wegen des Erdöls und -gases der Region, sondern auch, um von dort den Druck auf Russland, China, aber auch Indien erhöhen zu können.
Auch der ehemalige algerische Präsident und Mitbegründer der FLN Ahmad Ben Bella sah eine "organische Verbindung zwischen der Globalisierung und dem, was gerade in Afghanistan passiert." Allerdings sei das für den Süden nichts Neues. Dem französischen Kolonialkrieg in Algerien seien seinerzeit über eine Million Menschen zum Opfer gefallen. Globalisierung, so Ben Bella, bedeute vor allem die Monopolisierung der Ressorcen der Dritten Welt durch den Norden. Die Folgen seien die permanente Verschuldungskrise und 35 Millionen Hungertote pro Jahr. Auch Wissenschaft und Technologie würden immer mehr monopolisiert, und zwar größtenteils durch den militärisch-industriellen Komplex. Für lebensnotwendige medizinische Forschung seien daher nicht genug Ressourcen frei. Die Folge: Schon bald, so Ben Bella, könnte südlich der Sahara die durchschnittliche Lebenserwartung auf 25 Jahre sinken.
Das sah Elias Saba ähnlich: Freihandel bedeutet keinesfalls Technologieaustausch, so der ehemalige libanesische Finanzminister. Dem Süden fehle der Zugang zu wichtigen Technologien, deren Ausfuhr nicht nur an den Konzernen scheitere, die ihr Wissen nicht preisgeben wollen, sondern auch zum Teil an entsprechenden gesetzlichen Restriktionen der Industrieländer. Im Übrigen sei es falsch, dass ungehinderter Freihandel bei allen Beteiligten zu Kapitalakkumulation und Fortschritt führe. Dafür bedürfe es auch des perfekten Wettbewerbs, der schon deshalb nicht gegeben ist, weil die Ausgangsbedingungen sehr unterschiedlich sind.
Auch José Bové, Präsident des französischen Kleinbauernverbades, stellte die vorherrschende Freihandelsideologie in Frage und brandmarkte die "Diktatur des Marktes". Zudem würden die Industriestaaten im Zweifelsfall ihre eigene Propaganda nicht ernst nehmen, indem sie z.B. Agrarexporte subventionieren, die in der Dritten Welt die Existenzen lokaler Produzenten zerstören. Bové griff außerdem, wie auch die meisten anderen Redner, in scharfen Worten die Politik Israels in den besetzten Gebieten an.
Die Anschläge in den USA zeigten nach Meinung Elias Sabas vor allem, dass die Ordnung der Welt überdacht und ein Minimum an Gerechtigkeit zwischen den Staaten geschaffen werden müsse. Auf dem Weg dahin, so Samir Amin, wird sich der Süden nicht mehr auf Widersprüche im Lager des Imperialismus verlassen können. "Wir stehen einem vereinten Feind gegenüber." Allerdings handele es sich nicht um einen Kampf Norden gegen Süden. Die Bewegungen hier wie dort müssten gemeinsam gegen diesen neuen Imperialismus antreteten. Es handle sich um einen Zivilisationskampf, jedoch nicht um einen Kampf der Zivilisationen. Dieser Irrweg dürfe nicht akzeptiert werden. Auch Ben Bella wies darauf hin, dass "die Jugend im Norden eine gerechtere Ordnung der Welt verlangt, eine, die der ganzen Weltbevölkerung dient."
Immerhin noch rund 400 Menschen nahmen in den folgenden zweieinhalb Tagen an den Diskussionen in den Arbeitsgruppen teil, die zu Themen wie Umwelt, Öffentlicher Dienst, Arbeiterrechte, Globalisierung und Welternährung, Frauenrechte, Militärische Konflikte im Zeitalter der Globalisierung und ähnlichen stattfanden.
In der Arbeitsgruppe über das Dienstleistungsabkommen GATS ging es z.B. vor allem um ein Problem, das Nord und Süd miteinander teilen: Privatisierung. Statt der erhofften Vorteile, so Tetteh Hormeku vom Afrikasekretariat des Third World Network, sei die WTO "zum Vehikel fürdie Einmischung in die Innenpolitik der Staaten geworden". In den GATS-Verhandlungen gebe es z.B. großen Widerstand der Entwicklungsländer gegen weitere Liberalisierungen, die ihren Handlungsrahmen einschränken würden. Dennoch versuchten die Industriestaaten über das GATS alles mögliche als Dienstleistung zu definieren, und so u.a. auch den Gesundheitssektor weltweit für die Privatwirtschaft zu öffnen. Der Dienstleistungsmarkt sei stark monopolisiert, so Hormeku, deshalb sei klar, dass bei Privatisierungen im Telekombereich, bei den Banken, Versicherungen oder in der Tourismusbranche vor allem Unternehmen aus dem Norden profitieren würden. Im Gastland Libanon sollen demnächst Telekom, die nationale Lufftfahrtgesellschaft sowie die Stromversorgung unter den Hammer kommen, berichtete Samer Hussein vom libanesischen Bauernverband. 20.000 Arbeiter werden davon betroffen sein. Das von dieser Konzentration in der Regel nicht die Konsumenten profitieren, verdeutlichte eine britischeTeilnehmerin, indem sie den drastischen Abbau der Leistungen des öffentlichen Personenverkehrs und der Telekom schilderte. Besonders für Inder war das interessant zu hören, denn dort, so Benny Kuruvilla, der sich in Bangalore für nachhaltigen Tourismus engagiert, würde Großbritannien oft als Beispiel für gelungene Privatisierung öffentlicher Dienste angepriesen.
Neben schlechterer Versorgung ist Abbau von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und Löhnen die andere Schattenseite der Privatisierung. Und von der sind Frauen überproportional betroffen, wie verschiedene Referentinnen deutlich machten, darunter Islah Jad von der palästinensischen Bir Zeit Universität. Frauen seien zumeist die ersten Opfer der Globalisierung, so Miriam Williams vom International Gender and Trade Network. Ein Beispiel dafür sei in der Karibik und in Teilen Asiens die Verdrängung traditioneller, von Frauen dominierter Sektoren zum Beispiel in der Nahrungsmittelproduktion durch Billig-Importe aus Industrieländern.
Doch trotz der vielfältigen Diskussionen über die negativen Auswirkungen der WTO auf die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer, gibt es bisher keine offizielle Evaluierung. "Es wird Zeit, dass endlich gründlich untersucht wird, was die WTO-Verträge für die menschliche Entwicklung bedeuten," beschreibt Mumtaz Keklik, der für das UN-Entwicklungsprogramm UNDP arbeitet, die Ungeduld vieler Entwicklungsländer. Ein entsprechender Prozess könnte für die weiteren internationalen Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen, doch was herauskäme war den Anwesenden bereits klar: Sieben Jahre nach Schaffung der WTO hätten sich alle gemachten Hoffnungen auf Prosperität für den Süden in Luft aufgelöst, heißt es in der Abschlusserklärung der Konferenz. Die Konsequenz: "Wirtschaftliche Stagnation breitet sich auf immer mehr Länder aus." Der Technologische Graben zwischen Nord und Süd würde trotz der starken Zunahme des Welthandels eher größer und der Norden würde auch weiter mit protektionistischen Methoden Exporte der Entwicklungsländer diskriminieren.
Die Konferenz forderte weiter das sofortige Ende des Krieges gegen Afghanistan und verlangt bei der Gelegenheit auch, dass die Sanktionen gegen den Irak aufgehoben werden, unter denen, wie eine oppositionelle irakische Frauenrechtlerin am Rande der Konferenz gegenüber dieser Zeitung meinte, "nicht das Regime, sondern das Volk leidet". Außerdem fordert die Erklärung, dass "sofort Vorkehrungen für den internationalen Schutz der palästinensischen Bürger geschaffen werden und ihr Recht auf Rückkehr und einen eigenen unabhängigen Staat anerkannt werden." (wop)