Neoliberalismus

Die EU im Krieg gegen die Armen

Abschluss der WTO-Verhandlungen in Katar. EU siegt auf breiter Front gegen Entwicklungsländer

In Brüssel knallten die Sektkorken, beim Bundesverband der Deutschen Industrie ebenso: Mit fast einem Tag Verspätung fiel am 14.11. in Doha am persischen Golf der Hammer. Nach äußerst zähen Verhandlungen hatte sich die EU in der Welthandelsorganisation WTO durchgesetzt. Die 142 Mitglieder einigten sich darauf, eine neue Verhandlungsrunde zur weiteren Liberalisierung des Welthandels einzuleiten. Damit wird der Druck auf die Entwicklungs- und Schwellenländer erhöht, ihre Grenzen für Waren- und Kapitalexporte aus dem Norden zu öffnen und ihre öffentlichen Dienste zu privatisieren. Von beidem werden überwiegend Konzerne aus den Industriestaaten profitieren. Hunderttausende waren in der vorhergehenden Woche rund um den Globus auf die Straße gegangen, um gegen diesen Raubzug zu protestieren (siehe nebenstehender Kasten). Vor zwei Jahren war die EU mit dem gleichen Vorhaben im US-amerikanischen Seattle noch gescheitert.

Bis zuletzt hatte es hartnäckigen Widerstand Indiens, das für viele Entwicklungsländer sprach, gegeben. Erst als der katarische Verhandlungsführer zu diesem Punkt eine Erklärung verlas, die ins Protokoll der Verhandlung aufgenommen wurde, gab Delhi seine Opposition auf. Nach dieser Auslegung der beschlossenen Erklärung wird auf der nächsten Tagung in zwei Jahren eine neue explizite Entscheidung über den Beginn der Gespräche gefällt werden müssen. Beschlüsse werden innerhalb der WTO im Konsens gefasst, was bisher für die Industriestaaten ein probates Mittel war, einzelne Abweichler unter massiven Druck zu setzen. Seitdem allerdings die Entwicklungsländer aufmüpfiger werden, was in Doha noch mehr als in Seattle der Fall gewesen ist, werden auch Überlegungen laut, zu Mehrheitsbeschlüssen überzugehen.

Schon bevor in Doha das Ergebnis feststand, verkündete die EU-Kommission in Brüssel, dass man sich in Sachen Agrarsubventionen durchgesetzt habe. Eine Änderung der Politik der Gemeinschaft in dieser Frage sei nicht nötig. Demnach werden die 15 auch weiter ihre Agrarüberschüsse stark verbilligt in Entwicklungsländern abladen können, um dortige Bauern kaputtzukonkurrieren. Nichtregierungsorganisationen wie auch Delegationen verschiedener Staaten hatten während der Verhandlungen diese Praxis wiederholt massiv kritisiert.

Zwischenzeitlich hatten sich deshalb auch innerhalb der EU Brüche gezeigt. Vor allem Frankreich hielt besonders hartnäckig an der bestehenden Landwirtschaftspolitik fest, weil man dort im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen die Bauern-Lobby fürchtet. Die Bundesregierung schien hingegen in der Agrarfrage etwas kompromissbereiter, um im Gegenzug die Interessen der deutschen Industrie, die traditionell stark auf Freihandel orientiert, besser durchsetzen zu können. Prompt tönte es aus München christlichsozial, die deutschen Bauern bräuchten eine bessere Vertretung in Brüssel.

Die Einwände der ärmsten Staaten, der sogenannten LDC-Gruppen, dass auch die Menschen Freizügigkeit bräuchten, nicht nur das Kapital, wurden wie üblich von den Industriestaaten ignoriert.

Im Einzelnen wurde in Doha vereinbart, die Verhandlungen schon am 31. Januar 2002 beginnen zu lassen. Am 1. Januar 2005 sollen sie abgeschlossen sein. Die Verhandlungen werden zunächst auf sieben Gebieten geführt und von einem Verhandlungskomitee koordiniert. Des weiteren werden vier Themenfelder benannt, in denen später Verhandlungen aufgenommen werden sollen. Zu den Themen, über die nach dem nächsten Ministertreffen in zwei Jahren verhandelt werden soll, gehören Investitionsschutz und Wettbewerbspolitik sowie öffentliche Ausschreibungen; alles Lieblingsthemen der deutschen Industrie und der Brüsseler EU-Kommission.

Auf der Liste der Doha-Runde, die in zweieinhalb Monaten beginnen soll, wird u. a. auch das Thema Strafzölle stehen. Vor allem die USA haben diese in der Vergangenheit angewendet und zwar meist zum Ärger von Schwellenländern und Japan. Auch über Zölle auf Fertigwaren soll gesprochen werden, mit dem Ziel, diese weiter zu senken. Das war ein wichtiges Anliegen aller Industriestaaten. Die USA haben sich allerdings hartnäckig dagegen gesperrt, über ihre Zollbarrieren für Textilien zu reden. Die wiederum sind für viele Entwicklungsländer wichtig, weil im Auf- und Ausbau dieses Sektors klassischerweise der erste Schritt zur Industrialisierung gesehen wird. Des weiteren wurden zu einigen Fragen, die den Entwicklungsländern unter den Nägeln brennen, wie dem Schutz der Artenvielfalt, was in diesem Fall vor allem Saatgut betrifft, Evaluierungsprozesse eingeleitet, in denen die Verträge theoretisch verändert werden können.

Klar dürfte sein, dass Doha nur der Auftakt heftiger Auseinandersetzungen, zwischen den Staaten um neue Verträge und die Auslegung der bestehenden gewesen ist. Seitens der in Doha anwesenden Vertreter von Nichtregierungsorganisationen hagelte es Kritik. "Die Entscheidung in Doha, eine neue Welthandelsrunde einzuleiten, ist ein Schlag ins Gesicht der Bevölkerung vieler Entwicklungsländer. Die Verhandlungsthemen werden nach wie vor vom Norden dominiert", kommentiert Peter Fuchs, handelspolitischer Experte von WEED, die Übereinkunft. Die Bonner Organisation ist Mitglied im ATTAC-Netzwerk und forscht und publiziert zu Fragen der Weltwirtschaft und Ökologie. Immerhin zeigen die Teilerfolge in der Frage des erleichterten Zugangs zu patentgeschützten Medikamenten, dass "sich etwas erreichen lässt, wenn der Druck des Protestes groß genug ist und die Position der Entwicklungsländer gestärkt wird".

ATTAC will deshalb eine "Runde des Protestes" starten. Bereits Anfang Dezember 2001 werden sich Nichtregierungsorganisationen und Bewegungsvertreter aus Nord und Süd treffen, um eine Kampagne gegen die Machtausweitung der WTO im Rahmen der neuen Runde zu planen. Dazu wird auch hierzulande die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften sowie Umwelt- und Entwicklungsorganisationen gesucht. Themen werden u. a. die "ungebremste Liberalisierung wichtiger Dienstleistungen wie Wasserversorgung und Gesundheitsdienste im Rahmen des Dienstleistungsabkommens der WTO (GATS)" sein, heißt es bei ATTAC. Auch der Ansprechpartner ist klar: "Der handelspolische Kurs der rot-grünen Bundesregierung", so Fuchs, "führt zum Ausverkauf von Umwelt- und Entwicklungsanliegen zugunsten einer Agenda der Reichen und der Konzerne." (wop)

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