Betrieb & Gewerkschaft

Kommentar

"Harte" Tarifrunde für "weiche" Wahltarife

Zwickel - noch grinst er

Die Kapitalisten selbst haben die Gewerkschaften aufgemuntert: Vor dem Hintergrund der Rezessionsängste und unter Ausnutzung der tatsächlichen und vermeintlichen Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September auf einige direkt betroffene Branchen, haben sie – mit voreiligen Verzichtsforderungen – die Gewerkschaftsvorstände auf Trab gebracht. Die im Forderungsvolumen meistbeachtete IG Metall wollte und wird ihre Forderungsempfehlungen an die Tarifkommissionen ihrer Bezirke Anfang Dezember rausgeben. Ein besinnliches Nachdenken in der Advents- und Weihnachtszeit haben die Kapitalisten selbst vermasselt: Sie haben die Debatte Anfang November entfacht!

"Die jahrzehntelange Lohnzurückhaltung hat nichts gebracht," sagte DGB Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer. Der reale Nettolohn (sog. Kaufkraft je Arbeitnehmer ) ist seit 1980 um 0,4 Prozent gesunken. Die realen Nettogewinne der Unternehmen sind dagegen um 96,5 Prozent hochgeschnellt, so eine DGB-Studie. Selbst im Boomjahr 2000 gab es in allen Branchen nur magere Einkommenserhöhungen um die 2,5 Prozent. Die Erhöhungen von Preisen, Steuern und Sozialabgaben bei gleichzeitigen Leistungskürzungen hat nicht jede/r durch "schattenwirtschaftliche" Tätigkeit auffangen können. Ein "Nachholbedarf" galt auch auf der oberen Funktionärsebene bis zum Beginn der rezessiven Tendenzen als ausgemacht. Selbst die Spitzenfunktionäre von ver.di und IGBCE, bekanntlich etwas behäbigere und sozialpartnerschaftlichere Organisationen, haben nach den Kapitalattacken begonnen, für kräftige Lohnerhöhungen die Trommel zu rühren.

In der Metall- und Elektroindustrie wird der Druck im Kessel voraussichtlich am stärksten steigen: Auf der Kapitalseite angesichts der abflachenden Exportsteigerungen. Der Lohn- und Gehaltsanteil in der metallverarbeitenden Industrie ist 1980 bis 2000 von 28,3 auf 19,0 Prozent (lt. Statistischem Bundesamt) gesunken. Am (gestiegenen) konstanten Kapitalanteil lässt sich bekanntlich am wenigsten drehen! Auf der Arbeitnehmerseite bestehen neben dem erwähnten Nachholbedarf auch angesichts bevorstehender Wahlen erhöhte Aktionsmöglichkeiten. Neben den Bundestagswahlen stehen im nächsten Jahr in den Betrieben und im Jahr darauf in der IG Metall Wahlen an! Die Betriebsratswahlen werden manchen bedächtigeren Betriebsfunktionär zumindest zum Verbalradikalismus bewegen. Und in der IG Metall steht auf dem nächsten Gewerkschaftstag 2003 die Wahl des Vorsitzenden an. Neben dem amtierenden Vize Karl-Heinz Peters als Kronprinzen gilt zumindest der baden-württembergische Bezirksleiter Berthold Huber als zusätzlicher Kandidat. Klaus Zwickel tritt aus Altersgründen nicht wieder an. Nach seinem Verhalten als Stellvertretener AR-Vorsitzender im Aufsichtsrat der Mannesmann AG im Zusammenhang mit der Übernahme durch Vodafone hat sein Ansehen in der Gewerkschaft verloren. Zwickel hat Abfindungen an Mannesmann-Vorstandsmitglieder in Höhe von 150 Millionen Mark durch Stimmenthaltung faktisch gebilligt. Mannesmann-Chef Klaus Esser kassierte allein 60 Millionen! Aufgrund staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen waren die Zahlungen des britischen Kommunikationskonzerns Ende August in der Presse wieder hochgekocht worden. Summen, die nicht nur in der IG Metall organisierten Industriearbeitern mit einem Jahreseinkommen von 55.000 bis 70.000 Mark die Sprache verschlagen. Seitdem gilt Zwickel als angeschlagen. Ein Vertreter von Gesamtmetall ahnte da bereits Schlimmes: "Zwickels Schwäche ist für uns nicht günstig." Der Vorsitzende möchte nun möglichst wieder im alten Glanz den Rest seiner Amtszeit überstehen.

"Einen kräftigen Schlag aus der Suppenkelle" forderte der IG Metall Vorsitzende schon einmal vor einer Tarifrunde Ende der 90iger Jahre: Danach trat die IG Metall mit einer Forderung im Format eines Esslöffels an und zog mit einem gefüllten Teelöffel als Tarifergebnis ab. Auf ein Prozentchen mehr dürfen die Metaller im nächsten Jahr hoffen. Der Teelöffel wird zumindest randvoll werden! Ein gefüllter Esslöffel als Tarifergebnis erfordert mehr Mut und Bewegung an der Basis!

(W. Jard)

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