Antifaschismus

9. November 2001:

"Wir ertragen und dulden das Auftreten von Faschisten nicht in unserer Stadt"

Demonstration gegen Terror, Hass und Fremdenfeindlichkeit in Kiel

Mahnmal der Synagoge

Etwa 800 Menschen demonstrierten am 63. Jahrestag der Reichspogromnacht durch die Kieler Innenstadt. Am Vormittag hatten bereits zahlreiche KielerInnen - die KN schreibt von "mehrere(n) hundert" - der Kranzniederlegung am Mahnmal der ehemaligen Synagoge beigewohnt.

Am Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus in Kiel zogen die OrganisatorInnen der Demonstration eine überwiegend positive Bilanz dieser Aktion, die in jedem Jahr fester Bestandteil antifaschistischer Arbeit in Kiel werden soll. Aufgrund der gegenüber dem vergangenen Jahr stark veränderten politischen Rahmenbedingungen sei mit einer größeren Beteiligung kaum zu rechnen gewesen. Zudem seien etliche, vor allem jüngere Menschen durch die gleichzeitig stattfindenden Anti-Atomkraft-Aktionen anderweitig eingebunden gewesen. Besonders positiv wurde die verhältnismäßig große Zahl von KollegInnen aus Kieler Betrieben an der Demonstration bewertet. Vor allem die eisigen Temperaturen führten allerdings dazu, dass sich das Feld der Teilnehmenden während der Abschlusskundgebung auf dem nach 18 Uhr fernab jeglichen Publikumsverkehrs gelegenen Rathausplatz schnell drastisch lichtete.

Zufriedenstellen kann die Zahl der DemonstrantInnen indes nicht. Die "veränderten politischen Rahmenbedingungen" markieren schließlich auch eine Schwäche der antifaschistischen Bewegung. Die Entschlossenheit der an dieser Bewegung dauerhaft Beteiligten ist allerdings eher gewachsen, auch die Zahl dieser Menschen ist gestiegen. Und manche Illusion über den Wert wohlklingender PolitikerInnenreden ist verflogen. Dass Widerstand gegen die herrschende Politik in Fragen der "inneren Sicherheit", der Zuwanderungsgesetzgebung und der Militarisierung fester Bestandteil antifaschistischer Politik, die die Beendigung faschistischer Umtriebe zum Ziel hat, sein müssen, steht für viele außer Frage.

Während des Demonstrationszuges wurde auf Zwischenkundgebungen am Platz der ehemaligen Synagoge, am Gewerkschaftshaus - wo in den Revolutionstagen 1918 der erste Arbeiter- und Soldatenrat tagte -und am Gedenkstein für die von den Nazis ermordeten Roma und Sinti auf die Bedeutung dieser Orte hingewiesen.

Die Kundgebung auf dem Rathausplatz wurde von der Stadtpräsidentin Cathy Kietzer eröffnet. Frau Kietzer brachte ihre Wertschätzung des Kieler Runden Tisches erneut zum Ausdruck. Als Reaktion auf die Anschläge in den USA bezeichnete sie allerdings "Einschränkungen" im gesellschaftlichen Leben in Deutschland als erforderlich - was mit deutlichen Mißfallenskundgebungen seitens der DemonstrantInnen quittiert wurde.

Anschließend sprachen Stadtpastor Liß-Walter, Bettina Jürgensen für den Runden Tisch, Professor Hakki Keskin für die Türkische Gemeinde in Deutschland und Manfred Schallmeyer vom IG-Metall-Vorstand. In den meisten Reden wurde die Kriegführung in Afghanistan scharf verurteilt.

"Seit Jahren fordern wir ein neues Rechtsverständnis ..."

Hakki Keskin konzentrierte sich auf die Probleme der "ausländischen" Bevölkerung in Deutschland, die in engem Zusammenhang mit den faschistischen Umtrieben stehen. Er begann seine Rede mit einer Darstellung und Verurteilung der faschistischen Judenverfolgung; dabei führte er u.a. aus: "Eine Analyse der Geschichte der Juden in Deutschland macht ... deutlich, dass diese Entwicklung, die Entstehung des Hasses gegen die Juden in Deutschland, kein einmaliger "Unfall" ist. Sie ist vielmehr durch eine über Jahrhunderte andauernde Absonderung und Diskriminierung der Juden in Deutschland sowie ihre Behandlung als Menschen zweiter Klasse zu erklären. Der Nährboden für den Hass war durch die politische und gesellschaftliche Absonderung gegeben."

Mit Nachdruck wandte er sich dagegen, die oft mörderischen Nazi-Umtriebe mit Hinweis aus "Meinungsfreiheit" oder "Gesetzeslage" zu entschuldigen. "Die Verbreitung von Rassismus und Faschismus ist keine Meinungsfreiheit, sie sind nicht Elemente einer echten Demokratie, sondern Verbrechen gegen die Demokratie, mit dem Ziel, sie letztendlich zu beseitigen.

- Seit Jahren fordern wir daher ein neues Rechtsverständnis und konkrete rechtliche und politische Maßnahmen gegen diese Kräfte.

- Seit Jahren verlangen wir ein Antidiskriminierungsgesetz ... um gegen jede Art von Diskriminierung und ungleicher Behandlung der hier lebenden Nichtdeutschen entschieden und konsequent vorgehen zu können.

- Seit Jahren verlangen wir die rechtliche, politische und soziale Gleichstellung der in Deutschland seit Jahrzehnten lebenden Menschen, die immer noch als so genannte Ausländer einem Sonderstatus mit minderen Rechten unterliegen.

- Seit Jahren betonen wir, dass dies ohne den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht möglich und es daher die zentrale Aufgabe des Staates ist, die Barrieren hierfür zu beseitigen.

- Seit Jahren versuchen wir den politisch Verantwortlichen klar zu machen, dass es mit dem Gebot eines demokratischen Rechtsstaates nicht zu vereinbaren ist, wenn ein Drittel der Frankfurter, ein Viertel der Münchener, ein Fünftel der Kölner zwar alle staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen, die Bürgerrechte aber seit nunmehr 40 Jahren und auch in der dritten Generation immer noch nicht besitzen."

Seit Jahren werden diese Forderungen ignoriert, und seien die Anlässe, aus denen sie erhoben werden, noch so furchtbar. Wie die Morde in Mölln und Solingen, deren Opfer wir vor Jahren gedachten. Mit guten Grund habe ich im letzten Jahr am 9. November erklärt: "Die vor siebeneinhalb Jahren von unseren türkischen FreundInnen erhobenen Forderungen sind Mindestinhalte der politischen Plattform jedes Bündnisses und Runden Tisches, dessen Mitglieder sich der kontinuierlichen antifaschistischen Arbeit verschreiben, wie es das erklärte Ziel des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus in Kiel ist." Es dürfte heute klar sein, wie gut der Runde Tisch in Kiel nach der letztjährigen Demonstration daran getan hat, sich in seiner "Kieler Erklärung" entsprechend festzulegen. Hakki Keskins Ausführungen unterstreichen, dass wir gute Gründe dafür haben, in der hoffentlich intensiver werdenden Zusammenarbeit örtlicher Bündnisse mit gewerkschaftlicher Beteiligung für ein ähnliches Vorgehen in anderen Städten zu werben.

"Dies zu erreichen scheinen wir weiter entfernt als vor einem Jahr ... "

Den Runden Tisch vertrat am 9.11. Bettina Jürgensen mit einer mit viel Beifall bedachten Rede. Sie zog eine Bilanz der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung seit dem 9. November 2000.

"Wir wollen, dass sich Menschen unterschiedlicher Kultur, Herkunft, Nationen, Hautfarbe offen und vertrauensvoll begegnen können. Das Verhältnis zu unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist letzten Endes die Nagelprobe, ob wir verstanden haben, was Solidarität heißt!

Wir wollen Toleranz und Solidarität statt Diskriminierung und Hass!

Dies zu erreichen scheinen wir weiter entfernt als vor einem Jahr.

Im November 2000 fassten die Innenminister der Bundesländer Beschlüsse und Vorlagen für neue Gesetze, die ihren eigenen Reden entgegenstanden:

Da dienten rechte Aufmärsche und Gewalttaten dazu, einen Gesetzentwurf zur Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechts einzubringen und mit Personendateien die Bespitzelung und Überwachung der Bürger weiter auszubauen. Der Runde Tisch bezog mit einer Presseerklärung dagegen Stellung.

Die von uns verurteilten Terroranschläge auf das World Trade Center in New York werden dazu genutzt, die oben genannten Pläne als Gesetz einzuzbringen und sie mit Beschlüssen zu Rasterfahndung, Regelanfragen beim Verfassungsschutz und noch größeren Kontrollen an den Grenzen zu ergänzen. Bundesinnenminister Schily überholt dabei die CDU/CSU noch rechts. Der gläserne Mensch soll geschaffen werden. Die Überwachung läuft immer und überall, jede/r ist vedächtig: wer sich gesellschaftlich unauffällig verhält ebenso wie die hier heute versammelten Demonstranten.

Die TeilnehmerInnen des Runden Tisches sprechen sich gegen diese neuen Gesetze aus. Sie dienen nicht der Terrorismusbekämpfung, sondern werden genutzt, um Ängste und Kriegsbereitschaft zu schüren.

Wir sagen Nein zu Terror, Hass und Fremdenfeindlichkeit. Wir sagen Nein zum Krieg!"

Nach einer Darstellung der Nazi-Aktivitäten in Kiel fand Bettina einige Worte zur Kieler Lokalpresse. Die KN hatte z.B. im Mai über eine antifaschistische Aktion grob entstellend berichtet und vor kurzem eine Presseerklärung des Runden Tisches "nicht gebracht mit der Begründung, sie wollten die NPD nicht durch die Berichterstattung aufwerten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Kieler Nachrichten, in der deutschen Geschichte wurden schon einmal die Tatsachen verdreht und verschwiegen - und später wollte niemand etwas gewusst haben. Deshalb leistet nicht den Faschisten Vorschub, prangert jeden Übergriff und jede Gewalttat der Nazis öffentlich an. Wer hätte eine bessere Möglichkeit dazu, als die JournalistInnen der einzigen Tageszeitung in Kiel?! Der Runde Tisch ... wird weiter über die Ursachen von Faschismus aufklären und seinen Beitrag leisten. Wir werden weiter Veranstaltungen, Aktionen und Demonstrationen durchführen. Und wir wissen: Wir brauchen einen langen Atem. Aber wir ertragen und dulden das Auftreten der Faschisten nicht in unserer Stadt. Denn sind sie erst einmal in der Stadt, auf der Straße, werden sie unter dem Schutz der Polizei in aller Regel immer dreister."

Am Runden Tisch werden wir am 27. November (18:30, Gewerkschaftshaus, Legienhof) die am 13.11. begonnene Diskussion über die nächsten Aktivitäten fortsetzen. Schon jetzt ist klar, dass der 27. Januar ein Datum ist, auf das wir uns vorbereiten. Die Verbindungen zu den Schulen und SchülerInnenvertretungen müssen dazu verbessert werden.

(Dietrich Lohse)

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