Krieg & Frieden

Eine Antwort

Lynch-Justiz verurteilen

Cui bono? Wem nützt es, pflegte der alte Bart aus Trier zu fragen, wenn er sich in der British Library an einen Artikel machte. Er wußte: Die Wege des Einzelnen mögen oft unergründlich und willkürlich sein, in der Summe ergeben unser aller Bewegungen aber dennoch ein Muster. Wenn man eine Sache verstehen, d.h. vor allem ihre Folgen begreifen will, fragt man also am besten danach, wer von ihr in welchem Maße profitiert. Das wurde in den von BG kritisierten Kommentaren, die sich mit dem Krieg gegen Afghanistan befaßten, mehr in Vorübergehen getan und festgestellt, dass auf der Haben-Seite für die USA eine künftige militärische Präsenz in Zentralasien zu verbuchen ist, eine Region, um deren Neuaufteilung seit zehn Jahren gerungen wird. Was die Attraktivität dieses Flecken Erde ausmacht - und das haben sich nicht irgendwelche Linken Dogmatiker ausgedacht, sondern das ist durchaus auch in bürgerlichen Zeitungen nachzulesen - sind seine Erdöl- und -gaslagerstätten. (Dass deren strategische Bedeutung am aktuellen, täglich schwankenden Ölpreis abzulesen ist, kann BG eigentlich nicht ernsthaft glauben.) Wer das Thema vertiefen will, möge in der jüngsten Ausgabe der "konkret" nachlesen, die eine interessante Übersicht bietet.

Aber aus den politischen Motiven auf den Täter zu schließen, mag vielleicht (leider) dem Niveau in Teilen der Linken hier und anderswo entsprechen, mit Logik hat es nichts zu tun. Motive können bestenfalls als Hinweis dienen, in eine bestimmte Richtung zu ermitteln. Jedoch macht es wenig Sinn, entsprechende Spekulationen anzustellen. Derzeit wird man sowieso kaum verlässliche, unabhängige Quellen finden und sich daher nur in Verschwörungstheorien verheddern. Zum Verständnis der Situation kann die Antwort auf die Frage "Wer war es?" sowieso nur bedingt beitragen.

Das "Cui bono?" hilft da schon eher weiter. Dabei sollte man sich vor Augen halten, dass das zentralasiatische Öl und Gas (zu dem sich eine Reihe weiterer interessanter Rohstoffe, vor allem Erze, gesellen) natürlich nur ein Steinchen im Mosaik der Motive darstellen. Die USA z.B. haben über die Bodenschätze hinaus ein Interesse, sich in Zentralasien festzusetzen. Immerhin kann so die Containment-Politik gegenüber China komplettiert werden. Auf China, so eine vieldiskutierte Hauptlinie der amerikanischen Außenpolitik, müsse der Deckel drauf gehalten werden, da es in 20 bis 30 Jahren in der Lage sein wird, den USA den Platz als Supermacht Nr. 1 streitig zu machen. Dem scheint zu widersprechen, dass China das Vorgehen der USA unterstützt. Allerdings ist diese Unterstützung alles andere als bedingungslos. Außerdem hätte sich Peking schlecht eine offen Ablehnung leisten können, denn das Ergebnis wäre internationale Isolation gewesen. Schließlich, und das dürfte der wichtigste Grund sein, kann man im Windschatten mal eben reinen Tisch in Sinkiang machen, d.h. im Westen der Volksrepublik, wo die alteingesessene islamische Bevölkerung, die meist Turksprachen spricht, über die nationalistische Politik aus dem fernen Peking nicht besonders glücklich ist. Aber auch das nur ein Mosaiksteinchen.

Für Deutschland und Japan spielt indes eine wichtige Rolle, dass sie sich — zunächst an der Seite der USA — als Militärmächte auf der Bühne der Weltpolitik zurückmelden können. Und: Rund um den Globus nutzen Staaten die Gelegenheit zur verschärften Repression. "Sicherheitsgesetze" sind keine deutsche Besonderheit, sondern derzeit in den OECD-Staaten die Regel. In der EU gibt es derzeit auch auf diesem Gebiet eine Vereinheitlichung und Institutionalisierung (Stichwort: europäischer Haftbefehl), die andernfalls wahrscheinlich nur in einem sehr zähen Prozess durchzusetzen gewesen wäre. Wenn man sich die Ausfälle gegen die Antiglobalisierungsbewegung und die Stimmungsmache gegen Immigranten aus islamischen Ländern anschaut, sollte deutlich werden, dass sich die Repression nicht nur und gar nicht mal in erster Linie gegen das eigene Biotop richtet, wie BG meint.

Auf das Beispiel Ruanda soll hier nicht detailliert eingegangen werden, denn dafür fehlt es an Platz und Zeit. Nur so viel: Es hinkt gewaltig. Die Ruander sind nicht Opfer einer von Pazifisten zur Untätigkeit verdammten UNO geworden, sondern eines Stellvertreterkrieges zwischen den USA und Frankreich. Deshalb konnte die UNO gar nicht eingreifen, weil sich die beiden Sicherheitsratsmitglieder gegenseitig blockierten.

BG meint offensichtlich, von den Taliban und bin Laden drohe "ein Rückfall hinter die bürgerliche Revolution", vermutlich weltweit, denn anders wäre nicht zu verstehen, weshalb er aus diesem Bedrohungsszenario eine Unterstützung für die USA ableitet. Das wirft zwei Fragen auf: 1. Ist der islamische Fundamentalismus tatsächlich eine Macht, die in der Lage wäre, die bürgerliche Demokratie in Nordamerika oder Westeuropa zu stürzen? 2. Verteidigen die USA die bürgerliche Republik gegen die religiöse Reaktion?

Die erste Frage beantwortet sich eigentlich von selbst. Wie soll eine Bewegung, die hierzulande über keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung verfügt und auch nicht die entsprechenden militärischen Mittel zur Hand hat, die bestehende gesellschaftliche Ordnung umstoßen? Was die zweite Frage angeht, so lohnt sich ein Blick auf die Mittel, mit denen die USA — im stillschweigenden Einverständnis mit der Berliner Regierung — ihren "Krieg gegen den Terror" führt: Über 600 Verdächtigte sitzen an unbekannten Orten seit September, und zwar bisher ohne Prozess. US-Präsident Bush kündigt die Einrichtung von Militärtribunalen für "Nicht-Bürger" an. Angesehene Zeitungen diskutieren in aller Öffentlichkeit, ob man nicht auch wieder ganz legal foltern sollte. Und: Der CIA "darf" jetzt auch wieder ganz offiziell, was er sowieso schon immer gemacht hat: Foltern und Morden (natürlich nur "Nicht-Bürger").

Lager in Afghanistan

Außerdem das Völkerrecht, das sich in den letzten etwa 100 Jahren herausgebildet hat, und so etwas wie die Übertragung des bürgerlichen Rechts auf die supranationale Ebene darstellt: Man muss es genauso wenig wie die bürgerliche Republik lieben, denn beide sind recht fern von den Zuständen, wie sie in einer zivilisierten Welt sein sollten. Doch ist die Alternative, die die USA und die EU gerade etablieren, in der Tat gruselig. Vor allem Washington ist dabei, das Faustrecht an die Stelle multilateraler Verträge und Konventionen zu setzen. Daher ist es auch keine Kleinigkeit, wenn auf einem Auslieferungsgesuch für bin Laden bestanden wird. Oder was würde BG sagen, wenn auf Anweisung der Bundesregierung Bankräuber oder auch Massenmörder aus — sagen wir mal Aarhus — gekidnappt und dabei die halbe Stadt zerbombt und ein paar Tausend ihrer Einwohner umgebracht würden. Es geht nicht um nebensächliche Formalien, sondern darum, die Lynch-Justiz der "zivilisierten Welt" zurückzuweisen. Wer es mit der Verteidigung der bürgerlichen Republik gegen die Reaktion ernst meint, muss Lynch-Justiz verurteilen. Auch wenn sie zufällig mal die Richtigen treffen sollte.

Schließlich sagen die Zustände in Afghanistan nach dem Vorrücken der Nordallianz eigentlich genug über den moralischen Zustand der westlichen Verbündeten und ihrer Partner aus: Das Massaker an über 500 gefangenen (ausländischen) Taliban-Kämpfern in Massar-i-Sharif, wo nach Angaben des BBC ein US-Soldat drei Gefangene bei einem Verhör kaltblütig erschoss und dadurch die Revolte provozierte, die Zivilisten, die aus dem belagerten Kandahar fliehen und in der Wüste vegetieren, Berichte von Massenhinrichtungen von Kriegsgefangenen, darunter junge Rekruten, die gerade erst zum Dienst gepresst worden waren oder, wieder einmal, die Bombardierung eines Nachrichtensenders, diesmal Al-Jazeeras in Kabul, der zu kritisch über die USA berichtet hatte. Amnesty International und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die beide mit eindringlichen Worten eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle in Massar-i-Sharif fordern, gehören doch eigentlich nicht zu den linksradikalen Kreisen, die sowieso immer gegen die USA Position ergreifen. Ob BG denen glaubt, wenn schon nicht den diversen linken Organisationen aus Afghanistan und den Nachbarländern, die den Lauf der Ereignisse vorhergesehen hatten und deshalb den Krieg der USA gegen das auch bei ihnen verhasste Taliban-Regime ablehnten? (wop)

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