Kommentar

Vorsicht Bommelmann!

Bloße 130 Jahre, nach dem die industrielle Revolution die häusliche Produktion in den Städten weitgehend verdrängt und Männer und Frauen erst an die Fabrik, später auch an Ladenthresen und Schreibtisch gefesselt hat, haben die stets um unser Wohl besorgten Stadtväter und -mütter im Rathaus gemerkt, das etwas getan werden muss. Während in zivilisierten Ländern die Ganztagsschule schon seit mindestens 50 Jahren die Regel ist (in Ostdeutschland wurde sie nach dem Anschluss abgeschafft, da der Westen natürlich alles besser weiß) ist nun in Kiel zumindest die verlässliche Grundschule in aller Munde. Man soll es nicht glauben, aber es hat tatsächlich jemand in der Verwaltung mitbekommen, dass es nicht so besonders pralle ist, Sechsjährige wegen Stundenausfall nach Hause zu schicken, wenn nicht gesichert ist, dass dort die Eltern warten. Es soll nämlich auch in Kiel vorkommen - hat man im Rathaus gehört - dass diese arbeiten (müssen).

Aber Kiel wäre nicht Kiel, hätte es nicht seine tüchtige Sozialdezernentin und Bürgermeisterin Annegret Bommelmann. Die dachte sich - treue Gefolgsfrau des großen Königs, die sie ist: Betreuung in der Schule? Hort? Hoppla, da kann man doch bestimmt was sparen!

Gesagt, getan. Man könne ja, so Bommelmann, die Betreuung der Kinder ganz von den Horten an die "kostengünstigeren" Schulen verlegen. "Über die formalen Voraussetzungen an die Qualifikation der MitarbeiterInnen (die die Betreuung außerhalb des Unterrichts übernehmen) sollte hier noch einmal nachgedacht werden können. Ob sie in jedem Fall so hoch anzusetzen ist, wie bei den Standards der Hortbetreuung, ist zu überprüfen." Man ahnt es schon, die Sozialdezernentin denkt allen Ernstes darüber nach, 630-DM-Kräfte oder auch unbezahlte Elterneigeninitiative einzusetzen. Bei soviel Elend sozialdemokratischer Mangelverwaltung packt einen nur noch das nackte Grauen.

Auf einer stadtweiten Personalversammlung Mitte November ging es entsprechend hoch her. Entlassungs- bzw. Privatisierungspläne beim Tiefbauamt und den städtischen Labors trugen das ihrige dazu bei. Man kann nur hoffen, dass sich die Betroffenen endlich organisieren und gemeinsam Front machen. Von der materiellen Seite sind jedenfalls die Bedingungen für ein breites Bündnis vorhanden, denn neben den Eltern, für deren Kinder sich die Betreuung verschlechtert, trifft es auch die Erzieher, und zwar auch die auf den befristeten Stellen in den Kindergärten, denn die werden die ersten sein, die fliegen. (wop)

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