Flucht & Asyl

Konferenz "Fluchtweg Ostsee" erfolgreich beendet

Eine vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und einem breiten Trägerkreis organisierte Konferenz mit dem Titel "Fluchtweg Ostsee" ist am Sonntag, den 18. 11. in der Evangelischen Akademie Nordelbien erfolgreich zuende gegangen. Angesichts der EU Osterweiterung und des Harmonisierung des Europäischen Asylrechts in dessen Verlauf alle nordischen Staaten das Schengenregelwerk übernommen haben, haben über 100 TeilnehmerInnen aus allen Ostseeanrainerländern in Bad Segeberg drei Tage lang die Aufnahme- und die Integrationsbedingungen für Flüchtlinge in Polen und Russland sowie in den baltischen und skandinavischen Ländern erörtert. Bei einer der Konferenz vorgeschalteten Exkursion hatten die ausländischen TeilnehmerInnen bei Besuchen in Bundes- und Landesbehörden in Lübeck sowie bei Unterstützungsinitiativen in Hamburg Gelegenheit, sich über die Asylpraxis und Probleme des Flüchtlingsexils in Deutschland zu informieren.

Besonderes Interesse fand die Konferenz bei zahlreichen Organisationen aus den baltischen Staaten, Polen, St. Petersburg und Kaliningrad. Sie gaben engagiert Einblicke in die Etablierung eines Asylsystems in ihren Ländern, das zuweilen skurrile Züge annimmt, da insbesondere in Lettland und Estland die Zahl von Asylanträgen minimal ist und trotzdem ein ausgefeiltes und mit zahlreichen Restriktionen versehenes Prozedere aufgebaut wird. Zu konstatieren ist, dass die Angleichung der Asylsysteme an "EU-Standards" weit fortgeschritten ist mit dem positiven Effekt, dass überhaupt gesetzliche Regelungen zum Schutz von Flüchtlingen eingeführt wurden, jedoch mit dem negativen Effekt der gleichzeitigen Einführung restriktiver Elemente wie beschleunigte Asylverfahren, dem Instrument der sicheren Drittstaaten bzw. der sicheren Herkunftsländer etc. Damit einher geht eine weitere Aufrüstung der Grenzen und eine Verlagerung der Entscheidung über Zugang zum Land und damit zum Asylverfahren auf die Grenzbehörden. Dies wurde einhellig kritisch betrachtet. Der UNHCR befindet sich in diesem Prozess in der Situation einerseits die Etablierung des Asylsystems zu begleiten andererseits auch die Arbeit von NGOs zu stützen, die bisher kaum über Strukturen verfügen. VertreterInnen von UNHCR und NGOs aus den EU-Anwärterstaaten waren sich darüber hinaus einig darin, dass zu wenig für die soziale Integration der Flüchtlinge getan wird und u.a. deshalb selbst anerkannte Flüchtlinge in westliche EU-Länder weiterwandern möchten. Besonders problematisch ist die soziale Lage von Flüchtlingen in Russland wie VertreterInnen aus St. Petersburg und Kaliningrad berichteten. Sie erhalten keinerlei soziale Unterstützung und sind existenziell auf unbürokratische Hilfe von engagierten Einzelpersonen und Organisationen angewiesen bis zum Erhalt eines Flüchtlingsstatus. Ein weiterer Schwerpunkt war die Situation von Menschen in Abschiebehaft und die zunehmende Illegalisierung von MigrantInnen, die in den Baltischen Staaten insbesondere in Lettland und Estland noch eine besondere Komponente hat, da hier auch Angehörige des russischen Bevölkerungsteils durch die Einbürgerungsgesetze in die Illegalität geraten. Die Bedingungen in den Abschiebeeinrichtungen in den Baltischen Staaten wurden als katastrophal beschrieben. Der Zugang ist selbst für den UNHCR nicht immer gewährleistet und die mögliche Haftdauer ist unbefristet, so dass Menschen zum Teil Jahre in Abschiebehaft sitzen.

Bedauerlicherweise waren nur wenige Organisationen aus Skandinavien vertreten. Offensichtlich scheint dort der Bedarf an Kontakt und Vernetzung nicht so groß zu sein. Zum einen gibt es von Skandinavien aus schon seit längerem Partnerschaften mit Organisationen im Baltikum, die sich im wesentlichen in logistischer Unterstützung manifestiert. Zum anderen könnte das geringe Interesse mit dem Umstand zusammenhängen, dass die jeweils landesweit agierenden Organisationen wie der Dänische Flüchtlingsrat oder das Finish Refugee Advice Centre teilweise in quasi-staatlichen Strukturen arbeiten und zumindest dem Eindruck nach wenig Kontakt zu Basisorganisationen haben. So musste sich denn auch die Vertreterin des Dänischen Flüchtlingsrates fragen lassen, ob ihre Organisation nicht im Kreuzfeuer der Kritik aus der solidarischen Flüchtlingsarbeit stünde, wenn der Flüchtlingsrat z.B. sein Vetorecht im Rahmen der Widerspruchskammer nur in 20% der Fälle nutzt. Wichtig wäre es in Bezug auf die Skandinavischen Ländern in jedem Fall, stärker in Kontakt mit kleineren Organisationen zu treten, um sich ein differenzierteres Bild von der Lage zu machen. Jedoch betonten auch die anwesenden VertreterInnen, dass sich eine zunehmende Restriktion im Asylrecht erkennen lässt und die Einführung der Schengen-Regelungen nationale Spielräume negativ eingeengt haben.

In den Arbeitsgruppen am Sonntag wurde noch einmal deutlich, wie notwendig ein weiterer Austausch über Ländergrenzen hinweg ist für die politische Lobbyarbeit gegen eine Festung Europa aber auch für praktische Kooperation zum Beispiel bei Familienzusammenführung oder bei der Auseinandersetzung mit den Standards für minderjährige Flüchtlinge. Es wurde aber auch erheblicher Gesprächsbedarf hinsichtlich von Definitionen und Sichtweisen deutlich, denn die NGOs in den EU-Anwärterstaaten sahen die zu erwartende Zunahme an Flüchtlingszahlen vorrangig unter dem Aspekt der Belastung angesichts der wirtschaftlichen Lage ihrer Länder. So enthielt denn auch die Erklärung, die die TeilnehmerInnen im Anschluss an die Konferenz verabschiedeten, die Forderung, dass der Prozess der Harmonisierung des Europäischen Asylrechts nicht zu Lasten humanitärer Standards im Flüchtlingsrecht gehen darf und die wirtschaftliche Belastung nicht in die Anwärterstaaten als Vorposten der EU verlagert werden kann.

Die VertreterInnen von NGOs aller Ostseeanrainerstaaten erklärten darüber hinaus ihr Interesse und ihre Bereitschaft, den regelmäßigen Austausch über Ländergrenzen hinweg zu intensivieren und auf diesem Wege ein Netzwerk der in der solidarischen Flüchtlingshilfe im Ostseeraum Tätigen zu schaffen. Angedacht wurde in diesem Zusammenhang die Umsetzung eines EDV-gestützten Netzwerkes von Gruppen und Organisationen der Flüchtlingssolidarität im Ostseeraum.

Eine Dokumentation der Konferenz wird Anfang nächsten Jahres über den Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein erhältlich sein. Weitere Informationen zum Thema sind zu finden unter www.baltic-refugee.net und www.frsh.de, wo auch der Bericht einer Delegationsreise nach Polen und in die baltischen Staaten veröffentlicht ist. Der Bericht kann als Heft ebenfalls angefordert werden.

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