Internationales

Argentinische Krise:

Illegitime Forderungen

Koordinierungstreffen von Vertretern der Nachbarschaften in Buenos Aires
Koordinierungstreffen von Vertretern der Nachbarschaften in Buenos Aires

Einmal mehr hat die bittere Medizin des Internationalen Währungsfond (IWF) ein Land an den Rand des Ruins gebracht - zum Nutzen europäischer und nordamerikanischer Gläubiger, deren Forderungen wie immer bis zum bitteren Ende bedient wurden. Bereits seit drei Jahren befand sich das einstige neoliberale Musterländle Argentinien in der Rezession, als in der zweiten Jahreshälfte sich die Wirtschaftslage weiter zuspitzte. Schuld daran hatte unter anderem die extreme Sparpolitik der Regierung, die Renten und Gehälter der Staatsangestellten weiter kürzen wollte, um vom IWF die dringend benötigten Kredite zu bekommen. Geld, das zur Begleichung der alten Schulden gebraucht wurde.

Kurz vor Weihnachten explodierte schließlich die Wut, und zwar nicht nur der städtischen Armen und der organisierten Arbeiter, sondern auch der verarmten Mittelklassen. Nach heftigen Straßenschlachten und der Plünderung der Supermärkte im ganzen Land musste Präsident de la Rúa seinen Hut nehmen. Drei weitere Präsidenten folgten ihm in schneller Folge, bis sich die Lage wieder beruhigte. Die neue Regierung hat unterdessen angekündigt, den Peso abzuwerten und Kapitalkontrollen einzuführen. Bleibt abzuwarten, ob die Propheten und Profiteure des Neoliberalismus in Washington, Madrid und Frankfurt diesen Abfall von der reinen Lehre mittelfristig dulden werden. Immerhin könnte für die Länder des Südens ein Präzedenzfall geschaffen werden, was für die Gewinner der Liberalisierung des Weltmarktes kaum hinnehmbar sein dürfte. Andererseits wird auch den hartgesottensten Wirtschaftsliberalen schwanen, dass angesichts der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise ein Fall wie Argentinien leicht die globale Ökonomie erschüttern könnte, versucht man nicht die lokale Krise einzudämmen. Im argentinischen Drama ist also der letzte Vorhang noch nicht gefallen.

Wie kam es zum Zusammenbruch im Land des Tangos?

Der Sturz des argentinischen Präsidenten de la Rúa, schrieb der US-amerikanische Ökonom und Autor des linken Z-Magazins Mark Weisbrot am 25. Dezember in der Washington Post, könne niemanden überrascht haben. "Die Implosion Argentiniens trägt eindeutig den Fingerabdruck des Internationalen Währungsfond (IWF)." Dem Land war letztendlich die feste Bindung an den US-Dollar zum Verhängnis geworden. Wie in anderen sogenannten Schwellenländern wurde am Rio de la Plata 1991 der Kurs der Landeswährung gegenüber dem Dollar fixiert. Seinerzeit galt das bei Fond und Weltbank als das Non-Plus-Ultra einer soliden Wirtschaftspolitik. Doch beim IWF will man von einer Mitschuld am argentinischen Dilemma nichts wissen: Noch im September, nach dem das Land bereits seine ersten Generalstreiks gegen das Diktat des Fond hinter sich hatte, behauptete Thomas Dawson, IWF-Direktor für auswärtige Angelegenheiten, in der Los Angeles Times, dass sich die Dollarbindung in Argentinien breiter Unterstützung erfreue. Die argentinische Regierung würde die Armen vor den schlimmsten Folgen der Anpassung schützen und "Kürzungen der Löhne und Renten begrenzen". Auch einen Tag nach de la Rúas Rücktritt zeigte sich Dawson auf einer Pressekonferenz weiter uneinsichtig. Auf wiederholte Nachfragen von Journalisten, ob der IWF für die Unruhen in Argentinien verantwortlich sei, ließ er schließlich wissen man habe "sicherlich eine Beziehung zur argentinischen Regierung unterhalten". Ansonsten könne er auf eine so allgemeine Frage keine Antwort geben.

Anfang Dezember hatte eine Entscheidung des Fond, eine Kredit-Tranche in Höhe von 1,28 Mrd. US-Dollar nicht auszuzahlen, der argentinischen Wirtschaft den letzten Stoß gegeben. Obwohl in 2001 bereits rund 30 Milliarden Dollar an Zinsen und Rückzahlungen geleistet worden waren - ca. 9 Prozent des Bruttosozialprodukts und mehrere Milliarden Dollar mehr, als zur gleichen Zeit an Waren exportiert wurde - war das Land mit der Weigerung des IWF, weitere Hilfskredite zur Verfügung zu stellen, zahlungsunfähig. Begründet wurde das Unterlassen der Hilfestellung damit, dass die derzeitige Politik der Regierung nicht geeignet sei, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zu erreichen.

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Angesichts der hohen Auslandsschulden von über 140 Milliarden Dollar hätte allerdings ein weiterer Kredit das Elend nur verlängern können. Über die Hälfte seines Staatshaushaltes hatte Argentinien in den letzten Jahren in den Schuldendienst stecken müssen, und doch war der Schuldenberg ständig gewachsen, da die Zinsen in den Himmel schossen. Angesichts der Überbewertungen von Dollar und Peso, die sich seit Mitte der 90er herausgebildet hatte, ließen Argentiniens Gläubiger sich nämlich ihr Risiko teuer bezahlen. Denn je mehr die argentinischen Exporte wegen des teuren Pesos lahmten und je mehr die Verschuldung wuchs, desto wahrscheinlicher wurde der jetzt eingetretene Fall von Zahlungsunfähigkeit und Abwertung. Die hohen Zinsen hatten zudem wiederum das ihre zur Misere beigetragen, indem sie die Inlandskonjunktur erdrosselten. Von einem bestimmten Zeitpunkt an, war das ein Teufelskreislauf, den der IWF mit immer neuen Krediten und mit Auflagen weiter anheizte, die die Binnennachfrage auf ein Minimum herunterdrückten. 40 Milliarden Dollar hatte es alleine im Jahre 2000 gegeben. Eine Summe, die noch vor wenigen Jahren, das heißt bis zur Asienkrise, auch von Fachleuten für astronomisch gehalten worden wäre, inzwischen aber schon fast normal ist.

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Im Ergebnis dienten die IWF-Kredite dazu, den Schuldendienst solange wie möglich aufrecht zu erhalten und dafür noch die allerletzten Ressourcen Argentiniens zu mobilisieren. Bereits während der Asienkrise einige Jahre zuvor war der Fond wegen dieser Politik als Schuldeneintreiber des Nordens bezeichnet worden.

Und wie in Ost- und Südostasien hatte auch diesmal die Bevölkerung die Kosten zu tragen: Lohnkürzungen wurden durchgesetzt, die Bezüge der Staatsangestellten beschnitten, ebenso die Renten. Das Bildungssystem und die Gesundheitsversorgung sind nur noch ein bloßer Schatten ihrer selbst und öffentliche Einrichtungen wie Telefongesellschaft, Energieversorgung und Erdölindustrie längst ans europäische oder nordamerikanische Ausland veräußert. Vor allem Spanien hat sich seit Beginn der 90er umfangreich im Pampa-Staat eingekauft und den USA den Rang der Nummer 1 unter den Investoren abgelaufen.

la mira

Die deutsche Erlassjahr-Kampagne hat angesichts der argentinischen Krise ihre Forderung nach einem Insolvenz-Verfahren für Staaten erneuert, dass eine Entschuldung und damit einen Neuanfang ermöglichen würde. Auch aus Kreisen von ATTAC kommen bereits seit längerem ähnliche Forderungen. Postwendend kam aus einigen hiesigen linken Organisationen der Reformismus-Vorwurf. Die Frage ist allerdings, wie anders Argentinien aus der Schuldenfalle herauskommen kann. Denn so lange die Verhältnisse sind, wie sie sind, bedeutet ein Aussetzen des Schuldendienstes den Verlust der Kreditwürdigkeit. Das wiederum - diese Erfahrung mussten in den 80ern u.a. verschiedene lateinamerikanische Staaten machen - behindert den Außenhandel ganz erheblich, der ohne kurzfristige Kredite kaum möglich. Das wäre für jedes Land unangenehm, für die stark importabhängigen Ökonomien der unterentwickelt gehaltenen Ländern aber schieres Gift.

Aber natürlich würden auch mit einem Insolvenz-Verfahren die hiesigen Gläubiger nicht freiwillig auf ihre Forderungen verzichten. Deshalb wird so oder so (ob man die Forderung nach einem Entschuldungsverfahren nun ablehnt oder teilt) Solidarität mit den sozialen Bewegungen in Argentinien hierzulande vor allem darin bestehen müssen, den entsprechenden politischen Druck aufzubauen, damit deutsche Banken und die Bundesregierung ihren Teil der Kredite abschreiben. Denn die argentinischen Schulden sind allemal illegitim. Zum einen, weil sie, wie in den meisten Entwicklungsländern, längst durch Zinszahlungen zurückgezahlt wurden, zum anderen, weil sie ihren Ursprung zumeist in der Zeit der Militärdiktatur haben, die das Land in den 70ern und frühen 80ern beherrschte. Seinerzeit nahmen die Generäle Kredite bei europäischen und amerikanischen Banken auf, um sich unter anderem mit Waffen einzudecken. (wop)
Argentiniens Ölproduktion und -verbrauch in den letzten 20 Jahren: Trotz eines erheblichen Anstiegs der Exporte nahm die Auslandsverschuldung weiter zu. Dank der Privatisierung gingen die Gewinne aus dem Öl vor allem nach Spanien

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