Flüchtlingsprojekte

Mauscheleien bei EU-Programm gefährden Projekte an der Basis

Anfang des Monats ging ein Skandal um Riesters Arbeitsministerium durch die Presse. Einige sahen schon Riesters Stuhl wackeln, die CDU forderte forsch den Rücktritt. Ein Mitarbeiter des Ministeriums hatte die Abwicklung des neu aufgelegten EU-Förderprogramms EQUAL widerrechtlich ohne Ausschreibung an die Firma seiner TanzpartnerIn vergeben. Die Bonner Privatfirma Europabüro für Projektbegleitung (efp) erhielt auf diesem Weg einen millionenschweren Auftrag gegen den Willen der EU-Kommission, die für die Vergabe eine öffentliche Ausschreibung zur Bedingung gemacht hatte und darüber hinaus Zweifel an der Eignung des Unternehmens hatte. Die hatten allerdings auch die AntragstellerInnen, die Projekte zur Eingliederung von benachteiligten Gruppen in den Arbeitsmarkt geplant und beantragt hatten. Insbesondere nutzten diesmal bundesweit so auch in Schleswig-Holsten Vereine und Initiativen, die mit Flüchtlingen arbeiten, die Chance, Gelder von der EU zu bekommen, da erstmalig auch AsylbewerberInnen zur Zielgruppe eines Programms gehörten, das auf Qualifizierung für den Arbeitsmarkt ausgerichtet ist.

In Aussicht stand die Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen für mindestens drei Jahre für die VeranstalterInnen und eine Chance für die Flüchtlinge, noch während des Asylverfahrens Weiterbildungsangebote zu nutzen, was ihnen bisher verwehrt ist. Die Antragstellung war gebunden an Kooperation mit anderen Organisationen und eine Einbindung der Projekte in regionale Strukturen, was eine langfristige Vorarbeit in der Konzeptionierung und Verbreitung der Projektidee erforderte neben der ohnehin sehr aufwendigen bürokratischen Anforderung an die Antragsgestaltung. In Schleswig-Holstein nahmen verschiedene kleinere und größere Initiativen und Verbände diesen Kraftaufwand in Kauf, der häufig die wenigen vorhandenen personellen Ressourcen an die Grenzen brachte, da ja auch die laufende Arbeit geleistet werden musste. Vier Anträge aus Schleswig-Holstein kamen nach einem Interessenbekundungsverfahren in die engere Wahl. Darunter auch die Projekte mit der Zielgruppe AsylbewerberInnen.

Doch eben dieses Verfahren führt nun dazu, dass sich mindestens der Projektbeginn um ein halbes Jahr verzögert und eventuell sogar der Aufwand ganz umsonst betrieben wurde. Dieser war auch deshalb so groß, weil die Vorarbeit seitens der efp ausgesprochen mangelhaft war. So sollte die Antragstellung per Internet erfolgen, wobei die efp noch bei laufender Frist die Software entwickelte und es infolgedessen zu zahlreichen Pannen und Verzögerungen kam. Diejenigen, die nicht in die engere Auswahl kamen, bemängelten zudem verständlicherweise, dass sie nicht mal eine Begründung für die Ablehnung bekamen und das Verfahren insgesamt undurchsichtig gewesen sei. Auch auf zwei mit viel Pomp veranstalteten bundesweiten Informationsveranstaltungen glänzte die Firma durch Inkompetenz. Als nun aufgrund der Intervention von seiten der EU und aufgrund von Klagen einiger nicht berücksichtigter AntragstellerInnen die Unregelmäßigkeit bei der Vergabe der bundesweiten Koordinierung aufflog, geriet das Arbeitsministerium in Erklärungsnotstand. Ein Übriges taten Presseveröffentlichungen und der Druck durch die CDU, die den Stoff mit Blick auf den Wahlkampf begierig aufgriff.

Gegen den zuständigen Referatsleiter - ein CDU-Mitglied - wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Zwei weitere Ministeriumsmitarbeiter wurden versetzt. Riester berief sich darauf, aus dem Referat nicht ausreichend informiert worden zu sein, und rettete mit den Strafmaßnahmen und der Kündigung der Verträge mit der efp die EU-Gelder, die sonst in Millionenhöhe für die Bundesrepublik verloren gewesen wären. Die EU-Kommission verzichtete dementsprechend auf die Einleitung eines Rechtsverfahrens. Riesters Kopf ist also gerettet. In die Röhre gucken die kleinen AntragstellerInnen vor Ort und ihr Klientel. Sie haben für die geforderte aufwendige und zudem schlecht begleitete Antragstellung enorme Vorleistungen gebracht, die jetzt u. U. in der Schublade landen, mindestens aber nicht in den geplanten Zeiträumen nutzbar gemacht werden können. Ursprünglich sollte eine Entscheidung über die einzelnen Anträge im September erfolgen, dann im Dezember und jetzt wird ein Termin schon gar nicht mehr genannt, da noch die Entscheidung aussteht, ob die Koordinierung noch einmal neu ausgeschrieben oder vom Ministerium selbst durchgeführt wird. Eine Neuausschreibung würde bedeuten, dass die erste Projektphase in der Bundesrepublik ganz entfällt, da das Programm in den anderen europäischen Ländern schon im November angelaufen ist.

Derartige Vorleistungen, Verzögerungen und Planungsunsicherheit können nur große Verbände und Sozialunternehmen verkraften, kleine Organisationen - und zu diesen zählen u.a. nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit die meisten AntragstellerInnen aus dem Flüchtlingsbereich - geraten dabei an ihre Grenzen. So bleiben unter Umständen gute, an der Praxis orientierte Projekte auf der Strecke aufgrund von Mauscheleien und unverantwortlichem Umgang mit EU-Geldern auf Bundesebene, aber auch aufgrund der besonderen Resistenz deutscher Behörden gegenüber Innovationen. Dies gilt insbesondere für den Asylbereich. So gab es auch bei der Umsetzung des von der EU beschlossenen Europäischen Flüchtlingsfonds in Deutschland erhebliche Verzögerungen, da das europäische Konzept mit dem restriktiven Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland kollidierte, der Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge nicht vorsieht. Ein Nichtzustandekommen der Projekte und die Vergeudung von ohnehin begrenzten Ressourcen wäre der eigentliche Skandal, nicht der mögliche Sturz eines Arbeitsministers. (aw)

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