Kernspalte

attac sei ein Reform- und Reklamegag des Kapitals mit zwei linken Feigenblättchen, mutmaßte neulich ein Ex-Abonnent der Linx. Während unklar bleibt, warum das ein Kündigungsgrund sein soll, scheint er doch inhaltlich gar nicht so unrecht zu haben. Mitte Dezember haben sich "attac Italien" und eine "Kampagne für die Reform der Weltbank" zu einer Demonstration gegen EURATOM-Kredite für den Atomreaktor Cernavoda II in Rumänien zusammengefunden. Ort der Demo: die staatliche Agentur für Exportkredite in Rom, SACE. Motto: "SACE out of Nukes". Die italienische Regierung mag von Faschisten und Mafiosi nur so wimmeln - Hauptsache, ihr Geld wird nicht in ausländische Atomprojekte gesteckt! Dass diese Kombi nicht vollkommen unrealistisch ist, zeigt die FPÖ in Österreich, die in den nächsten Tagen mit ihrer Volksbefragung gegen Atomkraft, speziell das AKW Temelin in Tschechien, loslegen will. Da Italien aber selbst über vier - allerdings stillgelegte - Kernkraftwerke verfügt, wird die Argumentation gegen Cernavoda 2 ungleich schwerer.

Temelin, das vorerst nicht privatisiert wird, weil EdF und Enel-Iberdrola keine 5,7 Mrd. EUR für eine 67%ige Beteiligung an der CEZ ausgeben wollten, lieferte inzwischen wieder selbst die besten Argumente. Am 22. Dezember wurde die Leistung von 75 auf 90% gesteigert, und weil die damit verbundenen Tests ein paar Tage so erfolgreich verliefen, kam am 10. Januar die Erlaubnis, auf volle Leistung hochzufahren. Das wurde in der Nacht zum 11. Januar gemacht, doch schon nach ein paar Stunden schaltete der Reaktor sich automatisch ab. Als Grund wurde einerseits "Fehler im Stromkreislauf", andererseits "Fehlfunktion eines Generators" angegeben. Die Atombehörde erklärte, die technischen Probleme hätten nichts mit der Sicherheit zu tun. Wann die geplanten 300 Tests bei Vollast nachgeholt werden können, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Ein Problem mit der Stromversorgung (in einem Kraftwerk!) gab es auch in Deutschlands ältestem AKW Obrigheim, auch dort verlautbarte: "sicherheitstechnisch nicht bedeutsam". In Bilbis tropfte schwach radioaktives Kühlwasser aus einer Rohrleitung: "keine Gefahr für Personal oder Reaktor". Im belgischen AKW Tihange überschwemmten etliche Dutzend Kubikmeter Kühlwasser einen ganzen Parkplatz: das war aber "nicht radioaktiv" und der Vorfall "völlig ungefährlich". Nahe des georgischen Dorfes Dschware wurden drei Waldarbeiter verstrahlt, als sie lecke Behälter mit Strontium90 entdeckten, die dort offenbar schon 30 Jahre lagerten. Der Zustand der Arbeiter wird als "ernst" beschrieben, aber für die Dorfbewohner besteht natürlich "keine Gefahr". Trotzdem gibt es auch eine Ausnahme von der Internationale der atomtechnischen Harmlosigkeit: Zum Jahreswechsel traten große Mengen Radioaktivität aus einem schwedischen Container voll Iridium192 aus, der in die USA transportiert worden war. Das Leck sei vermutlich bei der Ankunft in Memphis entstanden, wurde aber erst in New Orleans von einem Lastwagenfahrer entdeckt. Behörden von Louisiana und Schweden nahmen Ermittlungen auf, ein Wissenschaftler der Umweltbehörde in Louisiana klassifizierte die ausgetretene Radioaktivität als "weit über dem zulässigen Limit".

Atomanlagen können nicht nur Kriegsziele sein, sondern auch der Kriegsgrund. George Bush würde liebend gerne Nordkorea gleichschalten, und da kommt die Auseinandersetzung über die Inspektion des nordkoreanischen Atomprogramms durch UN-Inspektoren gerade recht, um das Land auf die Liste der "Schurkenstaaten" zu setzen, die die internationale Gemeinschaft nach Afghanistan, Iran und Somalia auch noch angreifen könnte. Pjöngjang konterte jedenfalls seine Weigerung, über Raketen und Atomreaktoren auch nur zu reden, mit dem Hinweis, dass die USA kurz vor Weihnachten aus dem 1972 unterzeichneten ABM-Vertrag ausgestiegen sind, weil der eine "Behinderung des nationalen Raketenabwehrsystems" (Bush) darstelle. Derweil hat Russland Verträge mit China, Indien und Iran über die Lieferung von Atomtechnologie abgeschlossen. Gegen die ersteren können die USA zur Zeit naturgemäß wenig einwenden, aber gegen den 800-Mio-Dollar-Vertrag mit Teheran setzte es schon Proteste. Die Russen sollten das Geschäft absagen, weil "die Technologie für den Bau von Atomwaffen eingesetzt werden könne". Ironischerweise empfahl das US-Verteidigungsministerium fast am gleichen Tag im eigenen Land die Entwicklung kleiner Atomsprengköpfe gegen z.B. unterirdische Ziele. Diese sollen eine maximale Sprengkraft von 5 Megatonnen haben. Ein Gremium zur Prüfung dieser Entwicklung besteht bereits, atomwissenschaftliche Voruntersuchungen liegen vor. Letzte Hürde ist nun das Verbot des Kongresses von 1994, neue Atomwaffen zu entwickeln.

Auch Russland baut weiter auf Atomtechnologie. Der Schock von Tschernobyl sei nun überwunden, verkündete Atomminister Rumjanzew. Deshalb wurde schon im letzten März der erste neue Reaktor seit 1986 bei Rostow in Betrieb genommen, dieses Jahr folgt einer in Kursk, 2003 Kalinin, 2005 Rostow 2 und 2009 Belojarsk. Elektrifizierung minus Sowjetmacht, was gibt das gleich nochmal? Eine ganz tolle Sache, besonders mit Geschenkpapier und Schleifchen drumrum, die auch in Britannien schon mal unter den Tannenbaum gelegt wird: "Das sind wunderbare Nachrichten und das schönste Weihnachtsgeschenk, das wir bekommen konnten", sagte Jack Allen, Manager von Sellafield, und meinte eine Genehmigung der britischen Kontrollbehörde, die ihm erlaubte, am 20. Dezember die neue MOX-Fabrik in Betrieb zu nehmen. (BG)

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