Debatte

Zum Leserbrief von SG, LJ, JS

29.1.2002

Ich begrüße es, dass mein Artikel immerhin zur Kenntnis genommen wurde. Weiterhin begrüße ich, dass SG von seiner damaligen Austrittsbegründung, die "Mehrheit der Redaktion" vertrete pro-imperialistische Positionen, offenbar Abstand genommen hat (es war natürlich Unsinn, das wußte SG am besten, denn wenn er sich selbst mitgezählt hätte, teilten 5 Redaktionsmitglieder seine Anti-Kriegs-Position, nur zwei, darunter ich, vertraten andere und auch nicht identische Positionen, die von SG wahrscheinlich als Fahnenflucht interpretiert wurden). Mittlerweile heisst es nur noch: "BG steht ... mit seinen Positionen nicht allein."

Natürlich aber geschieht dies nicht aus Reue über die verbreitete Unwahrheit, sondern jetzt werden härtere Geschütze aufgefahren. Einerseits wird verlangt, die LinX solle die Diskussionen "organisieren" (wozu sie aber unfähig sei), andererseits soll aber jede vom durch die Leserbriefschreiber festgelegten Mainstream abweichende Meinung durch ebendiese Redaktion wegzensiert werden. Es ginge ja nicht an, dass "Artikel beider Positionen ... vollkommen unvermittelt nebeneinander (stehen)". Insbesondere finden sie es falsch, dass die Redaktion "schweigt", bzw. "beide Positionen ihre Berechtigung haben". Richtig wäre also, wenn nur die eine Position eine Berechtigung hat (anscheinend kommt auch der KBW zweimal in der Geschichte vor, zunächst als Tragödie, heute als Farce...).

Nun weiss ich ja nicht, welchen Sinn eine Diskussion haben soll, deren Ergebnis von vornherein festgelegt wird, noch dazu von außerhalb der LinX-Redaktion, und bei der kontroverse Thesen nicht einmal vorgetragen werden dürfen. Ich fände es aber toll, wenn dieser Rigorismus sich nicht auf eine marginale linke Regionalzeitung beschränken würde, sondern z.B. mal auf die Landesrundfunkanstalten ausgedehnt würde, in denen ja prozentual noch viel mehr "Falsches" (im Sinne von nicht-"pc") gesagt oder auch nur nervtötend gedudelt wird.

Nett wäre es aber, wenn die Leserbriefschreiber nur das wiedergeben, was ich geschrieben habe, und nicht das, was sie hineininterpretieren. So fassen sie meinen Artikel wie folgt zusammen: "BG geht ... noch über die Forderung des 'Krieges gegen den fundamentalistischen Islam' im Namen der angeblich zivilisierten kapitalistischen Weltordnung hinaus, denn er will diese militärische Operation nicht in us-amerikanischen Händen (weil: böser Imperialismus) wissen, sondern lieber in den Händen einer 'multilateralen' Eingreiftruppe, was unter den realen Kräftekonstellationen im imperialistischen Lager nur heissen kann: unter einer europäischen, tendenziell deutschen militärischen Führung."

  1. Ich verwendete nicht die Formulierung "Krieg gegen den fundamentalistischen Islam", obwohl dies im Brief als Zitat gekennzeichnet ist.
  2. Ich habe nicht von einer "zivilisierten kapitalistischen Weltordnung" gesprochen, und ich meinte auch so etwas nicht implizit.
  3. Die Formulierung "böser Imperialismus" war der Hauptargumentationsstrang von SG anläßlich der Aussprache, die wir angeblich nicht abgehalten haben, gegen die Linie von W.Yard und (damals peripher) auch meine. Unser Makel ist ja gerade, und das scheint ja auch jetzt noch in dem Leserbrief durch, dass wir eben nicht antiamerikanisch argumentiert haben.
  4. Dass ich mir eine multilaterale Eingreiftruppe unter DEUTSCHER Leitung vorgestellt habe, ist eine böswillige und unverschämte Verdrehung meiner Einlassungen. Ich schrieb gerade im Gegenteil: "...ich hatte z.B. den Eindruck, daß die Deutschen ihre militärische Hilfe auf jeden Fall aufdrängen wollten, auch wenn sie gar nicht nachgefragt wurde". Dieser Eindruck hat sich inzwischen bestätigt. Über die Motivation und Taktik dieses deutschen Militärengagements könnte ich eine Menge schreiben, aber ganz sicher nichts Positives. Und das hätte SG auch wissen können. (Mir schwebten als maßgebliche Kräfte eigentlich Russland und China vor, und ich finde, das - und nichts anderes - ergibt sich auch aus den "realen Kräftekonstellationen", aber so konkret musste ich das auch gar nicht machen).
  5. Angesichts der Auffassung der Leserbriefautoren, wie eine Diskussion abzulaufen hat, ist mir auch verständlich, wie herzlich egal ihnen minimalste Freiräume in fernen Ländern sind, die sich unter bestimmten überhaupt nicht emanzipativ motivierten Machtwechseln vielleicht auftun, in denen sich Menschen ein gaaaanz klein bisschen leichter entwickeln und mit Glück auch mal revolutionär werden können.
  6. Wer nicht gegen den Krieg ist, ist ein Bellizist - so sahen das auch viele Referenten und Rezipienten auf dem Konkret-Kongress am 26.1. in Hamburg (es gab Ausnahmen). Oder, wie es im Leserbrief heisst: "Krieg als Zuspitzung von Politik zwingt zur klaren Positionierung". Genau das wollte ich ein bisschen aufweichen. Wenn alles nur schwarz und weiss wäre, bräuchten wir keine Analyse. Und genau die brauchten ja viele auch nicht. Sie hatten sich erst positioniert - danach wurde und wird die Analyse dann schon passend zurecht gebogen.
  7. Eine entscheidende Frage ist, wann der Krieg eigentlich angefangen hat. Als amerikanische Streubomben auf Afghanistan fielen? Als das WTC einstürzte? Als palästinensische Selbstmordattentäter Israels Innenstädte angriffen? Oder vielleicht noch früher, als der CIA die Mudjaheddin bewaffnete? Dringender Entscheidungsbedarf für die Linke bestand nur, wenn die erste Variante zutraf - die ich natürlich für abwegig halte.

Zum Ausgleich werden sich anbietende Vorlagen nicht genutzt. So hatte ich die Standhaftigkeit der Islamisten doch bei weitem überschätzt. Andere überschätzten dagegen die Ambitionen zur Sicherung von Rohstoffquellen: Die Pipeline-Theorie ist nun endgültig dahin. Die Verbindung zu den Ölfeldern von Baku wird definitiv nicht gebaut, nicht unter den Taliban, und auch nicht unter dem CIA.

(BG)

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