Interview

Dänemark:

Rechtsschwenk am Sund

Seit November hat Dänemark eine neue Regierung. Konservative und Liberale haben zusammen eine Minderheitsregierung gebildet, die mit den Stimmen der rassistischen Dänischen Volkspartei regiert. Zum ersten Mal seit fast 80 Jahren sind die Sozialdemokraten nicht mehr stärkste Partei, sondern wurden von den Rechtsliberalen überflügelt, die sich ironischer Weise Venstre, d.h. Linke, nennen.

Wir sprachen darüber mit Mette Bloch Hansen von der dänischen Rotgrünen Einheitsliste. Mette war bis zum letzen Jahr im Vorstand der Einheitsliste und gehört jetzt deren Komitee für europäische Angelegenheiten an. Die Rotgrüne Einheitsliste (Enhedslisten - de rød-grønne) wurde1989 als ein Bündnis der Sozialistischen Arbeiterpartei (dänische Sektion der IV. Internationalen), der Dänischen Kommunistischen Partei und der Linkssozialisten gegründet. Später schloss sich noch die Kommunistische Arbeiterpartei an, die sich aber mittlerweile aufgelöst hat. Die Einheitsliste hat sich inzwischen längst zu einer eigenständigen sozialistischen Partei entwickelt, deren Mitglieder in der Mehrheit keiner der Gründungsorganisationen angehören. Seit 1994 ist die Einheitsliste im Folketing, dem Kopenhagener Parlament vertreten. 1997 erhielt sie 2,7 Prozent der Stimmen und fünf Parlamentssitze, bei den Wahlen im November 2001 erreichte sie 2,4 Prozent und musste einen Sitz abgeben. (wop)

LinX: Wie kam es zu diesem dramatischen Rechtsruck in den Novemberwahlen?

Mette Bloch Hansen: Es gibt mehrere Gründe. Die Sozialdemokraten haben viele Stimmen direkt an die reaktionäre Dänische Volkspartei verloren, weil sie deren Themen mehr oder weniger akzeptierten. Anstatt zu sagen, dass sie eine Politik für alle Menschen, die hier leben und zu uns kommen, machen, haben sie sich auf die rassistischen Argumente eingelassen. Sie haben einen erheblichen Anteil daran, dass es heute in Dänemark möglich ist, sehr abfällig über Ausländer oder Neue Dänen zu sprechen. Das ist einer der Punkte, wo die Sozialdemokraten Raum für die Rechten geschaffen haben.

Ein anderer ist das Wohlfahrtssystem. Die Sozialdemokraten haben selbst eine liberale Politik verfolgt. Das heißt, es hat eine ganze Reihe von Kürzungen bei der sozialen Sicherung, in den Krankenhäusern, in der Bildung und anderswo gegeben und auch bereits Privatisierungen. Eine Politik übrigens, die sie oftmals mit Unterstützung derbürgerlichen Parteien durchgeführt haben.

Der Hauptgrund für ihre Abwahl war aber wohl, dass die alte Regierung die Probleme, die die Menschen in ihrem täglichen Leben spüren, nicht gelöst hatte. Zum Beispiel im Gesundheitswesen, in dem Manches im Argen liegt.

Interessanter Weise haben die Bürgerlichen im Wahlkampf versprochen, dass die soziale Absicherung verteidigt wird, aber die Menschen mehr Freiheit bekommen. Die Sozialdemokraten wurden hingegen als diejenigen gesehen, die mit dem System verwachsen sind und die Menschen bevormunden wollen.

Nach den Wahlen wurde allerdings schnell klar, dass von sozialer Sicherheit nicht die Rede sein kann. Privatisierungen werden vorbereitet, und der Wohlfahrtsstaat weiter beschnitten. Ebenso die Rechte der Immigranten und der Minderheiten im Allgemeinen.

LinX: Was heißt das im einzelnen? Wie sieht das Programm der Regierung aus?

M.B.H.: Im Wahlkampf haben die bürgerlichen Parteien vor allem zwei Dinge angekündigt: Zum einen die Einwanderung zu stoppen und die hier Lebenden darauf zu verpflichten, sich zu integrieren. Integration ist also nicht mehr ein gemeinsamer Prozess der ganzen Gesellschaft, aller Einwohner, sondern die Immigranten sollen mehr oder weniger zu Dänen werden.

Zum anderen haben die Bürgerlichen ihren Wählern versprochen, den angeblichen Anstieg der Steuern zu stoppen. Deshalb haben sie unzählige Einschnitte angekündigt: Im Umweltbereich, bei der Entwicklungshilfe, im Bildungswesen, bei kulturellen Projekten und anderswo. Auch das Geld für die unabhängige Menschenrechtskommission soll gestrichen werden.

LinX: Wie macht sich der Einfluss der Dänischen Volkspartei auf die Regierungspolitik bemerkbar?

M.B.H.: Vor allem bei den Verschärfungen für Einwanderer. In der Diskussion ist, dass man künftig sieben Jahre in Dänemark gelebt haben muss, bevor man die Staatsbürgerschaft erlangen kann. Außerdem soll die Sozialhilfe für Ausländer gekürzt werden. Einwanderer und Flüchtlinge sollen gezwungen werden, für schlechtere Löhne zu arbeiten. Das wird natürlich Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben und allgemein auf die Löhne drücken. Die Gewerkschaften haben dagegen protestiert, aber es ist heute weit verbreitet zu behaupten, Einwanderer und Flüchtlinge kommen nur, um Sozialhilfe zu kassieren. Dabei ist die Sache einfach, dass es für sie schwierig ist, einen Job zu finden, weil die Unternehmer Vorurteile haben.

Des Weiteren sollen die Regeln für den Familiennachzug verschärft werden. Außerdem soll ein eigenes Ministerium für Einwanderer geschaffen werden. Ich halte das für Apartheid. Man sagt, es gibt hier eine Gruppe, deren Bildungs- und Arbeitsplatzprobleme separat behandelt werden müssen.

LinX: Dänemark genoss bisher für seine Umweltpolitik einen guten Ruf, doch das scheint schlagartig vorbei. Unlängst versuchte Kopenhagen sogar, im EU-Ministerrat die Ratifizierung des Kyoto-Portokolls zu blockieren, jenes internationalen Klimaschutzabkommens, das, obwohl sehr dürftig, dennoch der Industrielobby in den USA und Europa schon zu weit geht.

M.B.H.: In der Umweltpolitik gibt es tatsächlich einen großen Wandel. Das Umweltministerium wird erheblich verkleinert, sein Etat zusammengestrichen. Viele Leute, die im Umweltsektor arbeiten verlieren ihren Job. Gleichzeitig haben sie einen Mann zum Umweltminister gemacht, der meint, es gebe gar kein richtiges Umweltproblem.

Außerdem werden die Kontrollen und Auflagen für Industrie und Landwirtschaft entschärft. Die entsprechenden Aufsichtsbehörden werden verkleinert und eine Reihe von Kontrolleuren entlassen. In der Verkehrspolitik setzt die neue Regierung mehr auf Autobahnen.

Viele der Vorhaben sind bisher nur Ankündigungen, aber es hat schon einige Proteste von Umweltschützern gegeben. Auch Solidaritätsgruppen und Studenten sind bereits auf die Straße gegangen.

LinX: Das klingt, als ob sich Dänemark normalisiert, so als ob es mehr politischen Kampf und weniger Konsensfindung geben würde. Was bedeutet diese Entwicklung für die Rotgrüne Einheitsliste?

M.B.H.: Unsere Rolle im Parlament verändert sich radikal. Bisher haben wir oft mit der sozialdemokratischen Minderheitsregierung verhandelt und ihr Kompromisse abgerungen. Wir hatten eine auf zwei Säulen ruhende Strategie: Zum einen hier und da Schlimmeres verhindern, zum anderen uns als Sozialisten als klare Alternative zu Sozialdemokraten und Liberalen zu profilieren. Doch letzteres ist nicht immer einfach gewesen. Ich glaube, wir haben der Öffentlichkeit nicht immer klar machen können, dass wir sehr kritisch gegenüber der Sozialdemokratie sind und dass es uns nicht bloß darum geht, den dänischen Wohlfahrtsstaat in der Form zu erhalten, wie ihn die Sozialdemokraten geschaffen haben. Wir wollen ihn weiterentwickeln, wobei die Menschen im Mittelpunkt stehen müssen und nicht der Apparat, und wir wollen mehr Demokratie am Arbeitsplatz statt Privatisieren.

Ich denke, dass es jetzt, nach dem Regierungswechsel, einfacher ist, da wir nicht mehr mit der Regierung verhandeln. Die Fronten sind klarer. Voraussetzung ist allerdings, dass wir die Menschen auch erreichen, dass die Medien über uns berichten. Und das könnte eventuell ein Problem sein, denn jetzt, wo wir nicht mehr in Einzelfragen das Zünglein an der Waage spielen, sind wir für die Medien nicht mehr interessant.

Wir werden es einfacher haben, eine offensivere Politik zu verfolgen. Auf der anderen Seite hat sich natürlich auch die Rhetorik der Sozialdemokraten und der Sozialistischen Volkspartei, die politisch zwischen ihnen und uns stehen, geändert, obwohl ihre Politik in vielen Punkten nicht sehr anders ausgesehen hatte. Im Bildungssystem hatten sie zum Beispiel Kürzungen in Höhe von zwei Prozent beschlossen. Die neue Regierung hat das lediglich weiter verschärft und sechs Prozent angekündigt. Die Sozialdemokraten haben also selbst gekürzt, doch jetzt schreien sie laut. Das ist natürlich ein wenig heuchlerisch, macht es für uns aber schwerer, als scharfe Kritiker der neuen Regierung wahrgenommen zu werden.

Aber ich denke, die Rotgrüne Allianz, oder die Linke in Dänemark und in Europa im Allgemeinen, hat auch die Aufgabe, Antworten auf einige der Fragen zu finden, die im dänischen Wahlkampf aufgeworfen wurden. Zum Beispiel die Frage der Einwanderung. Ich glaube, der Grund, weshalb so viele Leute in Dänemark für die Dänische Volkspartei gestimmt haben ist nicht, weil sie im Herzen Rassisten wären, sondern weil sie meinen, dass es ein Problem gibt und dass die Integration fehlgeschlagen ist. Und das ist sie in der Tat. Es gibt viele Menschen, Dänen und Neue Dänen, die nicht in die Gesellschaft integriert sind. Und die Linke ist bisher nicht besonders gut darin, gangbare Wege zu einer humanen und toleranten Integration aufzuzeigen. Eine Integration, die die Menschen einbezieht, die ihnen Jobs gibt und die Möglichkeit, einen Beitrag zur dänischen Gesellschaft zu leisten. Deshalb, wegen dieser fehlenden Alternativen, haben viele Leute gedacht, die Dänische Volkspartei hat die Lösung. Wir wissen natürlich, dass ihre Antworten nichts taugen, aber wir waren nicht gut genug darin, den Menschen zu erklären, dass es einen anderen Weg gibt, einen, der sehr anders ist, als das was die Rechten und die Sozialdemokraten zu bieten haben.

LinX: Wie könnte dieser Weg aussehen? Was wäre eine Antwort auf die zunehmende Desintegration der Gesellschaft, darauf, dass immer mehr Menschen an den Rand gedrängt werden?

M.B.H.: Vor allem müssen wir den Menschen zunächst verständlich machen, dass es nicht um ethnische, sondern um soziale Probleme geht. Probleme wie zum Beispiel die Arbeitslosigkeit, die gelöst werden müssen, Fragen des Erziehungssystems, das nicht in der Lage ist, alle Kinder aufzufangen. Dort muss etwas getan werden, damit alle einbezogen statt ausgegrenzt werden. Es geht auch um Berufsausbildung für Immigranten. Dann gibt es Probleme in einigen Stadtbezirken, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, und zwar unter sehr schlechten sozialen Bedingungen. Die müssen verbessert werden und das ist nicht so sehr eine Frage der Kultur. Natürlich gibt es aber auch einen kulturellen Graben, und man muss offen sein, darüber zu diskutieren und - wenn nötig - sowohl die dänische Kultur wie auch die derjenigen, die nach Dänemark kommen, zu kritisieren. Der Ausgangspunkt muss dafür immer die Gleichheit sein.

Eine andere wichtige Diskussion ist unser eigener Internationalismus, worüber es gerade eine Diskussion in der Rotgrünen Einheitsliste gibt. Internationalismus ist ein wichtiger Bestandteil unserer Rhetorik, aber ich denke, dass wir nicht genug erklären, was er für die praktische Politik bedeutet. Im Zusammenhang mit unserer Kritik an der EU ist es den bürgerlichen Parteien sehr leicht gefallen, uns in eine Ecke mit den Nationalisten zu stellen. Es ist also wichtig, dass wir deutlich machen, dass wir sowohl taktische als auch strategische Alternativen zur EU haben und das wir bereits international arbeiten, dass das also nicht bloß eine Sache ist, über die wir nur reden.

LinX: Die Parlamentspolitik hat bisher, nicht zuletzt wegen der Verhandlungen mit der Regierung, immer einen breiten Raum in den internen Debatten der Einheitsliste eingenommen. Wird es nun eine Rückbesinnung auf die außerparlamentarische Mobilisierung geben?

M.B.H.: Ich denke schon, und das wird der Partei sicherlich gut tun. Ich denke, dass wir vor einem Klärungsprozess stehen, dass es um den internen Aufbau und die Stärkung unserer Organisation gehen wird. Aber sicherlich wird man uns auch mehr als bisher bei außerparlamentarischen Aktivitäten sehen. Zum Beispiel bei den Demonstrationen gegen die neue Regierung. Außerdem hält Dänemark in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft. Es wird also zahlreiche Aktionen und Demonstrationen gegen die EU geben, und die Rotgrüne Einheitsliste ist in den Vorbereitungen sehr engagiert.

Nach den Wahlen haben wir übrigens viele neue Mitglieder bekommen. Die Leute denken, jetzt ist es wirklich Zeit, etwas zu tun. Keiner hatte damit gerechnet, dass die neue Regierung so schlimm werden würde.

LinX: Wieviel Mitglieder hat die Rotgrüne Einheitsliste?

M.B.H.: Irgendetwas zwischen 2500 und 3000. Die Mitgliedszahlen haben in den letzten Monaten stark zugenommen. In der ersten Woche nach den Wahlen hat es 100 Eintritte gegeben und seitdem hat der Trend angehalten; sowohl in der Einheitsliste, als auch in unsere Jugendorganisation. Es ist gut zu spüren, dass die Menschen nicht aufgeben, und es macht optimistisch in Bezug auf die Kampagnen und Demonstrationen in diesem Jahr. Aber es bedeutet auch eine Aufgabe, die neuen Mitglieder zu integrieren.

Ich denke, wir haben einige politische Konfrontationen vor uns.

LinX-Startseite Inhaltsverzeichnis