Kommentar

Low-Intensity Nuclear Warfare

Mit nur mäßigem Erfolg gegen Al Qaida und Taliban-Führer kann das US-Militär glänzen, dafür aber mit einer prinzipiell erfolgreichen Propaganda für eine neue Weltordnung, die natürlich nur einen Maßstab kennt, nämlich den der hegemonialen Macht. Für deren Gerechtigkeit ist jedes Mittel recht, einschließlich der totalen Auslöschung.

Über 30 Jahre hat es gedauert, bis beweisbar wurde, dass die US-Regierung im Vietnam-Krieg den Einsatz der Atombombe erwogen hatte. Als nun aber konkrete aktuelle Ziele und Einsatzpläne in der "Los Angeles Times" und auf der Internetseite "GlobalSecurity.org" genannt werden, wird gar nicht der Versuch gemacht, irgendwas zu dementieren, sondern Condoleezza Rice, Richard Cheney und Colin Powell rufen im Chor: "Ja, stimmt". Die bedingunglose Solidarität trägt grad so prima, dass sogar noch hinzugefügt wird, die USA (also die anderen Staaten) müßten auf den Einsatz von Atomwaffen vorbereitet sein, man habe den Einsatz sowieso nie ausgeschlossen, und bei dem veröffentlichten "Geheimpapier" handele es sich um "einen regelmäßigen Überblick über unsere Kapazitäten". "Gezielte Indiskretion" wäre eine schamlose Untertreibung.

Überraschen kann natürlich nicht, dass die US-Regierung ihre Atomstreitmacht als politische Drohung benutzt. Auch nicht, dass unter den möglichen Zielen Rußland, China, Nordkorea genannt werden, wenngleich der Zeitpunkt für ein Säbelgerassel äußerst unpassend erscheint - Rußland und China haben ihre systematische Gegnerschaft zum Kapitalismus US-amerikanischer Prägung längst aufgegeben, sich sogar teilweise amerikanisiert, Nordkorea hat Ende Januar auf Drängen von Bush erstmals Inspektoren der IAEA (Internationale Atomenergie-Agentur) ins Land gelassen. Interessanterweise aber erscheinen auch Iran, Irak, Syrien und Libyen auf der Liste, Staaten, die selbst keine Atomwaffen besitzen. War bisherige Doktrin, dass der Einsatz nur als Vergeltung gegen Angriffe mit atomaren, chemischen oder biologischen Waffen in Frage kommt, so kommen jetzt zwei weitere Szenarien hinzu, nämlich "gegen Ziele, denen mit konventionellen Waffen nicht beizukommen ist" (also unterirdische), und "im Falle überraschender militärischer Entwicklungen" (die im Zweifelsfall selbst herbeigeführt werden können). Das Verteidigungsministerium garnierte diese "bedauerlichen Veröffentlichungen" mit der Bestätigung, dass kleine Atomwaffen für den Einsatz gegen befestigte und unterirdische Ziele entwickelt würden, von denen es mehr als 10.000 in 70 Staaten gebe.

Hier wird versucht, die Atombombe als normales Mittel eines Krieges "niederer Intensität", z.B. gegen "Terror-"Gruppen, zu etablieren. Dieser Krieg wiederum dient dem Frieden und ist von dessen trauriger Realität kaum zu unterscheiden. Weil er überall geführt werden kann, ist er praktisch allgegenwärtig und bedarf im konkreten Land keiner besonderen Erklärung. Wenn man es nur richtig betrachtet, sind kleine Atombomben eine Art nachdrückliche Entwicklungshilfe, und wenn sie erstmal unter diesem Etat abgerechnet werden, kämen vielleicht sogar die USA eines Tages auf die 0,7% des Bruttosozialprodukts, die von den UN vor 32 Jahren als Entwicklungshilfe von den Industrienationen gefordert wurden. (BG)

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