Flucht & Asyl

Aus "generalpräventiven Gründen":

Gefängnis und Ausweisung wegen Verstoß gegen die Residenzpflicht

Der Aufenthalt von AsylbewerberInnen ist nach dem Asylverfahrensgesetz auf eine Gemeinde oder einen Kreis beschränkt. Ausnahmen sind nur mit besonderer Erlaubnis möglich. Der Umgang der Ausländerbehörden mit diesen Ausnahmen ist völlig unterschiedlich. In einigen Kreisen reicht es, wenn ein Flüchtling angibt, wann und wohin er/sie fahren will, um die Erlaubnis zu erhalten. In anderen Kreisen muss zudem die genaue Adresse angegeben werden und der Grund der Reise. Genehmigungen gibt es dort in der Regel nur, wenn es sich um Besuche bei engen Familienangehörigen oder bei RechtsanwältInnen und ÄrztInnen handelt. Alles andere geht nicht, schon gar nicht Reisen zu politischen Veranstaltungen.

Unabhängig von der jeweiligen Ausgestaltung ist die Residenzpflicht grundsätzlich eine entwürdigende und diskriminierende Einschränkung der Bewegungsfreiheit, – kurz eine rassistische Maßnahme um Flüchtlinge unter Kontrolle zu behalten. Sie stigmatisiert Flüchtlinge und grenzt sie von der Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben aus. Daher haben sich Flüchtlinge im Rahmen der Kampagne zur Abschaffung der Residenzpflicht aus dem Spektrum der Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen und der Flüchtlingsorganisation "The Voice" geweigert, eine entsprechende Erlaubnis überhaupt zu beantragen. Seitdem laufen gegen mehrere der AktivistInnen Prozesse, weil sie sich zudem weigern, die verhängten Geldstrafen zu bezahlen. Die Ausländerbehörden sind offenbar entschlossen, die Residenzpflicht mit allen Mitteln durchzusetzen und gerade die offensive Missachtung wird zunehmend hart bestraft mit Unterstützung der Gerichte.

So wurde am 17. Januar ein Armenier vom Landgericht Neubrandenburg zu 4 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, da er "bislang mehrfach strafrechtlich, auch einschlägig" in Erscheinung getreten sei. Die "Straftaten", die dann aufgelistet werden, bestehen in einmaligem Fahren ohne deutschen Führerschein (der armenische war hier nicht mehr gültig) und darüber hinaus ausschließlich in Verstößen gegen die Residenzpflicht. Das Gericht begründete das Strafmaß u. a. damit, der Angeklagte habe auch nach näherem Nachfragen erneut " ... sein Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass Gebietsverstöße der vorliegenden Art als kriminelles Unrecht angesehen werden." Was für die meisten Menschen wahrscheinlich ein vernünftiger Gedankengang ist, ist für das Gericht ein Indiz für kriminelle Energie und dafür, dass man nicht davon ausgehen könne, dass der Angeklagte mit einer Geldstrafe "... von der Begehung weiterer einschlägiger Straftaten abgehalten werden könnte."

Noch weiter ging die Ausländerbehörde im Wartburgkreis in Hessen. Sie verfügte die Ausweisung von Jose Maria Jones, Asylbewerber aus Sierra Leone, wegen mehrfachen Verstoßes gegen die Residenzpflicht (möglich nach § 46 Ausländergesetz). Der Ausweisungsbescheid erfolgte 1999, obwohl es noch keinen abschließenden Bescheid über das Asylverfahren gab. Am 20. März 2002 findet nun die Verhandlung über das Asylverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gera statt. Bei einer negativen Entscheidung könnte die Ausweisungsverfügung sofort wirksam werden, da es auch auf den eingelegten Widerspruch von Jose Maria Jones noch keinen endgültigen Bescheid gibt. Selbst wenn durch eine Anerkennung die Ausweisung nichtig würde, hat sie massive Ängste und psychischen Druck ausgelöst, angesichts der Vorstellung, wieder in den Bürgerkrieg nach Sierra Leone zurückkehren zu müssen. In der Begründung zum Ausweisungsbescheid des Landratsamtes Nürnberg wird mehrfach explizit erklärt, dass es sich hier um eine Abschreckungsmaßnahme handelt, z.B.: ".. Im Hinblick auf die weite Verbreitung dieser Straftaten unter Asylbewerbern, ist die Ausweisung des Herrn Jones auch geeignet, eine generalpräventive Zielsetzung zu erreichen, da die Unterbindung dieser Straftaten ein überragendes und bedeutendes Anliegen der Bundesrepublik Deutschland darstellen."

Die AktivistInnen von The Voice und der Karawane sehen diese Maßnahme gegen Jose Maria Jones auch im Zusammenhang mit seinem Engagement für die Karawane und betrachten den Ausweisungsbescheid als Einschüchterungsversuch gegenüber Flüchtlingen, die für ihre Rechte eintreten und sich in der Karawane organisieren.

Zur Zeit laufen noch weitere Verfahren gegen Flüchtlinge wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht, die trotz der Möglichkeit, sie wegen Geringfügigkeit einzustellen, langwierig durchgezogen werden. So begann der Prozess gegen Cornelius Yufanyi von The Voice im Oktober 2001 und wurde am 5.3. diesen Jahres unter Hinzuziehung neuer Zeugen weitergeführt. Der Verfolgungsdrang der Behörden wird auch dadurch deutlich, dass Cornelius nicht etwa bei einer Kontrolle geschnappt wurde, sondern von einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde angezeigt wurde, nachdem er durch einen Zeitungsartikel auf seine Beteiligung am Flüchtlingskongress in Jena aufmerksam wurde.

Anzeigen, Gefängnisstrafen und Ausweisungsverfügungen zeigen, welchem Druck die Betroffenen ausgesetzt sind, und wie viel Mut es erfordert, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Für die Flüchtlinge ist daher wichtig, dass ihre Aktionen von einer breiten Öffentlichkeit begleitet werden und viele Organisationen gegen die Residenzpflicht vorgehen. Die Residenzpflicht gehört abgeschafft. (aw)

Weitere Informationen sowie Hinweise auf Faxkampagnen und Unterstützungsaktionen für die Betroffenen unter www.humanrights.de

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