Globalisierung

EU und WTO

Privatisierungsoffensive

Ganz so hatte sich EU-Handelskommissar Pascal Lamy die Sache wohl nicht vorgestellt. Anstatt wie gewohnt in aller Ruhe im stillen Kämmerlein ein großes Rad zu drehen und die Liberalisierung des Welthandels voranzutreiben, muss er sich nun der öffentlichen Kritik stellen. Am 17. April veröffentlichte das internationale Attac-Netzwerk auf seinen Internetseiten Anforderungen der EU an verschiedene Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO), die es in sich haben. Hintergrund: Seit einem guten Jahr laufen innerhalb der WTO Verhandlungen über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS). Derzeit befinden sich die Gespräche in einem Stadium, in dem die größeren Länder ihre Verhandlungsangebote und Forderungen an die anderen Parteien auf den Tisch legen, was Brüssel offensichtlich am 6. März getan hat. Seine Briefe an die WTO-Mitglieder waren jeweils mit dem Vermerk versehen, dass die Empfänger dafür sorgen sollen, dass die Dokumente nicht veröffentlicht werden. Seit längerem ist bekannt, dass die EU-Kommission - ganz im Sinne der Mitgliedsregierungen und der europäischen Unternehmerverbände - die GATS-Verhandlungen nutzen will, um von den WTO-Mitgliedern eine weitreichende Privatisierung der öffentlichen Dienste zu fordern. Mit den jetzt vorliegenden Listen, die Brüssel - und sicherlich auch die Auftraggeber in Europas Hauptstädten - gerne geheimgehalten hätte, ist der europäische Wunschzettel erstmals im Detail nachlesbar.

Vom krisengeschüttelten Argentinien wird zum Beispiel verlangt, dass es seine Postdienste und einige noch geschützte Sektoren der Telekommunikation in die Verhandlungen einbezieht. Ähnliche Forderungen werden für den Immobilienmarkt, den Transportsektor, den Versicherungssektor, das Bauwesen und für Forschung und Entwicklung gestellt. Im Prinzip steht in den GATS-Verhandlungen jedem Beteiligten frei, in welchen Branchen oder Teilbranchen er Verpflichtungen übernimmt. Die Aufforderung, eine bestimmte Branche einzubringen, ist daher gleichbedeutend damit, sie der von der EU und zum Teil auch den USA angestrebten Deregulierung auszusetzen. Hintergrund sind die Interessen vor allem europäischer Banken, Versicherer und Versorgungskonzerne wie Vivendi, RWE oder E.on, sich weltweit neue Märkte zu erschließen. Auch die Telekom-Branche der EU drängt mit Macht auf die globalen Märkte. Interessantes Detail am Rande: Während die EU die Wälle für Menschen aus armen Ländern weiter aufstockt, wird zum Beispiel von Argentinien verlangt, die Einreisebedingungen für Geschäftsreisende zu erleichtern.

Attac Deutschland weist anlässlich der Veröffentlichung darauf hin, dass weltweit in Folge der bisherigen Privatisierungen die Verbraucher mit massiven Qualitätseinbußen und Preissteigerungen zu kämpfen haben. Manchmal sogar wörtlich. Im bolivianischen Cochabamba führte der Verkauf der dortigen Wasserversorgung im Jahre 2000 zu bürgerkriegsartigen Unruhen. Das globalisierungskritische Netzwerk erinnert daran, dass 1997 bereits ähnliche Geheimverhandlungen innerhalb der OECD, das sogenannte Multilaterale Investitionsschutzabkommen MAI, letztendlich am öffentlichen Druck gescheitert sind. An diese Erfahrung wolle man mit einer Kampagne gegen das GATS anknüpfen. Den vorläufigen Höhepunkt soll eine Großdemonstration anlässlich des kommenden EU-Gipfels in Sevilla bilden. (wop)

 

Die Länderanforderungen der EU können hier eingesehen werden.

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