Ausland

Palästina

Krieg gegen Zivilisten

Äußerst bedrückend sind die Nachrichten, die seit Wochen aus Israel und Palästina kommen. Vorgeblich als Antwort auf Selbstmordattentate hat die israelische Armee eine Offensive in den besetzten Gebieten des Westjordanslandes gestartet, unter der vor allem die Bevölkerung zu leiden hat. In zahlreichen Stellungnahmen und Interviews sprechen israelische Friedensgruppen wie Gush Shalom und andere davon, dass das Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung und gegen die gewählte palästinensische Autonomiebehörde die Spirale der Gewalt weiterdrehen werde und die Selbstmordanschläge nicht stoppen könne.

Mark Zeitoun vom kanadischen Roten Kreuz berichtet, dass es "in nahezu allen von der israelischen Armee besetzten Städten schwere und gezielte Zerstörungen an der Wasserversorgung" gegeben habe. "Die Zerstörungen geschehen entweder, indem die Leitungen ausgegraben würden, oder indem die elektrischen Leitungen der Pumpen unterbrochen würden. Die meisten Versuche, die Infrastruktur wieder herzustellen, um die unter die unter Ausgangssperre gehaltenen Bewohner mit Wasser zu versorgen, werden unterbunden", berichtete Zeitoun Mitte April der britischen Organisation Christian Aid. Und weiter: "Ich habe gerade vor ein paar Stunden versucht, eine Wagenladung mit Wasserflaschen nach Nablus zu bringen, aber die Soldaten haben mich zurückgeschickt. Städtische Arbeiter, die versuchen, die Wasserleitungen zu reparieren, werden entweder verhaftet oder werden beschossen. In einem Fall wurde ihr Lieferwagen mit der Ausrüstung von einem Panzer überrollt, während ein Arbeiter noch im Wagen saß. (...) Wir schätzen, dass 50.000 Menschen, sowie einige Krankenhäuser ohne Zugang zu Trinkwasser sind."

Die Organisation Reporter ohne Grenzen berichtet unterdessen von massiven Behinderungen der Arbeit von Journalisten. Sieben seien verwundet worden, auf rund 60 wurde geschossen, zieht die Gruppe am 18. April Bilanz. Zehn Büros arabischer Medien seien besetzt und verwüstet worden. "Die Politik der israelischen Behörden gegenüber den internationalen Medien muss als das verurteilt werden, was es ist: eine massive, gezielte und bewußte Verletzung der Pressefreiheit und ein Tiefpunkt in der Geschichte Israels," heißt es in einer Erklärung der Organisation. Insgesamt seien 56 Journalisten seit Beginn der zweiten Intifada durch Gewehrfeuer verletzt worden, mehr als die Hälfte davon waren Palästinenser. "Ein italienischer Fotograf, Raffaele Ciriello, wurde am 13. März durch Schüsse aus einem israelischen Panzer getötet. (...) Am 16. April wurde ein schwedisches TV-Team in Ramllah beschossen. Einer von ihnen, Peter Carlqvist, sagte, die Schüsse seien gefallen, als das Auto anweisungsgemäß gewendet habe. Zwei Tage zuvor hatte die israelische Armee gesagt, Journalisten könnten wieder die West Bank besuchen, mit Ausnahme der Geburtskirche in Bethlehem, dem Hauptquartier Yassir Arafats und dem Flüchtlingslager in Dschenin."

Dort ist die Situation derweil besonders dramatisch. Acht Tage lang hatte das Lager, aus dem heraus es bewaffneten Widerstand gegen die Truppen gegeben hatte, unter Beschuss aus Panzern und Hubschraubern gestanden. Fast eine Woche lang hatte die israelische Regierung sich geweigert, den Einreiseantrag der Hohenkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Mary Robinson, zu bearbeiten. Robinson war von der UN-Menschenrechtskommission beauftragt worden, die Vorkommnisse in Dschenin zu untersuchen. Rima Awad vom palästinensischen Agrarkomittee (www.pal-arc.org) spricht gegenüber Christian Aid von konservativ geschätzten 450 Toten. Auch die britische Menschenrechtsanwältin Dianne Luping, die derzeit in Dschenin Zeugenaussagen sammelt, sprach gegenüber dem Autor dieser Zeilen von "mindestens mehreren hundert Toten". Zeugen hätten ausgesagt, dass Häuser von Bulldozern zerstört wurden, während in ihnen noch Bewohner waren. Auf andere sei aus Hubschraubern geschossen worden, als sie die Häuser auf Aufforderung verließen. Der britische Independent berichtete am 16. April davon, dass überall im Lager Leichengeruch in der Luft lege. Luping bestätigte auch Berichte, wonach den in Dschenin Eingeschlossenen medizinische Hilfe verwehrt wurde. Die palästinensische Feministin Salam Abdul-Majeed Hamdan sprach in einem Interview in der jungen Welt bereits nach der ersten Besetzung Ramallahs Anfang März davon, dass dort von Soldaten auf Sanitäter und andere geschossen worden sei, die Verwundeten zur Hilfe kommen wollten. Vor einigen Tagen erreichte den Autor eine Email, in der sie berichtet, ein Freund von ihr habe in Bethlehem 13 Stunden verwundet auf der Straße gelegen und sei schließlich verblutet. Zahlreiche andere Berichte, u.a. im Independent, deuten darauf hin, dass das kein Einzelfall ist.

Die israelische Menschenrechtsorganisation berichtete am 12. April über Tausende Festnahmen. In vielen Fällen würden die Verhaftungen nur auf der Basis des Geschlechts und des Alters stattfinden und nicht aufgrund eines konkreten Verdachtes. Die Verhafteten, so die Menschenrechtler, würden in Verhören von der Armee gefoltert und ihnen jeder Kontakt, auch der zu Anwälten, verwehrt. Auch B’Tselem berichtet, wie zahlreiche andere Quellen, dass Zivilisten von israelischen Soldaten als menschliche Schutzschilde benutzt würden.

Unter der Überschrift "Stoppt Scharon jetzt, genug ist genug - der israelische Genozid am palästinensischen Volk muss aufhören" haben die Herausgeber des internationalen antifaschistischen Magazins Searchlight am 11. April einen offenen Brief veröffentlicht, in dem unter anderem die Selbstmordattentate "junger palästinensischer Fanatiker" verurteilt werden und Scharon als "Schlächter von Beirut" bezeichnet wird, der "den Namen der Juden in den Dreck" trete. Mit letzterem wird auf die Massaker an Palästinensern Anfang der 80er in Sabra und Shatila angespielt, für die Scharon nach dem Ergebnis einer israelischen Untersuchungskommission verantwortlich war. "Searchlight magazine" wurde 1975 von Maurice Ludmer gegründet, der lebenslang ein engagierter jüdischer Antirassist und Antifaschist gewesen ist", heißt es in dem Brief weiter. "Als Maurice 1981 starb, hinterließ er Searchlight nicht nur uns Juden und Britannien, sondern der ganzen Welt. Maurice hatte, wie auch wir, sein Leben einer Welt frei von Hass, rassistischer Bigotterie und Intoleranz gewidmet."

"(...) Wir die Unterzeichner rufen die israelische Regierung auf, sich sofort und bedingungslos aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen, Abstand von der Folterung und dem Mord unschuldiger Palästinensischer Männer, Frauen und Kinder zu nehmen und sofort Verhandlungen mit dem Vorsitzenden Arafat für einen gerechten und dauerhaften Frieden für alle Menschen in Israel und Palästina aufzunehmen." Der Brief trägt die Unterschriften des Herausgebers Gerry Gable, der Mitherausgeber Sonia Gable, Steve Silver und Nick Lowles sowie des Fotografens Michael Cohen. (wop)

 

 

Die Rechte rief: "Laßt die Armee siegen!", und die Armee zog in Dschenin ein und siegte. Noch so ein Sieg, und alles wird verloren sein. (Anzeige von Gush Shalom in Ha’aretz am 19. April 2002)

 

 

(Gefunden auf der homepage von Gush Shalom)

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