Antifaschismus

Interview mit Graeme Atkinson

Mit den Selbstgesprächen aufhören

EU-weit sind fremdenfeindliche und rechts-populistische Kräfte auf dem Vormarsch. Nicht nur in Dänemark, Österreich, Italien, Spanien und Frankreich erzielten sie in den letzten Jahren Wahlerfolge. Auch in Großbritannien, vor allem in Nordengland, können Faschisten wieder Fuß fassen. Am 26. Mai sprach Graeme Atkinson, Mitarbeiter des antifaschistischen Magazins Search Light in der Pumpe auf einer Veranstaltung des Runden Tisches und der Antifazeitung Enough is Enough über die jüngsten Erfolge der British National Party (BNP). Wir nutzten die Gelegenheit, um mit ihm ein längeres Gespräch über die sozialen und politischen Hintergründe zu führen. Graeme lebt für gewöhnlich in Deutschland, war jedoch während des jüngsten Kommunalwahlkampfes für einige Monate in England. (wop)

LinX: Nahezu 20 Jahre neoliberaler Politik der Regierung Thatcher und ihrer Nachfolger haben Nordengland verwüstet. Die Schwerindustrie wurde auf ein Minimum zusammengeschrumpft, den Gewerkschaften das Rückgrat gebrochen und Massenarbeitslosigkeit zum Dauerzustand. Eine Deindustrialisierung, wie sie jener Ostdeutschlands nicht unähnlich ist, die den Nährboden für rechte Demagogen schafft.

Graeme Atkinson (G.A.): Richtig. An den Küsten sind die Werften nahezu verschwunden. Ebenso die Textilindustrie und die Kohlengruben. Stahlerzeugung und -verarbeitung sind zusammengebrochen. Die Armut und die sozialen Probleme, die das mit sich bringt, sind enorm. In Burnley (nördlich von Liverpool) zum Beispiel, wo die British National Party seit kurzem drei Abgeordnete im Kommunalparlament sitzen hat, sind mehr als 40 Prozent der 91000 Einwohner von staatlicher Unterstützung abhängig. 42 Prozent der dortigen Schulkinder bekommen kostenlos Mittagessen in der Schule, weil die Eltern sich die Schulspeisung nicht leisten können. In allen ehemaligen Industriegebieten überall im Vereinigten Königreich findet man ähnliche Bedingungen. Die relativ prosperierende Region in London und dem Südosten ist umgeben von einem Meer der Armut. Zum Beispiel ist eine der beliebtesten Ferienregionen Britanniens, Cornwall, gleichzeitig eine der ärmsten Regionen der EU. Zu den Erfolgen von Mrs. Thatcher gehört, dass in die Kassen der Städte und Gemeinden große Löcher gerissen wurden. Das Ergebnis: Das Geld für den öffentlichen Dienst, für soziale Versorgung, für das Gesundheitssystem wurde zusammengestrichen, mit anderen Worten, der Wohlfahrtsstaat abgebaut.

LinX: Hat der Regierungsantritt New Labours diesbezüglich etwas geändert?

G.A.: Nein. Wenn überhaupt, dann sind die Dinge noch schlimmer geworden. Und genau das hat sehr viele enttäuscht. Die Leute haben 1997 gedacht, nach 18 Jahren konservativer Regierung würde es mit Labour zumindest den Versuch geben, das Steuer herumzureißen. Doch Labour führt die alte Politik einfach fort, nicht zuletzt, was die Privatisierungen angeht.

LinX: Was bedeutet das für das gesellschaftliche Gefüge?

G.A.: Das gesellschaftliche Geflecht löst sich auf. Die Leute werden auf sich selbst zurückgeworfen. Die Konservativen wollten ein System, in dem es Dienstleistungen nur für jene gibt, die dafür zahlen können. Labour hat nichts unternommen, diesen Trend umzukehren. Und mit dem Zusammenbruch der Gewerkschaften, der sich in einer Halbierung der Mitgliedszahlen von 12,5 Millionen 1985 auf gegenwärtig 6,3 Millionen ausdrückt ist auch der Begriff der Solidarität verschwunden. Das macht kollektive Antworten auf politische Probleme sehr, sehr schwierig.

LinX: Du sprachst bereits von dem Erfolg der BNP in Burnley. Könntest Du einen Überblick über die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Nordengland geben?

G.A.: Die extreme Rechte war recht erfolgreich. Sie haben zwar nur 67 Kandidaten aufgestellt, was nicht gerade viel ist. Allerdings haben diese im Schnitt 16 Prozent der Stimmen erhalten. In Burnley allein kandidierten 13 Personen für die BNP, die im Schnitt 28 Prozent erhielten. Diese Erfolge zeigen, dass sie beginnen, ihre Wählerbasis zu konsolidieren. Die allermeisten Kandidaten wurden von der BNP aufgestellt, die man mit der deutschen NPD vergleichen kann. Es handelt sich um eine Nazipartei. Die National Front, die sehr viel kleiner ist als die BNP, hat auch ein, zwei Kandidaten aufgestellt, deren Ergebnis aber vollkommen unbedeutend waren.

LinX: Gibt es so etwas wie eine gemeinsame linke Gegenstrategie gegen diesen Vormarsch der extremen Rechten?

G.A.: Leider nicht, da die Faschisten für 20 Jahre kein ernsthaftes politisches Problem dargestellt haben und kaum sichtbar waren. Die Strukturen, die wir vor 25 Jahren aufgebaut hatten, um die National Front, die seinerzeit größte faschistische Organisation, zu bekämpfen, sind erodiert. Als einzige landesweite Organisation gibt es noch die Anti Nazi League. Und dann gibt es natürlich noch das Search-Light-Magazin, für das ich arbeite und das seit dieser Zeit regelmäßig die Faschisten beobachtet .

LinX: Und wie sieht es auf der lokalen Ebene aus? Gibt es dort Bündnisse von Linken und Gewerkschaftern gegen die Nazis?

G.A.: Ja, wo immer sie auftauchen, gibt es solche Bündnisse. Aber das ist vor dem Hintergrund einer sehr geschwächten Gewerkschaftsbewegung zu sehen, deren politische Aktivitäten erheblich nachgelassen haben. Es ist also nicht mehr so leicht wie früher, Arbeiter gegen die Nazis zu mobilisieren. Es gibt nicht mehr diese großen Konzentrationen der Industriearbeiterschaft. Diese Zeiten sind vorbei. Oldham, meine Heimatstadt, ist dafür ein sehr gutes Beispiel: Noch vor 20 Jahren gab es dort drei große Metallbetriebe. Zusammen waren dort 22000 sehr gut gewerkschaftlich organisierte Arbeiter beschäftigt. Heute arbeiten im größten Betrieb am Ort 350 Menschen, von denen keiner Mitglied einer Gewerkschaft ist.

LinX: Die Verelendung Nordenglands erinnert sehr stark an die Situation in Ostdeutschland. Gibt es weitere Gemeinsamkeiten?

G.A.: Die sozialen Probleme sind sicherlich sehr ähnlich. Aber es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit, die uns in Nordengland große Sorgen bereitet: Die Strategie der BNP scheint eine Kopie der so genannten befreiten nationalen Zonen zu sein. Sie versuchen eine Situation zu schaffen, in der sie genug Unterstützung in der Bevölkerung und besonders unter den jungen Männern haben, um Tabu-Zonen (no go areas) für Linke und Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten einzurichten. Links sind dabei für sie alle, die links von ihnen stehen. Sie konzentrieren sich dafür auf Gebiete mit hauptsächlich von Weißen bewohnten Mietskasernen. Eine Entwicklung, die ich für sehr gefährlich halte. Man kann daraus vielleicht einige allgemeine Schlussfolgerungen ziehen: Eine wäre, dass die Linke aufhören sollte, nur mit sich selbst zu reden. Sie muß die potenziellen Wähler der extremen Rechten ansprechen. Das kann nur mit systematischen Kampagnen in den Regionen geschehen, die die extreme Rechte als ihre Hochburgen ansieht. Man kann das nicht von außen machen. Die Linke muss sich unter den Menschen verankern, die am empfänglichsten für die Demagogie der faschistischen Organisationen sind. Sehr interessant ist, dass diese Gruppen in Deutschland und Britannien versuchen, sich zu radikalisieren, in dem sie den sozialen Aspekt ihrer Ideologie genauso betonen, wie den nationalen. Die Linke hat in keinem der beiden Länder eine Antwort darauf.

LinX: Du sprachst von der Strategie der Nazis, "befreite nationale Zonen" zu schaffen. In früheren Jahrzehnten haben in Großbritannien die Kinder von Einwanderern eine wesentliche Rolle in der Bekämpfung solcher Versuche gespielt. Wie sieht es damit heute aus?

G.A.: Anders. Derzeit ist nichts dergleichen zu sehen. Vor 20 Jahren gab es in einigen Städten Nordenglands Organisationen wie die Asiatische Jugendbewegung. Aber Organisationen und Strukturen gibt es nicht mehr. Zum Teil, weil wir Opfer unseres Erfolges wurden. In den 70ern und frühen 80ern haben wir die Nazis zerschlagen. Es kostete sie 20 Jahre, sich zu erholen und wieder auf der Bühne zu erscheinen. Doch jetzt sind sie zurück, und das Problem ist, dass in der Zwischenzeit unsere Strukturen sich nicht erhalten haben. Die Linke ist durch eine enorme Krise gegangen, hervorgerufen durch massive Niederlagen in wirklich historischen Kämpfen der Arbeiterklasse, und ist bisher nicht in der Lage gewesen, sich zu erneuern. All das stellt erhebliche strukturelle Hindernisse dar, wenn es darum geht, eine Opposition gegen die Faschisten zu entwickeln.

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