Big Brother

Rote Karte für Internetschnüffler

Der Bundesrat hat am 31. Mai einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die Telekommunikationsunternehmen und Internetprovider dazu verpflichten soll, alle Daten über die Kunden und Nutzer zu speichern und für etwaige Anfragen der Polizei- und Geheimdienstbehörden bereitzuhalten. In der Folge des 11. September 2001 gab es bereits eine Reihe von Gesetzesverschärfungen. Diese Initiative hat aber eine neue Qualität. Es genügt den Initiatoren offenbar nicht mehr, unter bestimmten Bedingungen auf vorhandene Informationen zuzugreifen. Nun soll sogar dafür gesorgt werden, dass das Verhalten aller Bürger jederzeit nachvollziehbar aufgezeichnet wird.

Um diese Pläne zu stoppen, ist es wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger und Organisationen, die dieses Vorhaben ablehnen, mit allen wichtigen Informationen versorgt sind und sich gegenseitig über ihre Aktivitäten unterrichten. Die vielen kritischen Stimmen müssen ein Forum erhalten, das dem Informationsaustausch dient und auch einzelnen Bürgern die Möglichkeit gibt, ihre Meinung in die Diskussion einzubringen. Das Unabhängige Datenschutzzentrum SH (ULD) möchte dazu eine Plattform für die Internetnutzer, Initiativen und Verbände anbieten. Diese neue Seite im Internetangebot des ULD soll den Stand der Gesetzgebung darstellen, Hintergrundinformationen bieten und eine breite Diskussion in Gang setzen.Dazu wird u.a. der Gesetzentwurf in seinen relevanten Teilen dokumentiert.

(Pressemitteilung Landesdatenschutzzentrums)

 

E-Mail Homepage

 

Kiel, 29. Mai 2002,   P R E S S E M I T T E I L U N G

Bundesratsmehrheit plant Anschlag auf das Recht auf unbeobachtete Kommunikation

Zum letztmöglichen Zeitpunkt in dieser Legislaturperiode, versteckt in einem ganzen Paket von Gesetzesanträgen, wird im Bundesrat zum wiederholten Mal der Versuch gestartet, den Datenschutz für Internet und Telekommunikation fast vollkommen auszuhebeln. Am Freitag, den 31. Mai 2002, stimmt das Plenum über den im Rechtsausschuss bereits mehrheitlich angenommenen Vorschlag ab, die Internet- und Telekommunikations-Provider zur zwangsweisen Vorratsspeicherung sämtlicher Daten ihrer Kunden zu verpflichten. Es würde sich dabei um eine Systemveränderung von gravierendem Ausmaß handeln. Die Verfechter des Gesetzesvorschlages scheuen sich nicht einmal, ihr Vorhaben ausdrücklich als "Vorratsspeicherung" zu bezeichnen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht die "Vorratsspeicherung" seit fast 20 Jahren als Synonym für eine verfassungswidrige staatliche Sammelwut, bei der Daten, die vielleicht irgendeinmal für staatliche Zwecke nützlich sein könnten, gespeichert werden.

Nachdem bereits mehrere Vorstöße im Bundesrat, Mindestspeicherfristen für Internet und Telekommunikation einzuführen, gescheitert waren (zuletzt im März 2002), gehen die Saboteure am Grundrecht auf unbeobachtete Kommunikation nun aufs Ganze: Nicht nur zur Strafverfolgung, sondern für die Erfüllung sämtlicher Aufgaben von Polizei, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Militärischem Abschirmdienst und Zollkriminalamt sollen die ins Blaue hinein gesammelten Verbindungs-, Nutzungs-, Bestands- und Abrechnungsdaten von Millionen rechtstreuer Bürger genutzt werden können. Wie lange die Provider die Daten speichern müssen und unter welchen Voraussetzungen die Sicherheitsbehörden Zugriff auf diesen riesigen Datenbestand nehmen dürfen, soll nicht der Gesetzgeber, sondern die Exekutive per Rechtsverordnung festlegen. Dies allein verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz, wonach die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe dem Parlament vorbehalten sind.

Datenschutz bei der Telekommunikation und den Internet-Telediensten bedeutet bislang die gesetzlich verbriefte Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger, dass nur die für die Abwicklung und Abrechnung der Nutzung erforderlichen Daten gespeichert werden dürfen. Erst kürzlich sind die Grundsätze der Datenvermeidung, Datensparsamkeit und der Möglichkeit anonymer Nutzungen für das Internet im Elektronischen Geschäftsverkehr-Gesetz (EGV) vom Gesetzgeber ausdrücklich bestätigt worden. Sie garantieren, dass die weit überwiegende Mehrheit rechtstreuer Nutzender ohne die Befürchtung, zwangsweise ihre Konsumgewohnheiten, Interessen oder politischen Ansichten dem Staat oder privaten Datenhaien offenbaren zu müssen, an der Informationsgesellschaft teilnehmen können. Das EGV ist kaum im Gesetzblatt veröffentlicht worden, da will die Mehrheit des Bundesrates das bisherige Teledienstedatenschutzrecht auf den Kopf stellen. Das Vorhaben des Bundesrates würde, verabschiedet am Ende der Legislaturperiode, ohne die erforderliche öffentliche und sorgfältige parlamentarische Diskussion im Windschatten des Bundestagswahlkampfes weitreichende Folgen haben. Dieses Vorgehen zeugt von beispielloser Bedenkenlosigkeit.

Was will die Bundesratsmehrheit konkret?

Stellen Sie sich vor, sie würden beim Betreten jedes Einkaufszentrums registriert und es würde genau notiert, was Sie dort ansehen, wie lange Sie ein Buch oder irgendeine Ware in der Hand halten, welche Zeitschriften Sie kaufen, von welchem Laden Sie in welches Geschäft gehen und für welche Produkte Sie sich interessieren, usw.

Absurd? Genau das würde die Protokollierung aller Internetaktivitäten bedeuten. Wer plant, jeden Klick im Internet, jede E-Mail, jede Pager-Nachricht und jede SMS aufzuzeichnen und durch Polizei und Geheimdienste auswerten zu lassen, der legt das Fundament für eine Gedankenpolizei.

Das Gegenteil dessen, was der Bundesrat will, wäre eigentlich notwendig. Wenn wir auf dem Weg in die demokratische Informationsgesellschaft, nicht zuletzt auch wirtschaftlich und kulturell, vorankommen wollen, muss es das Ziel aller Beteiligten in Politik und Wirtschaft sein, die Garantie unbeobachteter Teilnahme an Telekommunikation und Internet endlich effizient durchzusetzen .

Die vorgesehene Protokollierungspflicht ist ein so gewichtiger Vorgang, dass er weitere massive Datenschutzverschlechterungen, die im Gesetzespaket des Bundesrates darüberhinaus enthalten sind, wie z. B. eine noch weitergehende Zweckentfremdung von Verbindungsdaten und eine deutliche Ausweitung des Einsatzes der IMSI-Catcher, in den Hintergrund rückt.

Wir rufen die politischen Entscheidungsträger dazu auf, am Freitag im Bundesratsplenum bei diesem geplanten Anschlag auf den Datenschutz und das Telekommunikationsgeheimnis nicht mit zu machen und gegen das Gesetzesvorhaben zu stimmen.

P.S. Das ebenfalls am Freitag auf der Tagesordnung des Bundesrates stehende Verbraucherinformationsgesetz, das die Bürgerrechte wenigstens ein bißchen verbessert hätte, will die Bundesratsmehrheit ablehnen.

Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein Holstenstraße 98, 24103 Kiel, Telefon: 0431/988-1200, Telefax: 0431/988-1223, E-Mail, Homepage

LinX-Startseite Inhaltsverzeichnis