Kommentar

Unspannende Fragen

Während des dritten deutschen Krieges gegen Jugoslawien im ausgehenden 20. Jahrhundert beschrieb das Zentralorgan der hiesigen Bourgeoisie, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, weshalb für ihre Leserschaft die gegenwärtige Regierung so besonders wichtig ist: Ohne den grünen Außenminister mit seiner speziellen Biografie wäre dieser Krieg nicht möglich gewesen, hätte es im Lande gar womöglich Bürgerkrieg gegeben. Das war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber wahr ist daran allemal, dass SPD und Grüne den größeren Teil ihrer Anhängerschaft paralysieren konnten, der, hätte der Kriegskanzler nicht Schröder sondern Kohl geheißen, sicherlich massiv protestiert hätte. Einen Krieg weiter beginnt der Effekt sich abzunutzen.

Zwar steht im Parlament die ganz große Koalition für den Auslandseinsatz der Bundeswehr wie eine Mauer — nur die PDS tanzt nach wie vor aus der Reihe —, doch haben die Regierungsparteien ihre Anhängerschaft nicht mehr so recht im Griff. Die Erstarrung ist gewichen, es formiert sich eine neue außerparlamentarische Bewegung. Sowohl die Kriege der neuen Weltordnung wie auch die katastrophale Lage der öffentlichen Haushalte und die von allen Parteien betriebene Umverteilung von unten nach oben treibt die Menschen zu Zehntausenden auf die Straße. Offensichtlich ist der Nutzwert der gegenwärtigen Regierung für deren Auftraggeber nicht mehr allzu groß. Die Frage, ob uns ein CSU-Kanzler droht, scheint also berechtigt. Aber ist das tatsächlich eine so spannende Frage? Kann Stoiber wirklich eine noch reaktionärere Politik betreiben als Schily?

Wahrscheinlich eine Frage, über die sich lange, fruchtlose Diskussionen führen lassen. Vielleicht sollte man sich aber einfach darauf einigen, dass, wer es absolut nicht lassen kann, das kleinere Übel oder vielleicht auch das üblere kleinere Übel wählt, und man sich ansonsten lieber zusammen darauf konzentriert, die erwachenden sozialen Bewegungen zu stärken. Zum Beispiel, indem man die Kampagne von Attac und anderen gegen die Privatisierung der Krankenversicherung unterstützt. Oder indem man für den bundesweiten Aktionstag am 14. September mobilisiert, an dem sich unter anderem auch die Sozialhilfe- und Arbeitsloseninitiativen beteiligen. (wop)

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