KERNspalte

Gutachterstreit, 2. Runde: Energiestaatssekretär Willy "Ich-will-nach-Berlin"-Voigt hat die Untersuchung des IPPNW an Bodenproben in der Umgebung der GKSS Geesthacht, die dort Kernbrennstoffkügelchen gefunden haben wollen, für Unfug erklärt. Nach Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Lübeck, die gegen die beteiligten Wissenschaftler ermittelt, gäbe es in den Rückstellproben des Giessener Ingenieurs Gabriel, auf die sich der IPPNW bezieht, weder die behaupteten Schwermetalle noch irgendwelche radioaktiven Strahler. Diesen Widerspruch müssten die Wissenschaftler selbst erklären, meinte Voigt. Die CDU-Fraktion im Landtag forderte das Energieministerium unverzüglich auf, Schadensersatzansprüche gegen die beteiligten Wissenschaftler geltend zu machen, die FDP-Fraktion forderte eine Auflösung der Leukämie-Kommission. IPPNW hatte aufgrund der Untersuchung Strafanzeige gegen die Kernforschungsanlage GKSS und das AKW Krümmel gestellt. Gabriel behauptet nun, die Messmethoden des Karlsruher Instituts für Transurane, das für die Staatsanwaltschaft Lübeck untersucht hat, seien unzureichend, das Institut "überfordert" und Voigt bemüht, "die radioaktiven Verseuchungen als Hirngespinst eines Einzelnen darzustellen". Die Diskrepanz zwischen beiden Darstellungen ist auf jeden Fall so groß, dass die Wahrheit kaum durch einen Kompromiss gefunden werden kann.

Die Sicherheit von britischen AKWs leidet unter den Terroranschlägen vom 11. September, wenn auch nicht durch Terroristen. Da die Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde für Zivile Atomare Sicherheit seitdem mit "Sonderaufgaben" betreut würden, hätten sie im letzten Jahr nur in 9 von 31 Kernkraftwerken die vorgeschriebenen Inspektionen vornehmen können. Die irische Regierung hat als Maßnahme gegen radioaktive Verseuchung durch Terroranschläge (oder eben wahlweise mangelnde Inspektionen im benachbarten Großbritannien) 2 Mio. Jodtabletten an alle Haushalte verschickt.

Terroristen sind auch in Australien verzichtbar: Der im Bau befindliche Atomreaktor in Lucas Heights (Sydney) steht nach Angaben von Wissenschaftlern auf einer Erdbebenfalte. Zwar ist Sydney selbst noch nie von einem Erdbeben erschüttert worden, aber im 150 km entfernten Newcastle kamen 1989 13 Menschen bei einem Erdstoß der Stärke 5,6 ums Leben.

Stade ging am 17. Juni vermutlich zum letzten Mal vor der Stilllegung ans Netz. Im kommenden Jahr sollen dann die 157 Brennelemente abtransportiert werden, ab 2005 beginnt der Rückbau, der ca. 15 Jahre dauern und eine halbe Milliarde Euro kosten soll. Kostenschätzungen in der Atomindustrie sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, wie einer Notiz des Bundesrechnungshofes über die Verschrottung des 1988 stillgelegten Versuchsreaktors in Jülich (NRW) zu entnehmen ist. Statt der veranschlagten 39 Mio. Euro seien bis jetzt schon 190 Mio. Euro angefallen, es würden aber insgesamt wohl 490 Mio. Euro werden, von denen der Bund vertraglich abgesichert 90% übernehmen muss, ohne dass konkrete Arbeits- und Zeitpläne erfüllt werden müssten.

Nicht zum letzten Mal hingegen wurde Biblis A nach der Inspektion hochgefahren, denn es gab gleich mehrere Pannen. Defekte an elektrischen Bauteilen, Fehlsignale und ein Verdrahtungsfehler führten zu mehreren Schnellabschaltungen unter Abblasen von Kühlwasserdampf , bevor der Reaktor am 19.6. den Leistungsbetrieb wieder aufnahm. Auch der zweite Reaktor von Temelin wurde am 25.6. hochgefahren und soll nun bei 30% Leistung rund 300 Tests über sich ergehen lassen.

Natürlich nicht uneigennützig haben die Regierungschefs der G8-Staaten im kanadischen Kananaskis eine Finanzhilfe von 20 Mrd. US-$ für die Entsorgung der russischen Plutoniumabfälle und Atomwaffen beschlossen. Schröder hofft z.B. auf zahlreiche Aufträge für die deutsche Industrie, die sich bei der Verschrottung mit ihrem Know-How hervortun könne. Begründet wird die Spendierfreudigkeit (allein die USA wollen 10 Mrd. $ beisteuern) aber mit der Gefahr, Terroristen könnte das bombenfähige Material allzuleicht in die Hände fallen.

Das Reparaturkonzept für undicht gewordene Castor-Behälter steht und fällt mit einem dafür entwickelten Simulationsprogramm, und mit ihm die Genehmigung zum Lagern solcher Behälter. Nach Auffassung von Greenpeace fällt es, denn das Programm hat jahrelang fehlerhaft gearbeitet. Eine neuere Version könne die notwendige Spannungsfreiheit eines aufgeschweißten dritten Deckels nicht mehr bestätigen. Damit seien die Genehmigungsvorrausetzungen nicht erfüllt und die Einlagerung, z.B. in Gorleben, unrechtmäßig. Erschwerend komme hinzu, dass auch seit Jahrzehnten keine Falltests mehr real durchgeführt würden, sondern nur noch mit Computerprogrammen simuliert würden, die möglicherweise genauso fehlerhaft seien, so Susanne Ochse von Greenpeace.

Anwohnern der ehemaligen Plutoniumfabrik Hanford im Staate Washington, dem am höchsten verstrahlten Gelände der westlichen Hemisphäre, soll es nun gestattet sein, auf Schadensersatz gegen die US-Regierung und die Betreiberunternehmen General Electric und DuPont wegen der Verursachung von zahlreichen Krebserkrankungen zu klagen. Hanford war die Hauptproduktionsstätte für Atombomben im 2. Weltkrieg und ist seitdem eines der unsichersten Atommülllager der Welt. Nach Schätzungen geht es um Schadensersatzforderungen von einigen Dutzend Mio. Dollar.

Erneut gab es Atomtransporte, die nicht mehr auf deutscher, sondern nunmehr französischer Seite blockiert wurde. Am 18.6. blockierten angekettete Greenpeace-Mitglieder einen Transport von Mülheim-Kärlich nach La Hague in der Normandie, am 19.6. waren weitere Vereinsmitglieder im niederländischen Borssele aktiv. Das BfS hat weitere 19 Transporte von Neckarwestheim, Unterweser und Grafenrheinfeld genehmigt, so dass Greenpeace auch weiterhin die freie Auswahl haben wird.

Die Bohrungen an dem geplanten Endlager im französischen Bure im Elsass sind gerichtlich gestoppt worden, nachdem im Mai ein Arbeiter in einem der beiden Bohrschächte durch ein Belüftungsrohr ums Leben gekommen ist und ein anderer schon im Dezember bei einem Sturz schwer verletzt wurde. Nach Auffassung des Gewerbeamtes und des Gerichts bestehen erhebliche Mängel an den Sicherheitsvorkehrungen. Das Endlagercamp am 13.7. wird deshalb aber keineswegs überflüssig sein, sondern an Brisanz gewinnen, denn natürlich ist der Baustopp nur vorläufig. (BG)

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