Ratssplitter

Letzte Sitzung vor der Sommerpause, entsprechend umfangreich und langweilig das Programm. Das Innenministerium genehmigte die Haushaltssatzung der Stadt Kiel für das laufende und das kommende Haushaltsjahr, voll des Lobes für den "ausgeglichenen Haushalt", der durch den Anteilsverkauf der Stadtwerke Kiel möglich geworden sei. Damit gibt es einen Wink, wie der finanzielle Handlungsspielraum auch in Zukunft erweitert werden kann, denn "eine uneingeschränkte Genehmigung der Kredite", die in den Jahren 2004-2006 vorgesehen sind, kann es "nicht in Aussicht stellen". Entsprechende Weichenstellungen gibt es bei der KVG, die mit einem Bilanzverlust von 37,5 Mio. DM im vergangenen Jahr zu den Einnahmen der Stadt nichts beitragen konnte, was sich nach der Änderung des Gesellschaftsvertrages, den die Ratsversammlung am 2.7. beschloss, ändern könnte. Nunmehr wird "nach einem strategischen Partner" für die Verkehrsgesellschaft gesucht, an den man Geschäftsanteile veräußern könnte. Der Ausverkauf des Tafelsilbers soll also mal wieder die Bilanz schönen.

Zumindest etwas Stimmung kam bei der Großen Anfrage der Grünen zur Müllverbrennung auf. Ratsherr Rainer Pasternak wollte damit offensichtlich nachweisen, dass die Gebühren viel zu hoch sind. Ergebnis der Antwort durch Stadtrat Rethage ist, dass die Verbrennung im Müllheizkraftwerk am Winterbeker Weg mehr als dreimal so teuer ist wie z.B. die Deponierung auf einer Hausmülldeponie bei Lübeck. Die für Kiel zuständige Deponie Schönwohld (an die allerdings kein Kieler Hausmüll geliefert wird, sondern nur relativ geringe Mengen Gewerbemüll) ist zwar die mit Abstand teuerste im ganzen Lande, aber trotzdem verursacht die Verbrennung immer noch jährliche Mehrkosten von ca. zwei Mio. Euro gegenüber dieser Luxusdeponierung. Ein Gutteil dieser Kosten ist nicht selbstverständlich, u.a. schlagen das teuerste Filtersystem der Republik, die teilweise zu geringe Auslastung und technische Probleme wie "Brückenbildung auf den Walzen" negativ zu Buche. CDU-Ratsherr Huckriede, der auch im Aufsichtsrat der MVA sitzt, gab zu, dass es in der Vergangenheit Probleme gab, die MVA habe jedoch "das Problem zugunsten der Gebührenzahler gelöst". Er musste von Pasternak darauf hingewiesen werden, dass diese Gebühren gerade erst erhöht worden waren. Seit Februar bohren die Grünen auch in der Wunde des Wiegevorgangs: Die Müllfahrzeuge werden in Kiel nur vor der Entladung gewogen, ein Gegenwiegen danach entfällt. Rethage beurteilte dieses Verfahren als "üblich und (es) wird auch in anderen Kommunen in dieser Form verwendet". Auf Nachfragen konnte er die Kommunen jedoch nicht nennen, wurde im Gegenteil von Pasternak belehrt, dass das Kieler Modell z.B. in Hamburg für völlig abwegig gehalten wird. Tatsächlich hat es beim Abfallwirtschaftsbetrieb Kostensenkungen gegeben, die jedoch, so Pasternak in einer Presseerklärung, nicht an die Gebührenzahler weitergegeben würden, sondern die zu geringe Auslastung der MVA abfedern sollen. Hans-Werner Tovar von der SPD-Fraktion verteidigte trotzdem die Entscheidung zum Ausbau der beiden Verbrennungskessel, denn nach seiner Überzeugung werde es ab 2005 mehr als genug Siedlungsabfall geben, um die Anlage vollständig auszulasten.

Man kann aus den falschen Gründen relativ richtig liegen. OB Gansel findet, dass eine Untermaschinerie für das Opernhaus sicherlich wünschenswert, aber nicht notwendig sei, weil er das Geld lieber für Wirtschaftsförderung ausgeben will. Der Kulturbegriff, den jedoch die interfraktionellen Antragsteller der 1,5 Mio. Euro teuren sechs-teiligen Untermaschinerie offenbarten, beschränkt sich scheinbar auf das Opernhaus, in dem man in der Pause zwischen dem 2. und 3. Akt bei einem Glas Sekt seine Verbundenheit mit den Musen demonstrieren und sich selbst (re)präsentieren kann. So erstaunt es doch etwas, dass zu den glühendsten Verfechtern dieser technischen Neuerung, deren wesentlicher Vorzug auch noch die Vernichtung von zwei Arbeitsplätzen ist, der erwähnte Ratsherr Pasternak gehört, der selbst früher Kulturell-Politisches in einer Laienschar darzubieten versucht hat, die es nie auf die Bühnen der Landeshauptstadt Kiel schaffte und das auch nicht wollte. Zur damaligen Zeit gab es eine Reihe von abschätzig "Kleinkunst" genannten Bühnen und Künstlern, die mit einer einzigen Ausnahme nie in den Genuß einer städtischen Unterstützung gekommen sind. SPD-Ratsfrau Cohrs-Heimann brachte den (bei den Grünen erworbenen) Mangel an Phantasie auf den Punkt: "Das Theater (womit sie nur das Opernhaus meinte, BG) ist der Mittelpunkt des kulturellen Lebens in unserer Stadt." Da mochte der OB noch so sehr zetern, das Geld sei nicht gefunden worden, sondern müsse irgendwem auch weggenommen werden, und er werde die Opernmaschinerie nicht bestellen, solange keine Haushaltsdeckung da sei, den Mittelpunkt des kulturellen Lebens mochte keine Fraktion verelenden lassen. Wirklich keine? Da war doch noch ... Kottek von der SUK, dem es ein Dorn im Auge war, dass die Belegschaft der Oper nicht mal einen Soundcheck auf dem Rathausplatz durchführen konnte. Er dachte aber auch nicht gerade darüber nach, dass man für einen Bruchteil dieser Summe z.B. den Veranstaltungssaal in der Alten Meierei, ein Kleinod der Kieler Kulturszene, hätte renovieren und technisch verbessern können, ohne deshalb einen Prunkpalast draus zu machen.

Nein, Kottek dachte an was anderes, nämlich an die Alkoholexzesse auf offener Straße, die sein ästhetisches Empfinden störten. Er, der Anwalt des Kieler Einzelhandels, hatte sich deshalb den Kopf zerbrochen und aus der Geschichte der Bundesrepublik Beispiele beigebracht, wie man die Sondernutzungsrechte an öffentlichen Straßen und Plätzen einschränken könne, wie man es in Nürnberg, Bonn und Wuppertal schon heute tut. Da heißt es z.B.: "Die Erlaubnis (zur Sondernutzung) ist zu versagen ... für das Nächtigen oder Lagern in den Fußgängerzonen, ...für das Verweilen zum Zwecke des Genusses alkoholischer Getränke außerhalb zugelassener Freischankflächen..., für das Betteln in jeglicher Form." Die Ratsmitglieder lachten, wenn überhaupt, dann nur innerlich, und überwiesen Kotteks Antrag an den Wirtschaftsausschuss.

Oft, und für den Betrachter gewöhnungsbedürftig, sind sie sich aber plötzlich alle einig und loben auch den Herrn Pasternak, der den Analphabeten das Lesen beibringen lassen will. Alphabetisierungskampagne - das fanden alle unterstützenswert, wenn es auch die Ausschüsse letztlich richten sollen. Noch ein bisschen Landreform und Enteignung der Produktionsmittel dazu, und man hat ein komplettes sozialistisches Vierjahres-Programm. Gut für die Marginalisierten, dass es keiner gemerkt hat. Sonst hätte der Gansel noch gesagt: Lesen können, das ist zwar wünschenswert; aber notwendig ist das im Zeitalter des Handys nicht! (BG)

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