Globales

UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung:

Euphorie verflogen?

Am 26. August ist es so weit. Über 60.000 Delegierte, Journalisten, Lobbyisten und Beobachter von Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt werden im südafrikanischen Johannesburg erwartet. Bis zum 4. September wird dort der Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (World Summit for Sustainable Development, WSSD) tagen, die seit langem erwartete Nachfolge- und Bilanzkonferenz des Umweltgipfels von Rio de Janeiro 1992. Verabschiedet wurden seinerzeit die Klimarahmenkonvention sowie die Konvention über Biologische Vielfalt und das Aktionsprogramm "Agenda 21". Auf der Tagesordnung in Johannesburg werden neben einer Bilanz des bisher Erreichten Themen stehen wie die Bekämpfung der Armut, Technologie- und Finanztransfer zur Unterstützung nachhaltiger Entwicklung im Süden und ein Aktionsplan, der konkrete Zeitpläne und Verpflichtungen enthalten sollte.

Doch damit sieht es schlecht aus, meint Emil Salim, ehemaliger Umweltminister Indonesiens, der den Vorbereitungskonferenzen des WSSD vorsaß. Die reichen Länder seien bereit, über Armutsbekämpfung zu reden, wollten sich jedoch auf keinerlei Ziele festlegen lassen, berichtete Salim auf einer Podiumsdiskussion am 1. August in Indiens Hauptstadt Neu Delhi. Entsprechend war daher auch das letzte Vorbereitungsgespräch, das Ende Mai/Anfang Juni auf der indonesischen Insel Bali stattfand, weitgehend ergebnislos geblieben. Der Verhandlungstext, der in Johannesburg vorliegen wird, enthält nach wie vor eine Unmenge eckiger Klammern, mit der Diplomaten gewöhnlich Textpassagen kennzeichnen, die noch strittig sind.

Fünf Fronten
Nach Salims Einschätzung werden die Entwicklungsländer an fünf Fronten in Johannesburg zu kämpfen haben: Durchsetzung konkreter Zeitpläne, Globalisierung, Handel, Finanztransfers und das Prinzip der gemeinsamen jedoch differenzierten Verantwortung. Man fragt sich vielleicht, was das Thema Handel auf einer Konferenz zu suchen hat, bei der es um den Schutz der globalen Umwelt und die wirtschaftliche Entwicklung der Länder des Südens geht. Die Erklärung ist simpel. Die Industriestaaten und ihre Konzerne behaupten, daß Entwicklung und Bekämpfung der Armut nur durch Ausdehnung des Welthandels, den Abbau aller Zollschranken sowie die Erleichterung ausländischer Direktinvestitionen möglich ist. Zwar sagt der Anstieg der Armut im letzten Jahrzehnt, der mit der Expansion der grenzüberschreitenden Warenströme zeitlich zusammenfiel, das Gegenteil, doch davon lassen sich weder die Regierungen in Berlin, London, Tokyo und Washington noch ihre Auftraggeber in den Vorstandsetagen von BP, Ford, Toyota oder DaimlerChrysler beeindrucken. Bereits in den Dokumenten von Rio wurden aufgrund deren Drucks Formulierungen untergebracht, nach denen offene Märkte und Freihandel die Voraussetzung für Entwicklung seien. Ein Dogma, das auch die gegenwärtige Berliner Regierung - das Interesse der exportorientierten deutschen Industrie fest im Auge - mit Inbrunst vertritt.

Ganz auf dieser Linie - denn in dieser Frage ist man sich in den westeuropäischen Hauptstädten einig - wird die EU auch in Johannesburg die Gelegenheit nutzen, auf Öffnung der Märkte der Länder des Südens zu drängen. Andererseits werden diese wohl auch in Zukunft mit ihren Exportprodukten im Norden vor unüberwindlichen Zollmauern stehen, denn Freihandel ist im Falle ungleicher Kräfteverhältnisse in der Praxis meist eine Einbahnstraße. So könne, beklagt Salim, Indonesien seine reichen Kupfer -, Aluminium - und Zinnvorkommen nicht selbst weiterverarbeiten - und somit im Land kein Einkommen und keine Kaufkraft generieren -, da Fertigwaren in den Industriestaaten mit wesentlich höheren Zöllen belegt werden als Rohimporte.

Vor der Verantwortung drücken
Auch um das wichtige Prinzip der gemeinsamen jedoch differenzierten Verantwortung, das in Rio von den 133 in der Gruppe der 77 (G 77) zusammengeschlossenen Entwicklungsländern durchgesetzt wurde, wird in Johannesburg mal wieder hart gestritten werden. Bereits auf den Vorbereitungskonferenzen hatte es tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen Nord und Süd gegeben, die bei vielen Vertretern von Entwicklungsländern einen bitteren Nachgeschmack hinterließen. In der Klimarahmenkonvention habe dieses Problem, so Indiens ehemaliger Umweltminister Sri Kamalnath auf der bereits erwähnten Podiumsdiskussion, dafür gesorgt, daß zunächst die Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen reduzieren müssen, bevor die übrigen Staaten ihrerseits bindende Verpflichtungen übernehmen. Der Hintergedanke dabei ist, daß für die bisher in der Atmosphäre angereicherten Treibhausgase allein der industrialisierte Norden die Verantwortung trägt, da er sowohl absolut wie vor allem auch pro Kopf gerechnet erheblich mehr als die Länder des Südens emittiert. Dennoch versuchen viele Industriestaaten immer wieder, die Verantwortung auf die Entwicklungsländer abzuschieben. In Washington geht man gar soweit, sich zu weigern, Klimaschutzmaßnahmen verbindlich zuzusagen, bevor nicht auch Indien und China Verpflichtungen übernehmen. Aber auch die verschiedenen Bundesregierungen haben seit Rio immer wieder die Betonung auf das Wörtchen "gemeinsame" gelegt, um damit zwischen den Zeilen die eigene Verantwortung herunterzuspielen und die Entwicklungsländer zur Übernahme von Verpflichtungen zu drängen. In den WSSD-Vorverhandlungen haben sich sowohl die USA als auch die EU bis zuletzt dagegen gesperrt, daß das Prinzip der gemeinsamen jedoch differenzierten Verantwortung in Johannesburg bekräftigt wird.

Entsprechend will derzeit am Tafelberg anders als vor zehn Jahren an der Copacobana nicht die rechte Aufbruchstimmung entstehen. Während seinerzeit trotz mancher Kröten in den Vertragstexten viele den Durchbruch in den wichtigsten internationalen Umweltverhandlungen für erreicht hielten, ist zehn Jahre später längst Ernüchterung eingekehrt: Der Zustand der globalen Umwelt hat sich eher verschlechtert als verbessert, die diversen Nachfolgeverhandlungen der beiden Konventionen treten bestenfalls auf der Stelle - wenn es nicht gar in die falsche Richtung geht - und die internationale Arena hat sich gegenüber 1992 dramatisch gewandelt: Fiel der Rio-Gipfel noch in eine Hochzeit des Multilateralismus, so Kamalnath, der seinerzeit die indische Delegation leitete, so finde der WSSD in einer Zeit des Unilateralismus statt. Die USA hat sich bereits aus dem Kyoto-Protokoll, dem 1997 in der alten japanischen Kaiserstadt ausgehandelten Zusatzabkommen der Klimarahmenkonvention zurückgezogen, und zeigt auch sonst wenig Neigung, sich in internationale Verträge einbinden zu lassen. Für Johannesburg läßt das nichts Gutes erwarten.

Nachhaltig unnachhaltig
Ein Schlüsselbegriff in der Vorbereitung der Rio-Konferenz und ihrer Beschlüssen war die Nachhaltigkeit, dessen Karriere in den 1980er Jahren begann. Gemeint war damit ursprünglich, daß jeder Mensch und jede Generation ihre Bedürfnisse in einer Weise decken sollte, die nachfolgende Generationen nicht in ihren Möglichkeiten beschneidet, oder gar die Erde auf Dauer gänzlich unbewohnbar macht. Ein Zustand, von dem wir heute weiter entfernt sind als vor zehn Jahren. Im Jahre 2002 wird mehr statt weniger Treibhausgas in der Erdatmosphäre angereichert. Die Entwicklungsrichtung ist noch nicht einmal umgekehrt, geschweige denn, daß der Prozeß gestoppt wäre. Ebenso werden weiter die tropischen Regenwälder und die letzten Urwälder Eurasiens (in Rußland) sowie Nordamerikas in atemberaubenden Tempo vernichtet (und mit ihnen eine unwiderbringliche Artenvielfalt), Ackerböden durch unsachgemäße Bewirtschaftung zerstört, werden die Fischbestände der Ozeane rücksichtslos überfischt, werden Trinkwasserreservoirs durch industrielle und Siedlungsabwässer verdorben und breiten sich Seuchen wie Malaria, Aids und TBC aus, weil die Gesundheitsversorgung vieler Länder im Süden wie im Norden verfällt, da unverzichtbare finanzielle Ressourcen abgezogen werden, um die exorbitante öffentliche Schulden zu bedienen.

Viele dieser zukunftzerstörenden Aktivitäten sind mit erheblichen ökonomischen Interessen verbunden. Besonders der menschliche Treibhauseffekt, der zu zirka 50 Prozent auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückgeht, ist damit direkte Folge des Geschäftes jener Konzerne, die seit vielen Jahrzehnten das Herzstück des modernen Kapitalismus ausmachen: Erdöl, Stromproduktion, Auto und Chemie. Entsprechend haben diese Branchen bereits im Vorfeld der Rio-Konferenz die verschiedenen internationalen Vorbereitungstreffen intensiv für ihre Lobbyarbeit genutzt und alles dran gesetzt, den Klimaschutz zu torpedieren - in enger Zusammenarbeit übrigens mit den in der OPEC zusammengeschlossenen erdölexportierenden Ländern. Diese sind zumeist zugleich auch Mitglied der G 77 und sorgen dort bis auf den heutigen Tag dafür, daß der Süden keine einheitliche Stimme findet, um sich gegenüber dem reichen Norden auf den Konferenzen der verschiedenen Umweltvertragswerke oder auch demnächst in Johannesburg durchzusetzen.

Zahnlos aber unverzichtbar
Aber nicht nur die genannten schmutzigen Vier hatten allen Grund an einem Mißerfolg der internationalen Vereinbarungen zu arbeiten. Auch aus anderen Branchen schicken die großen Konzerne und Industriellenverbände ihre Lobbyisten auf die internationalen Konferenzen, und in deren Munde ist das Wörtchen "nachhaltige Entwicklung" längst zum Synonym für Wirtschaftswachstum verkommen, womit allerdings im Zweifelsfall immer nur das des eigene Unternehmen gemeint ist.

Entsprechend zahnlos ist aufgrund des inflationären Gebrauchs der Begriff Nachhaltigkeit inzwischen in der öffentlichen Wahrnehmung geworden, so daß er in Deutschland von manchen Linken abgelehnt wird. Das mag auch damit zusammenhängen, daß hierzulande die radikaleren Teile der Linken den Grünen die Umweltdiskussion überließen, womit dieser auch der Geruch des "Reformismus" angeheftet war; gleichermaßen als Ursache und Ergebnis der linken Selbstbeschränkung auf vermeintlich radikalere Themen. Die Ablehnung des Begriffs Nachhaltigkeit ist allerdings für hiesige Linke aus zweierlei Gründen problematisch: Zum einen kommt einem damit eine Begrifflichkeit für eine andere (stoffliche) Form des Wirtschaftens abhanden, die anzustreben unabdingbarer Bestandteil jedes emanzipativen Projektes sein muß. Zum anderen schließt man sich damit aus dem internationalen Diskurs aus, in dem viele Organisationen und Bewegungen in den Ländern des Südens den Begriff Nachhaltigkeit (Sustainability) nach wie vor in der oben zitierten unverwässerten Form verwenden, unter anderem um von den reichen Gesellschaften die Abkehr von einem zerstörerischen Produktions- und Konsumtionsmodell zu fordern, das alle bedroht.

Afrika abgehängt?
Eine ganze Reihe dieser Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen aus Entwicklungsländern wird trotz knapper finanzieller Ressourcen Vertreter nach Johannesburg schicken, um dort ihren Protest gegen den herrschenden Neoliberalismus kund zu tun, der Handel und das Wohl der Großen Konzerne über alles setzt. Geplant ist unter anderem ein Kongreß der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie zahlreiche Demonstrationen und andere Straßenaktionen. Vorbereitet werden unter anderem auch Tribunale, auf denen die großen, international agierenden Konzerne zur Verantwortung gezogen werdensollen. Afrikanische NGOs haben dem WSSD bereits auf einem kontinentalen Koordinierungstreffen in einer Erklärung der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds vorgeworfen, die Entwicklung Afrikas zu behindern. Hohe Zollbarrieren und ungleiche Kräfteverhältnisse im Welthandel würde es besonders den am wenigsten entwickelten Ländern unmöglich machen, ihre geringen Vorteile, die sie zum Beispiel in der Textilproduktion hätten, auszunutzen. Die mineralischen Ressourcen Afrikas würden auf eine nicht nachhaltige Weise ausgeplündert, u.a. weil sie in den Ländern nicht für den Export weiter verarbeitet werden können, weil die Industrieländer zu hohe Zölle auf Fertigwaren erheben. Aber nicht nur den Industriestaaten gaben die afrikanischen NGOs, die sich vom 17. bis zum 19. Juli in Abidjan an der Elfenbeinküste trafen, die Schuld an der Misere. Auch die afrikanischen Regierungen hätten ihren Anteil. Sie seien 1992 schlecht vorbereitet nach Rio gefahren und hätten seit dem wenig unternommen, um die Armut zu bekämpfen und die Umwelt zu schützen. Besonders besorgt sein man, heißt es in der Abschlußerklärung, daß in den Verhandlungstexten, die in Johannesburg auf dem Tisch liegen werden, praktisch nichts von Belang für Afrika stünde. Alle entsprechenden Passagen zum Beispiel zur Armuts- und AIDS-Bekämpfung seien noch umstritten.
Unilateralismus oder Verhandlungen?
Auch auf dem WSSD werden wie schon bei zahlreichen anderen internationalen Verhandlungen unter den sogenannten Grünen NGOs, das heißt jenen Lobbygruppen, die nicht von der Wirtschaftsverbänden gestellt werden, die Organisationen aus den Industriestaaten dominieren, und zwar schlicht deshalb, weil sie wesentlich wohlhabender sind. Bei vielen Vertretern von Süd-NGOs hinterläßt das einen faden Nachgeschmack. Viel Bitterkeit hat sich in den letzten zehn Jahren aufgestaut, und mancher hat es längst aufgegeben, auf die Umweltverbände aus dem Norden zu hoffen: "Die Länder des Südens können sich nicht auf die NGOs aus dem Norden verlassen, um ihre Interessen in den Umweltverhandlungen durchzusetzen. Das zeigt sich an den unterkühlten Reaktionen dieser Gruppen auf die Forderungen aus dem Süden, das Prinzip der Gerechtigkeit in der Klimakonvention durchzusetzen", schreibt das Center for Science and Environment (CSE) in Neu Delhi, das seit Anfang der 1990er die verschiedenen internationalen Umweltverhandlungen verfolgt. Die CSE-Direktorin Sunita Narain hatte schon frühzeitig mit ihrem inzwischen verstorbenen Vorgänger Anil Agarwal vorgerechnet, daß die Industriestaaten auch in Sachen Treibhauseffekt auf Kosten des Südens wirtschaften. Sie fordert daher, daß die Klimaverträge allen Menschen die gleichen Rechte an der Atmosphäre einräumen müssen, anstatt wie bisher den Industriestaaten implizit enorme Verschmutzungsrechte zu gewähren. Auch die Handelssanktionen, die viele Umweltverträge als Strafmechanismen vorsehen, lehnt sie ab, weil sie die starken Nationen bevorzugen würden. Man stelle sich vor, schreibt das CSE in einem Positionspapier, die Malediven würden die USA mit Handelssanktionen belegen, weil diese aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen sind. In Washington würde man davon wahrscheinlich nicht einmal Notiz nehmen. "Wird es eine Welt des Unilateralismus, in der die Starken den Schwachen ihren Willen aufzwingen, oder wird es ein verhandelte Weltordnung, an der 'alle Nationen klein und groß' teilhaben?", fragt das CSE-Magazin "Down to Earth" mit Ausblick auf die Verhandlungen.
Graphik globale Temperaturveränderung
Die globale mittlere Temperatur der bodennahen Luft, zum einen als Jahresmittel (gestrichelt), zum anderen als Fünf-Jahresmittel (durchgehend). Dargestellt ist die Abweichung von der mittleren Temperatur der Jahre 1960 bis 1989 in Zehntel Grad. Seit den 1880ern ist es um ca. 0,6 Grad wärmer geworden.
 
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