Kommentar:

Soziale Grausamkeiten

Da führt sich einer gut ein: Der neue Sozialdezernent Adolf-Martin Möller will 500 neue Zwangsarbeiterstellen schaffen. "Gemeinnützige Arbeit" heißt das bei ihm. Wer die "trotz Zumutbarkeit" ablehnt, bekommt die Sozialhilfe gestrichen, und was "zumutbar" ist, bestimmt natürlich er selbst. Für 1,02 Euro die Stunde (plus Sozialhilfe) arbeiten, ohne dass Anspruch auf Arbeitslosengeld und Rente erworben wird, ohne Kündigungsschutz, Streikrecht, Betriebsrat und was einen Arbeiter sonst noch so vor der Willkür seines "Arbeitgebers" leidlich schützt, das finden offensichtlich auch die Rathausparteien ganz o.k. Ein Schelm, wer da denkt, der Möller hat sich in der Zeit vertan, und die Abschaffung des Reichsarbeitsdienstes verpaßt.

"Harken, mähen, Unkraut, jäten und Hecken schneiden - ist das wirklich unzumutbar?", fragt das örtliche Käseblatt scheinheilig in etwas, was wohl ein Artikel sein soll, sich allerdings eher wie ein Propagandapamphlet liest. Worüber natürlich kein Wort verloren wird ist, dass ganz nebenbei dabei herauskommen könnte, dass die Arbeiten des Grünflächenamtes privatisiert und tariflich abgesicherte Jobs durch "gemeinnützige Arbeit" ersetzen werden. Entsprechende Diskussionen über eine Privatisierung dieses Bereiches gibt es bereits. Schließlich müssen "wir" ja sparen, damit Steuergeschenke bezahlt werden können und die Banken zumindest ihre Zinsen erhalten. Man darf gespannt sein, ob bei ver.di jemand mitbekommt, was da gespielt wird.

Oder in der Linken. Denn klar ist, dass das nur das Vorspiel zu einem in jüngerer Vergangenheit beispiellosen Reigen sozialer Grausamkeiten sein wird. Denn: Die Kommunen sind restlos pleite, und in Zukunft wird es noch wesentlich dicker kommen. Dank Steuerreform und Wirtschaftsflaute brechen derzeit die Einnahmen der Städte und Gemeinden dramatisch ein. Daran wird sich auch in Zukunft, ganz egal, wer am 22. September gewählt wird, nicht so schnell etwas ändern. Vielmehr spricht Manches dafür, dass wir am Beginn einer schweren weltwirtschaftlichen Rezession stehen, die sowohl die Arbeitslosigkeit als auch die Verschuldungskrise der öffentlichen Hand dramatisch verschärfen wird. Weltweit brechen die Aktienkurse ein und die immer noch als Konjunkturlokomotive des Weltmarktes dienende Wirtschaft der USA hat zuletzt ihr Wachstum nur noch durch einen enorm aufgeblähten Rüstungsetat halten können. Wieder einmal, so scheint es, erzwingen die Gesetze der kapitalistischen Ökonomie die Vernichtung von "überflüssigen", da keiner Kaufkraft gegenüberstehenden, Produktionskapazitäten.

Unterdessen nimmt der Druck auf das untere Ende der gesellschaftlichen Pyramide, auf Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und Flüchtlinge, zu. Wer als Facharbeiter meint, ihn gehe das alles nichts an, wird schon bald zu spüren bekommen, dass er sich da verrechnet hat. Denn dem allgemeinen Abwärtstrend der Lohn- und Sozialstandards kann sich kaum jemand auf Dauer entziehen. Und wer als Linker meint, die wachsende Armut und Verelendung wird schon das notwendige rebellische Potenzial von selbst hervorbringen, wird sich ebenso getäuscht haben: Die Armut verstärkt zunächst nur Isolation und Entsolidarisierung. Dem kann nur mit Organisierung und gemeinsamen Kampf entgegengewirkt werden. Aber dafür müsste man seine kleine kuschelige Nische verlassen. (wop)

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