KERNspalte

Greenpeace-Aktion

Zwei Tage vor dem Beginn der UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg haben 12 Greenpeace-Aktivisten ein Gebäude des Atomreaktors Koeberg bei Kapstadt mit Schlauchbooten geentert, ein Transparent entrollt, sich festnehmen lassen, richtig Ärger mit Südafrikas Justiz bekommen, einen Strafbescheid über 5000 Rand (500 Euro) sowie 12 Landesverweise kassiert.

Der "old economy" geht es mancherorts auch mal an den Kragen. Und das hat mit Atomkraftwerken zu tun. Während der britische Atomkonzern BNFL im vergangenen Jahr "nur" einen Rekordverlust von 3,6 Mrd. Euro auswies - hauptsächlich versackt in der Atommüll-"beseitigung" in Sellafield -, ist der größte, ehedem staatliche Stromversorger der Insel, British Energy (mit BNFL geschäftlich eng verbunden), gleich richtig pleite. BE gibt dem drastischen Verfall der Strompreise und dem Ausfall zweier Reaktoren die Schuld. Aktien werden seit dem 5.9. nicht mehr gehandelt. Den Ministern der Labour-Regierung erscheint es jedoch zu gefährlich und zu teuer, die zahlreichen AKWs des Konzerns in den Konkurs laufen zu lassen, weshalb sie das Geld des Steuerzahlers in einer als "Kredit" getarnten Aktion großzügig an BE umleiten wollen. Liberalisierung hat bei der Atompolitik ihre Grenzen. Konnte man früher die bekannten Risiken noch mit dem Hinweis auf angebliche Wirtschaftlichkeit relativieren, so heißt es nach dem Platzen der Seifenblase genau umgedreht: Gerade wegen der Risiken müsse die Gesellschaft auch die Unwirtschaftlichkeit in Kauf nehmen.

Der britische Energieexperte Antony Fagott rechnete Ende August vor, dass moderne Gaskraftwerke gleicher Leistung in einem Drittel der Zeit zu einem Viertel der Kosten gebaut werden könnten. Selbst Kohle sei noch - über die ganze Laufzeit gesehen - 6% billiger als Atomstrom. Dessen ungeachtet erlebt die Kernspaltung weltweit eine Renaissance (während alte Anlagen gleichzeitig länger laufen als geplant): Russland will 4 neue Reaktoren bauen, die USA wollen mit Atomstrom vom Öl unabhängiger werden, die meisten Neubauten aber entstehen in Asien. Mitunter sind die taktischen Motive so vordergründig, dass Überlegungen zu den Kosten gar nicht erst angestellt werden.

Die meisten asiatischen AKWs laufen in Japan, das von Atomstrom vollkommen abhängig ist. Und auch dort befindet sich der größte Stromversorger, Tokyo Electric Power (TEPCO), in einer noch schwereren Krise als der Rest der Wirtschaft. Über Jahre hinweg sind - wie TEPCO inzwischen zugab - Inspektionsberichte systematisch gefälscht worden, wobei Risse in 13 Reaktoren vertuscht werden sollten. Während zeitgleich in der Prozesseröffnung gegen 6 Manager des Unternehmens wegen des Unfalls in der Uranfabrik Tokaimura 1999 die Staatsanwaltschaft Haftstrafen forderte, verkündeten 5 Topmanager - darunter Präsident Nobuya Minami - am 2. September ihren Rücktritt. Insgesamt 6 Reaktoren des Konzerns wurden wegen "dringender Sicherheitsüberprüfungen" abgeschaltet, davon einer (Fukushima) erst, weil ein Leck entdeckt wurde, aus dem radioaktiver Dampf ausströmte. Die Konzernzentrale wurde durchsucht, Unterlagen beschlagnahmt. Das Vertrauen der Japaner in ihre Atomanlagen ist immerhin leicht erschüttert.

Ganz, ganz leicht auch das der Franzosen. Ein französischer Untersuchungsrichter ermittelt gegen die Cogema wegen des Verdachts der fortgesetzten Umweltverseuchung. Nein, nicht wegen der WAA La Hague, wie man vielleicht annehmen sollte, sondern wegen einigen seit 1995 stillgelegten Uranbergwerken in der Region Limousin. Die Cogema soll dort radioaktive Abfälle unsachgemäß gelagert haben und mehrere Flüsse verseucht haben. Das Unternehmen bestreitet dies, na ja...

Rosige Zeiten bei RWE. Zumindest wirtschaftlich: 46% mehr Gewinn im ersten Halbjahr 2002 nur durch Strom, das konzernweite Ergebnis wurde immerhin noch um 8,7% auf 2,17 Mrd. Euro erhöht. Aber die Kostensenkungen betrafen wohl vor allem die Sicherheit. Die beiden RWE-Meiler in Biblis erlebten eine Pannenserie: Am 22. Juli trat in Block B radioaktives Wasser aus einer undichten Schweissnaht, am 28. August fiel dann die Notstandsversorgung zu Block A bei Elektroarbeiten ganz aus, nur zwei Tage später meldete die Kraftwerksleitung fehlende Druckentlastungsventile in den Armaturen von Block B. Dabei wurde mehrfach gegen Betriebsvorschriften verstoßen. Hessens Umweltminister Dietzel (CDU) stellte den wegen Revisionsarbeiten abgeschalteten Reaktor unter Aufsicht, bestellte den RWE-Vorstand zum Gespräch und erwog gar ein Bußgeld.

Auch in Philippsburg und Neckarwestheim (EnBW) hält die Pannenserie an: eine irrtümliche Schnellabschaltung, eine Leckage im Zwischenkühlkreislauf, eine blockierte Bor-Einspeiseleitung, eine defekte Ventilelektronik. Alles Kategorie "Normal", so normal wie der wöchentliche Zwischenfall in Temelin. Im ersten Block gingen die Pumpen nicht, im zweiten die Generatoren. Nach vier Tagen Stillstand Wiederbelebungsversuche. Bis zum nächsten Infarkt. (BG)

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