Meinung

Nur Almosen?

Der Artikel von C.S. in der letzten LinX ("Almosen-Erfolgsstory") weist neben einer scharfen Polemik v.a. hochgradige Unkenntnis der Realität aus. Deutlichstes Zeichen ist seine Behauptung, durch den Verkauf von 20 Hempels seien 10 DM zu verdienen. In Wirklichkeit sind es immerhin 20 DM. Die Zahl von 50% der Kunden, die die Zeitung tatsächlich läsen, ist nicht etwa schätzungsweise, sondern schlicht aus der Luft gegriffen bzw. aus dem Finger gesogen. Gut wäre es gewesen, hätte sich C.S. vorm Schreiben des Artikels mit einigen Verkäufern unterhalten und deren Wahrnehmung erforscht. Sein Ergebnis wäre vermutlich ein anderes gewesen. Ich selbst, der ich die Hempels u.a. auch verkaufe, habe jedenfalls feststellen können, daß sehr viele Kundinnen und Kunden diese Zeitung sehr wohl lesen und mich auch auf bestimmte Inhalte der jeweils letzten Ausgabe ansprechen. Eine Reaktion, die tatsächlich auf bloßes Almosen-Geben schließen ließe, kommt zwar vor, ist aber recht selten. (Nebenbei: Auch, wenn es anders wäre: 50% von 31.000 verkauften Exemplaren sind immer noch unbedeutend mehr als 100% von 250 Abonnenten (Anm. d. Red.: Der Autor meint hier offenbar die AbonnentInnenzahl der LinX. Diese ist allerdings deutlich geringer als 250). Hempels ist eben das bei weitem auflagenstärkste Zeitungsprojekt von unten im Lande Schleswig-Holstein.)

Zu den Inhalten der Straßenzeitungen äußert sich C.S. bezeichnender- und bedauerlicherweise kaum. Daß das Interview mit den "Böhsen Onkelz" eben keine Gratis-PR für diese Band war, sondern Beginn einer Auseinandersetzung mit einer Musik, die durchaus von sich selbst als links verstehenden und auch so handelnden Menschen akzeptiert und gemocht wird, entgeht ihm vermutlich mangels Kontakten zu Menschen, die nicht auf der richtigen (kulturellen) Linie sind.

Die Motivation dafür, weshalb Menschen die Hempels kaufen, ist an (ziemlich langen) Haaren herbeigezogen: Da soll dann angeblich honoriert werden, daß kapitalistisches Arbeitsethos eingeübt werde. Eine Mauer, die C.S. behauptet: Die verdienten 10 DM gelten eben als ehrlich und redlich verdient, im Gegensatz zu den mit kaltem Hintern und viel psychologischem Geschick zusammengeschnorrten 10 DM, mag von manchen Kundinnen und Kunden so gesehen werden. Andererseits gibt es gerade unter den Verkäuferinnen und Verkäufern etliche, die früher selbst mal Schmale gemacht haben und von da aus in Gesprächen auch versuchen, diese Grenze einzureißen. C.S. hätte das mittlerweile im allgemeinen gute Verhältnis zwischen Bettlern und Hempels-Verkäufern ohne Probleme in der Holstenstraße beobachten können.

Worin sich sein horror facti, seine Angst vor Tatsachen, auch noch zeigt, ist das Zusammenschmeißen von Tafeln und Straßenzeitungen ohne Beachtung dessen, daß letztere auch unterschiedliche Vorstellungen haben, wer denn bitte die Ausgegrenzten dieser Gesellschaft vertreten soll: Journalisten schreiben für die Misérables wie bei "Trottwar", oder die Elenden schreiben selbst wie weitgehend bei Hempels. Kleine, aber feine Unterschiede, die ein erklärter Linker wie C.S. möglicherweise hätte wahrnehmen sollen.

Zum Abschluß noch ein großer Irrtum: Almosen, und nichts anderes ist die Mark pro verkauftem Exemplar, ersetzen eben kein sicheres Einkommen. Ich frage mich, in welcher Welt C.S. da lebt: Wo gibt es denn das sichere Einkommen? Jedenfalls nicht in diesem unserem Lande. Vermutlich ist da das Straßenmagazin Hempels mit dem Untertitel "Armut - jeder kann der nächste sein" der Wirklichkeit dieser Gesellschaft etwas näher.

(Hans-Georg Pott)

Der Autor, der uns diesen Artikel als Leserbrief sandte, ist Hempels-Verkäufer und -Redakteur sowie von 1983-1996 Redakteur nacheinander der Lokalbeilage der "Politischen Berichte", der "Lokalberichte Kiel" und der "LinX"