Herr, send' Hirn!

Vergangenheitsbewältigung einmal anders: Nein - den Vorwurf, in den letzten 30 Jahren viel Blödsinn in Sachen Aktion und Argumentation ausgelassen zu haben, kann man der bundesdeutschen Linken wahrlich nicht machen: Da wurden Befreiungsbewegungen unterstützt, die mit Sozialismus wenig, mit Nationalismus dafür umso mehr am Hut hatten; da wurden von PLO-FreundInnen - "Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker" - an Büchertischen Feuerzeuge verscherbelt, die eine Karte Vorderasiens zierte, nach der es keinen Staat Israel gibt. Unvergessen auch die relativ große Strömung innerhalb der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre, die arglos im besten Einvernehmen mit Nationalrevolutionären "Besatzer raus!" fordete und ebensowenig wie Ulrike Meinhof Schwierigkeiten hatte, US-Bomben auf Nazi-Deutschland mit denen auf Vietnam gleichzusetzen.

Streiten kann man sich auch über die Frage, ob das Einkaufen mit Jutetasche, das Kaffeepflücken in Nikaragua oder das heldenhafte Verweigern der Volkszählung bei gleichzeitiger Angabe derselben Daten bei anderen Behörden unbedingt revolutionäre Meilensteine auf dem Weg zur Menschwerdung waren.

Nur - alles in Bausch und Bogen zu verdammen, was man damals im Bewußtsein, irgendwie doch ein wenig die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, dachte und tat, kann es wohl auch nicht sein. Bei dem neuerlich ach so beliebten Knacken linker Tabus (ehemalige PorNo-Aktivisten kennen auf einmal keine Bücher mehr außer Helmut-Newton-Bildbänden; Hardcore-Ökologen - "Erst wenn der letzte Baum gerodet ..." - trennen jetzt bewußt überhaupt keinen Müll und tanken nur noch bei Shell) wird vergessen, daß es für einige Formen linken Widerstandes durchaus handfeste Gründe gab und gibt.

Die Antwort auf die Frage, warum damals in den Ostertagen 1968 die Lieferwagen des Springer-Konzerns in Flammen aufgingen, erschließt sich auch ohne größere Kenntnise der jüngsten Zeitgeschichte. Ein Blick in eines der Blätter des Konzerns genügt:

Brachial-Nationalismus in der Bildzeitung vom 4.12.98: Gastautor Dr. Peter Gauweiler erklärt unter der headline "Deutschland - nicht mehr Herr im eigenen Haus?" wie "das Gefühl entsteht, daß einem bestimmte 'ausländische Gäste' immer mehr auf der Nase herumtanzen": Ausländer, "für die die Demonstrationsfreiheit nicht schrankenlos gilt" zwingen uns dennoch, an ihren Versammlungen teilzunehmen. "Resignierende Ordnungsämter" lassen nämlich "Demonstrationen von Kurden und Türken ausgerechnet an verkaufsoffenen Samstagen in überfüllten Innenstädten zu".

Nationalismus light in der Bildwoche vom 2.1.99: Der geklonte Ex-Sponti Fischer, vom Blatt soeben zum Mann des Jahres gekürt, wird nicht nur für die "Sympathiepunkte, die er für sich und Deutschland überall auf der Welt sammelt" und seine sexy Freundin ("die drei wichtigsten Männer der Regierung haben 10 Ehen hinter sich ...") gelobt. Besonderen Anklang fand das Schweißband in Landesfarben, mit dem Fischer die EU-Präsidentschaft übernahm. "Politik zum Lächeln. Gut so!" kommentiert die Bildwoche. Wer will da widersprechen?

(C.S.)