Kommentar

Hagen wetzt die Lanze

Daß die Mächtigen dieser Welt Heuchler sind, ist eigentlich eine Binsenweisheit, doch lohnt sich deren Wiederholung gelegentlich. Die Washingtoner und Londoner Regierung geben vor, im Nahen Osten Frieden und Menschenrechte zu verteidigen und bombardieren deshalb den Irak, Tote unter der Zivilbevölkerung billigend in Kauf nehmend. Wenn sie doch an der Grenze zu Mexiko oder in Nordirland, auf den Straßen New Yorks oder Londons, wo Menschen in der Winterskälte erfrieren, auch so besorgt um die Menschenrechte wären. Diese Widersprüche sind bekannt, werden aber - aus Feigheit oder mit Bedacht - immer wieder gerne übersehen.

Indes tut sich diesbezüglich zwischen Rhein und Oder Bemerkenswertes. Nicht die selig entschlummerte Friedensbewegung kritisierte laut die kaltblütig mordende Heuchelei, sondern aus den Redaktionsstuben des Zentralorgans der deutschen Bourgeoisie, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wurde leise Kritik laut. Zwar nicht an den Methoden, oder gar daß man so offene Worte fand, aber wohl an den Zielen. Verhalten machte man darauf aufmerksam, daß Saddam nicht weg zu bomben sei. Ansonsten begnügte man sich damit, aus der internationalen Presselandschaft die kritischen Stimmen herauszusuchen und wiederzugeben.

Die Bundesregierung - auch der grüne Außenminister - ließen es hingegen nicht an verbaler Bündnistreue fehlen. Das alles sei zwar bedauerlich, doch trage die Schuld allein der Diktatur am Euphrat, war von Fischer zu vernehmen. Scharping gar bot logistische Unterstützung an.

Nun wäre es ein wenig Kaffeesatzleserei, zu behaupten, das alles sei von der Bundesregierung nicht so ernst gemeint gewesen. Aber beachtlich an dem Vorgang ist immerhin, daß sich unter den NATO-Mächten Widersprüche auftun. Frankreich läßt wissen, daß es sich an der Überwachung der Flugverbotszonen nicht mehr beteiligt und in den deutschen Eliten hält man es nicht mehr für angebracht, jedem Schritt der Washingtoner in blinder Nibelungentreue zu folgen.

Nicht, daß man daran dächte, die eigenen Ziele mit friedlicheren Mitteln zu verfolgen. Im Gegenteil: Die Präzedensfälle Kosovo und Irak, d.h. Militäreinsätze ohne Absegnung durch den UN-Sicherheitsrat, ebnen auch für das neue Deutschland den Weg. Daran sollte man denken, wenn Angelika Beer eine eigenständige Sicherheitspolitik der EU einfordert und im Kieler Rat eine große Koalition ganz wild darauf ist, die "Einsatzgruppenversorger", die der Unterstützung weltweiter Militäreinsätze dienen werden, nach Kiel zu holen.

Und man sollte nicht vergessen, daß - allen Gorbatschowianern zum Trotz - der Krieg immer noch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Die aber zielt heute mehr denn je in den letzten 50 Jahren auf die Öffnung aller Grenzen für deutsche Waren und deutsches Kapital. Weltweit.

(wop)