Kommentar

Lohnfragen sind Machtfragen

Die Gewerkschaften fordern zwischen 5% und 6,5% mehr Lohn und Gehalt. Sie wollen damit eine "Wende in der Tarifpolitik" einleiten, da die geringen Lohnerhöhungen der letzten Jahre nur zu einer Gewinnexplosion geführt, aber keine zusätzlichen Arbeitsplätze gebracht hatten. Die Gewerkschaften erwarten für das kommende Jahr, daß die gesamtwirtschaftliche Produktivität um 2,5% wächst und die Preise um 1,5% steigen. Daß die Forderungen darüber hinausgehen, begründen sie mit dem "riesigen Nachholbedarf" bei den ArbeitnehmerInnen.

Von 1993 bis 1997 sind die Netto-Gewinnentnahmen der Kapitalisten um 20,9% gestiegen, die Netto-Arbeitseinkommen jedoch um 7,1% gesunken. Die Tarifabschlüsse der letzten Jahre haben deutlich gezeigt, wer "Herr" im Hause der Marktwirtschaft Bundesrepublik Deutschland ist, nämlich Kapitalisten und Aktionäre. Mit einer nie dagewesenen "Einheitsfront" von Kapitalisten, Bundesregierung, von Wickerts Tagesthemen über die "Kieler Nachrichten" bis zur BILD-Zeitung, wurden die berechtigten Forderungen der ArbeitnehmerInnen und ihrer Familien mit der Globalisierungs-Keule totgeschlagen. Besonders arbeitnehmerInnenfeindlich profilieren sich regelmäßig die Wirtschaftsinstitute, sehen sie doch den Standort Deutschland schon dann als gefährdet an, wenn die Gewerkschaften ihre Forderungen für anstehende Tarifrunden nur anmelden, und mahnen regelmäßig wie das "Wort zum Sonntag" moderate Lohnabschlüsse an. Doch weder die Lohnraubabschlüsse, die Aufweichung der Flächentarifverträge, das Erkaufen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch Abzüge beim Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld, noch die Steuer- und Abgabengeschenke an die Kapitalisten haben in den letzten Jahren neue Arbeitsplätze geschaffen.

Aber nicht nur die Profiteure und Propagandisten der kapitalistischen Marktwirtschaft, sondern auch große Teile der Gewerkschaftsbürokratie haben sich in den letzten Jahren an dem notorischen Verrat der Interessen der ArbeitnehmerInnen und ihrer Familien beteiligt. Arbeitsplatzsichernde Maßnahmen wie die Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden oder Reduzierung der Überstunden stehen z.Z. offensichtlich wieder nicht auf der Tagesordnung. Bei den anstehenden Tarifrunden geht es deshalb auch nicht nur um die berechtigten Forderungen der ArbeitnehmerInnen nach angemessenen Lohn- und Gehaltserhöhungen, sondern auch um die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften. Denn wenn diese weiterhin die "Ware Arbeitskraft" verramschen, wenn sie zukünftig nicht unermüdlich für verbesserte Arbeitsbedingungen, für die Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Verteidigung der Löhne kämpfen - ohne Rücksicht auf die Folgen kapitalistischer Willkür und Profitgier - und wenn sie sich weiterhin der Logik des realexistierenden Kapitalismus beugen, werden sie nicht nur weitere Mitglieder, sondern auch ihre Existenzberechtigung verlieren.

(hg)