Betrieb & Gewerkschaft

Ende der Bescheidenheit?

Rückblick auf die Tarifbewegungen 1997/98

Auch im westdeutschen Einzelhandel gestalteten sich die Tarifrunden als sehr schwierig. Die letzten regionalen Abschlüsse für 1997 endeten im Dezember und liefen teilweise Ende März bzw. April 1998 wieder aus. Im ostdeutschen Einzelhandel wurden in 1997 und 1998 die vereinbarten Stufenpläne umgesetzt. Die Anhebung auf "Westniveau" erfolgt erst zum 1.4.1999. Die Forderungen der Gewerkschaft HBV bewegte sich im "West-Tarifbereich" um 4,5% bis 5%. Gleichzeitig wurde eine überproportionale Anhebung der unteren Gehaltsgruppen durch Festbeträge zwischen 150 und 162 DM gefordert. Für die Auszubildenden wurden Festbeträge in Höhe von 50 DM verlangt. Ende März 1997 begannen die Verhandlungen.

Erst Ende April 1997 legten die Arbeitgeber die ersten "Angebote" auf den Tisch. Die "Angebote" lagen bei ca. 1,2%, bei unterschiedlichen Laufzeiten. Nachdem die HBV die "Angebote" als nicht verhandlungsfähig zurückgewiesen hatte, erfolgte durch Arbeitgeber im hessischen Einzelhandel ein nachgebessertes "Angebot": Ein gestaffelter Einmalbetrag zwischen 100 DM und 250 DM jeweils zum 1.7. und 1.10.98 und zum 1.2.1999, ab 1.3.1999 für einen Monat eine lineare Erhöhung von 1,4%.

Auch dieses "Angebot" wurde von den Gewerkschaften abgelehnt. Begleitet von Warnstreiks gingen die Verhandlungen in die nächste Runde. Über 90% der KollegInnen hatten sich bei den Urabstimmungen für mögliche Kampfmaßnahmen ausgesprochen. Mitte Juni kam es zu teilweisen ganz- und mehrtägigen Streiks. Daraufhin erhöhten die Arbeitgeber ihr "Angebot" auf 1,5-1,8% bei zwei Nullmonaten. Die HBV kündigte daraufhin an, die Streiks im westdeutschen Einzelhandel auszuweiten. in Bayern einigten sich die Tarifparteien auf einen Tarifabschluß. Nach zwei Nullmonaten wurden die Löhne und Gehälter ab 1.7.1998 um 2,1%, bei einer Laufzeit bis zum 30.4.1999, erhöht. In den unteren Tarifgruppen beträgt die Erhöhung bis zu 2,5%. Die Ausbildungsvergütungen wurden im 1. Ausbildungsjahr um 10 DM und im 2. und 3. Jahr um 12 DM angehoben. In den anderen regionalen Tarifbezirken wurden ähnliche Vereinbarungen abgeschlossen. Im Durchschnitt belief sich die "Tarifsteigerung" auf rund 1,8%. Bezeichnenderweise wurden die Abschlüsse vom Vorstandsmitglied der HBV, Franziska Wiethold, als "gutes Ergebnis" verkauft. Über die Tarifverhandlungen in S.-H. hatten wir in der LinX 10/1998 berichtet.

Chemische Industrie West

Die Tarifverträge im Bereich der westdeutschen chemischen Industrie liefen, regional unterschiedlich, Ende Februar, März bzw. April 1998 aus. 1997 hatten die Tarifanhebungen 1,5% zuzüglich einer Einmalzahlung von 60 DM betragen. Die wirtschaftliche Situation in diesem Wirtschaftszweig galt als hervorragend, Umsatz- und Ertragsentwicklung zeigten einen stabilen Aufwärtstrend. Die regionalen Tarifkommissionen legten im Januar bzw. Anfang Februar die endgültigen Forderungen fest. In den meisten regionalen Tarifbereichen wurde eine Entgelterhöhung von 5% gefordert, in Rheinland-Pfalz und Saarland 5,5%, bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Die Ausbildungsvergütungen sollten im Bezirk Nordrhein um monatlich 65 DM, in den übrigen Bezirken um 55 bis 70 DM erhöht werden. Eine weitere Forderung war die Verbesserung der Ausbildungskapazitäten.

Am 16.3. tagte die Bundes-Mantelkommission der Gewerkschaft, um die Forderungen nach Anpassung des Altersteilzeit-Tarifvertrages an die geplante Gesetzesänderung und einen Einstieg in eine tarifvertraglich geregelte Zusatzrente zu konkretisieren. Die Arbeitgeber forderten die Gewerkschaft auf, den moderaten tarifpolitischen Kurs der vergangenen Jahre fortzusetzen. In der ersten Runde der regional geführten Tarifverhandlungen, die mit Verhandlungen im Bezirk Nordrhein am 17.3. begannen, kam es zum üblichen ausführlichen Austausch der gegenseitigen Positionen insbesondere zur wirtschaftlichen Lage der Branche. Ein Angebot wurde von der Arbeitgeberseite nicht vorgelegt. Am 7. und 8.5. gingen die Verhandlungen in die entscheidende Runde.

Nach 36stündigen Verhandlungen wurde dann am 9.5. ein Tarifabschluß erzielt, der folgende Bestandteile umfaßte: Erhöhung der tariflichen Entgelte um 2,4% mit einer Laufzeit von 14 Monaten sowie eine zusätzliche Einmalzahlung in Höhe von 1,1% eines tariflichen Jahreseinkommens.Es wurde eine Öffnungsklausel vereinbart, wonach Arbeitgeber und Betriebsrat je nach wirtschaftlicher Lage einvernehmlich Vereinbarungen über die Kürzung und den Auszahlungszeitpunkt der Einmalzahlung treffen können. Für Auszubildende beträgt die Einmalzahlung 200 DM. Die Ausbildungsvergütungen selbst wurden in bisheriger Höhe eingefroren. Im Gegenzug dafür kündigten die Arbeitgeber an, bis zum Ende des Jahres 2000 die Zahl der Lehrstellen um mindestens 5,5% gegenüber 1997 zu steigern.

Über die Tarifverhandlungen im Bauhauptgewerbe und im Öffentlichen Dienst hatten wir in der LinX 9/1998 ausführlich berichtet.

Bilanz der tarifpolitischen Grausamkeiten - Ausgewählte Lohn- und Gehaltsabschlüsse 1997/98

(hg)