Gegen den Krieg

Stopp, Pause oder Weitermachen?

Knappe Mehrheit bei den Grünen S.-H. für einen sofortigen Stopp der NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien

In der Zerreißprobe, unter der die Grünen im Zeichen des Luftkrieges der NATO gegen Jugoslawien gegenwärtig innerparteilich stehen, sah sich auch der "Kleine Parteitag" der schleswig-holsteinischen Grünen am vergangenen Sonntag im Kieler Legienhof. Nicht nur die Optionen eines sofortigen Stopps der Bombenangriffe versus mehrtätige Waffenpause standen zur Disposition, auch Fürsprecher des Weitermachens, bis Milosevic nachgibt, ergriffen die Stimme.

Irgendwo ziwschen all diesen Positionen steht Angelika Beer, die die Debatte mit einer detailreichen Aufzählung serbischer Greueltaten im Kosovo eröffnete. Diese unreflektierte und emotional gefärbte Wiederholung unbestätigter Meldungen der in einer anti-serbischen Propaganda weitgehend gleichgeschalteten westlichen Medien zeigte somit gleich zu Beginn, daß die Nerven bei den Grünen blank liegen. Auch sie sei gegen die Luftangriffe, rechtfertigte sich die grüne Sicherheitspolitikerin nicht ganz nachvollziehbar. "Aber wir haben im Bundestag einen Beschluß des alten Parlaments für Angriffe akzeptiert, weil es keine Alternative gab." Wer konsequent gegen den Luftkrieg sei, müsse auch verantworten, was dann passieren könne, denn "Milosevic will nicht verhandeln, der will morden und ethnisch säubern."

Erst die Bombardierung der Belgrader Botschaft Chinas scheint Beer nachdenklich gemacht zu haben. Sie verlangte eine "klare und deutliche Aufklärung". Daß die Bombardierung auf ein Versehen amerikanischer Geheimdienste zurückgehe, wie die NATO verlautete, akzeptiere sie nicht. Leidenschaftlich verteidigte Beer ihre "persönliche Entscheidung, den Luftkrieg in Kauf zu nehmen" und damit den Grünen "womöglich ihre Identität zu rauben". Die grüne Identität verblasse aber in ihrer Wichtigkeit "angesichts des Grauens im Kosovo". Ferner seien auch Schutzzonen für Kosovo-Flüchtlinge, "die Minimallösung", "nur militärisch" durchzusetzen. Auch die Zustimmung der grünen Bundestagsfraktion für die Entsendung weiterer 1.000 Bundeswehrsoldaten ins Krisengebiet rechtfertigte Beer damit, daß man erfolgreich "jede Grauzone dieses Einsatzes" ausgeschlossen habe. Für Bodentruppen allerdings werde es von den Grünen "nicht eine Stimme" geben. Beer plädierte schließlich für einen "humanitären Waffenstillstand nach der Genfer Konvention", ein mehrtägiges Aussetzen der Bombardements, damit LKW-Konvois des Roten Kreuzes zu den Flüchtlingen vordringen können.

Als Wortführer der Kriegsgegner trat der Lübecker Jurist Wolfgang Neskovic hervor. Er verwies auf das Programm zur Bundestagswahl, das unmißverständlich "militärische Friedenssicherung ablehnt" und das Gewaltmonopol der UN festschreibe. Dafür seien die Grünen gewählt worden. Zudem sei das damals vor dem Hintergrund des Bosnienkrieges, also einer ähnlichen Lage, formuliert worden. Daß das jetzt nicht mehr gelte, liege wohl daran, daß "das Sein in der Regierung das Bewußtsein" bestimme. Auch die Grünen seien dem "Narkotisierungsmittel humanitärer Motivation" anheimgefallen. Diese Motivation sei höchst irrational. So würden etwa 60% der Bevölkerung die Bombardierungen gutheißen, aber nur 20% glaubten, daß diese auch etwas im Sinne der humanitären Ziele bewirken würden. Die Bombardements seien zutiefst unglaubwürdig. Zwar gelinge es, "jeden Tag für 500 Mio. DM Bomben über Jugoslawien abzuladen", aber die Lieferung von Hilfsgütern für die Flüchtlinge scheitere kläglich. Hier sei eine "Almosenhumanität" am Werk, man wolle "nur noch beweisen, daß man für seine Werte eintreten kann". Was bei diesem "Verbrechen im Namen der Menschlichkeit" den Menschen in Jugoslawien angetan werde, gerate völlig aus dem Blick.

Monika Heinold sprach für einen Antrag, den viele Mitglieder der grünen Fraktion im Landtag, u.a. die Fraktionsvorsitzende Irene Fröhlich, mittrugen. Darin wurde lediglich gefordert, daß sich die Bundesregierung "für eine Beendigung der Kriegshandlungen einsetzt" und daß in Zukunft "Instrumentarien für eine friedenserhaltende und deeskalierende Politik in Krisengebieten geschaffen, verbessert und ausgebaut" werden sollen. Ferner setze man auf Außenminister Fischers Friedensplan. Es sei "ein Dilemma der Grünen", so Heinold, "daß man uns mit unserem Eintreten für präventive Maßnahmen zur Friedenssicherung nie ernstgenommen hat". Jetzt gehe es nur noch um die "am wenigsten schlechte Lösung, die humanitäre Katastrophe zu verhindern". Wer "nie wieder Krieg" sage, müsse das ergänzen durch die Forderung "nie wieder Völkermord". Irene Fröhlich begrüßte, daß "die deutsche Außenpolitik international eingebunden ist und es keine deutschen Alleingänge gibt". Jedoch müsse man sich in Sachen präventiver Friedenspolitik "auf große Geduld" einstellen, wenn es "schon beim Atomausstieg so lange dauert".

Das Mitglied im Landesvorstand Thomas Lange hatte gar einen Antrag für die Fortsetzung der Bombardierungen gestellt, den er allerdings dann zurückzog. Lange sagte, er glaube "nicht so ganz an friedenspolitische Maßnahmen". Rechtlich stehe die NATO "auf der richtigen Seite", weil "ein Diktator die humanitäre Sprache der Demokratie nicht versteht". Und wenn man sich für den Krieg entscheide, müsse man auch akzeptieren, "daß er schmutzig ist". Klaus Müller (MdB) rechtfertigte das Vorgehen der NATO mit der Behauptung, "unter den Bedingungen des Völkermords" brauche ein Krieg "nicht unbedingt ein UN-Mandat". Zwar plädiere auch er für eine Feuerpause, aber "wenn Milosevic sich darum nicht schert, müssen wir weitermachen können". Ferner müsse man sich darauf einstellen, daß der Krieg im Kosovo "kein Sonderfall" sei. "Wenn es irgendwo in Asien losgeht und ein Diktator die Menschenrechte mit Füßen tritt, müssen wir konsequenterweise genauso eingreifen."

In der weiteren Debatte gab es zum Teil leidenschaftliche Statements gegen den Krieg. "Ich sehe kein grünes Pünktchen mehr in eurer Politik", meinte eine Delegierte und zog ihre Kandidatur für die Landtagswahl 2000 zurück. Die schleswig-holsteinische Familienministerin Angelika Birk meinte: "Dies ist ein Krieg, und es ist auch ein Angriffskrieg." Daß der völkerrechtlich unbedenklich sei, behaupte niemand, nicht mal in der SPD.

Am Ende der Debatte kristallisierten sich zwei alternative Anträge heraus, jener unter der Federführung Monika Heinolds, der um die Forderung einer Feuerpause ergänzt worden war, und ein Antrag u.a. vom Lübecker Kreisverband für einen sofortigen Stopp des Krieges und eine Beendigung "der serbischen Vertreibungspolitik mit friedlichen Mitteln". Letzterer wurde mit einer knappen Mehrheit von 14 gegen 10 Stimmen angenommen. Einstimmig beschlossen wurde ein weiterer Antrag von Angelika Beer, der forderte, alle Flüchtlinge des Krieges ohne Kontingentierung aufzunehmen, insbesondere Deserteure, und allen Flüchtlingen in der BRD einen sicheren Status zu gewähren, auch denen, die vor Beginn der Bombardierung gekommen waren.

(jm)