Kommentar

Der nächste Feind

Die internationale Gemeinschaft führt Krieg gegen Jugoslawien. Heißt es. War da nicht noch was? Ach ja, die UNO und die restlichen 85% der Weltbevölkerung. Beim Lesen deutscher Zeitungen kann man dieser Tage eines glatt übersehen: Was sich da so arrogant in Bonn, Washington und London als Gewissen der Welt aufspielt, repräsentiert vielleicht die Mehrheit der Giftmüllproduzenten, Rohstoffverbraucher, Überfischer der Weltmeere, Waffen- und Landminenexporteure, ist hauptverantwortlich für Treibhauseffekt und die Verheerungen des freien Weltmarktes, aber für die Menschheit sprechen kann diese "Wertegemeinschaft" wohl kaum. Doch den Dissenz in den Vereinten Nationen übergeht man geflissentlich mit Schweigen. Wen interessiert schon, daß Indien und China mit ihrer Bevölkerung von fast 2,5 Mrd. Menschen heftig gegen den Angriffskrieg der NATO protestieren.

Rußland gehört auch nicht zur "internationalen Gemeinschaft", aber von Rußland spricht man in letzter Zeit wieder. Rußland soll, nachdem man es genug gedemütigt hat, wieder eingebunden werden. Einen Krieg mit ihm will keiner; denn Rohstoffquellen und Anlagemärkte des desolaten Riesen lassen sich auch mittels der Kreditschraube erschließen. Moskau wird also weitere "Hilfs"-Pakete bekommen und dafür im Sicherheitsrat der Politik des Westens zustimmen.

Damit wäre der Schwarze Peter bei China. Grüne Menschenrechtler wissen natürlich längst, daß man mit den Pekinger "Kommunisten" nicht verhandeln darf, weshalb die UNO dringend reformiert werden muß (Angelika Beer). Es ist ja auch wirklich eine Zumutung, daß ein außereuropäisches Land im Sicherheitsrat eine Vetostimme hat. Zudem noch ein selbstbewußtes, daß sich demnächst zum ernsthaften Konkurrenten mausern könnte. Die Washingtoner Vorkämpfer der Menschenrechte haben das längst erkannt und betreiben "containment", d.h. sie basteln an Militärbündnissen, Flottenabkommen und Raketenabwehrsystemen, um im nächsten Jahrtausend die Freiheit Tibets oder vielleicht Xingkiangs - das wäre näher an unseren zentralasiatischen Ölquellen - zu verteidigen. Für die "westliche Wertegemeinschaft" wäre das ein Segen, denn schließlich ist auch untereinander nicht alles eitel Sonnenschein, und da kann ein äußerer Feind gelegentlich ganz nützlich sein. Ein Schelm, wer da hinter den Bomben auf Chinas Belgrader Botschaft Absicht vermutet.

(wop)