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Beweise oder Propaganda? Kriegsminister Rudolf Scharping (SPD) legte Ende April ihm bisher unbekannte Fotos vor, die angebliche Kriegsverbrechen serbischer Polizeikräfte im Kosovo beweisen sollen. Scharping sagte, die Fotos, die verstümmelte Leichen in der Ortschaft Rugova zeigen, habe ein deutscher Oberstleutnant gemacht, der als OSZE-Beobachter in der Region eingesetzt gewesen sei. Die Bilder seien bereits am 29.1. gemacht worden, aber erst jetzt übergeben worden. Doch weder die Herkunft der Bilder, noch das, was sie zeigen, scheint jene Beweiskraft zu haben, die Scharping sich wünscht. Die Nachrichtenagentur Reuters, so berichtete die WAZ am 28.4., hatte Bilder der Szenerie bereits im Januar veröffentlicht. Die Aufnahmen zeigen Leichen von Männern in einem Hof sowie uniformierte Bewaffnete im Hintergrund. Einige der Getöteten tragen Abzeichen der albanischen Untergrundarmee UCK, manche Patronengurte. Auf dem Boden liegen automatische Waffen. Nach Informationen von Reuters handelt es sich bei den Getöteten um 24 UCK-Rebellen, die von serbischen Kräften unter ungeklärten Umständen ermordet wurden, nachdem ein serbischer Offizier getötet worden war. Offenbar also eine Vergeltungsaktion, wie sie die Logik des Krieges diktiert - ein Kriegsverbrechen, aber nicht das, für welches Scharping es hält. Scharping nämlich behauptete, es handele sich um Aufnahmen von einem Massaker, die belegten, daß Serben bereits vor dem Scheitern der Friedensverhandlungen von Rambouillet "geplante Vertreibungen" durchgeführt hätten. Auf Nachfrage sagte ein Sprecher des "Verteidigungs"ministeriums, Scharping habe wohl nichts von der Reuters-Veröffentlichung gewußt. Der Oberstleutnant der OSZE-Mission, der die Aufnahmen "heimlich" gemacht haben will, war, so Scharping, erst Anfang April nach Deutschland zurückgekehrt. Noch eine Ungereimtheit: Warum hält ein Bundeswehrangehöriger Fotomaterial, das Scharping für derart beweiskräftig erachtet, fast 3 Monate zurück? Ob sich Scharpings "Beweise" nach näherer Prüfung vielleicht ebenso in Luft auflösen wie seine vorschnelle Entschuldung der NATO bei deren "Massaker" an einem Flüchtlingstrek bei Djakovice Mitte April?

Die Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) berichtet folgendes: Gegen das IMI-Mitglied Tobias Pflüger hat die Tübinger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren "wegen der Aufforderung zu einer Straftat" (§ 111 StGB) eingeleitet. In seiner Ostermarschrede am 29.3. in Tübingen habe Pflüger zur Fahnenflucht aufgerufen. "Fahnenflucht ist eine strafbare Handlung, also darf auch niemand dazu aufrufen", so der Chef der Tübinger Staatsanwaltschaft, Hans Ellinger. Gegen Katja Polnik vom Zentralamerikakomitee (ZAK) wird wegen ihrer Rede bei einer Kundgebung am 10.4. in Tübingen ebenfalls ermittelt. Weder gegen Polnik, noch gegen Pflüger liegt dabei eine Strafanzeige vor. Katja Polnik sagte einer Lokalzeitung: "Wer zur Fahnenflucht aufruft, ruft auch dazu auf, eine Straftat nicht zu begehen. Denn dafür halte ich den Angriffskrieg." Tobias Pflüger stellte gegenüber dem "Schwäbischen Tagblatt" fest, daß jetzt offensichtlich bei Kriegsgegnern ermittelt werde, während sich die Justizbehörden eigentlich um die Bundesregierung kümmern sollten, denn "sie bricht Völkerrecht und Grundgesetz, weil sie einen Angriffskrieg führt." In den zitierten Zeitungen wird überdies an den Golfkrieg 1991 erinnert. Damals leitete die Staatsanwaltschaft Tübingen ein Verfahren wegen der Beihilfe zur Fahnenflucht gegen das Schriftstellerehepaar Walter und Inge Jens ein. Sie hatten einem US-amerikanischen Soldatenpärchen Unterschlupf gewährt. IMI startete unterdessen eine Aktion "Auch ich rufe die Soldaten aller Kriegsparteien auf: Verweigert oder desertiert!" Näheres dazu im Internet unter http://www.umb.de/ph/imi/ und http://www.imi.notrix.de

Deutliche Worte gegen den Krieg finden die deutschsprachigen belgischen Schriftsteller Bruno Kartheuser, Leo Gillessen, Ingo Jacobs, Gerhard Heuschen, Dietmar Sous und Robert Schaus in einer "Stellungnahme zum Krieg" vom 27.4.: "Unter Berufung auf ständig neu formulierte Kriegsziele zerstört eine Masse von sog. zivilisierten Ländern ein Land in (...) seiner Infrastruktur mit Bombengewalt. (...) Dieser Akt der Barbarei seitens der NATO ist (...) ein Willkürakt ohne rechtliche Grundlage. (...) Wir erinnern daran, daß eine Vielzahl westlicher Länder seit Jahren erfolgreich an der Zerschlagung Jugoslawiens gearbeitet und jeden Separatismus dort unterstützt und bewaffnet haben. Wir halten es für einen unzumutbaren Skandal, daß das politische Europa sich dazu hergibt, dieses Land voller Probleme zu einem Übungsplatz für neue Waffensysteme zu machen. (...) Im gesamten Westen folgt die Medienberichterstattung der Kriegslogik. Die neuwertige, seit dem Golfkrieg begonnene Desinformation und Manipulation der Öffentlichkeit kann nicht Bestandteil eines demokratischen Journalismus sein. Die Medien machen sich der Hetze und des aktiven Anteils am Krieg schuldig, wenn sie, statt differenziert zu informieren, die Freund-Feind-Einteilung der Aggressoren verbreiten und aufbauen."

Der Widerstand gegen den NATO-Angriffskrieg ist auch im Internet aktiv. Unter der Adresse http://www.gaarden.net/no_nato/start.html sind aktuelle Antikriegs-Infos aus Kiel nachzulesen. Seit Jahren in der Friedensbewegung tätig ist die "NaturwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für den Frieden". Nützliche Infos und Pressemitteilungen gegen den NATO-Terror (u.a. auch die Bombardierung mit Uran-Geschossen) finden sich unter http://fuj.physik.uni-dortmund.de/NaWi/Aktuelles.html In der neuen (hoffentlich nur zeitweiligen) Rubrik "TARGETlinx" versammelt die Internet-LinX weitere aktuelle Links zu Anti-Kriegs-Sites.

Das "Verteidigungs"ministerium hat eine "Kommission gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" einberufen. SPD und Grüne hatten sich in den Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt. Angelika Beer wollte sie uns seinerzeit als Wunderwaffe zum Abbau der Bundeswehr verkaufen. Die Leitung der Kommission konnte kaum besser besetzt sein: Als junger Mann war er an führender Stelle am Angriff auf die Sowjetunion beteiligt, während sein Bruder an der deutschen Atombombe bastelte. Später betätigte er sich als Giftgasfabrikant für den Vietnamkrieg, räumte die Berliner Hausbesetzerszene ab, bevor er schließlich zur Integrationsfigur aller weißen Gutmenschen wurde: Richard von Weizsäcker. Unter seinem Vorsitz werden also demnächst diverse Ex-Militärs sowie Eckhard Cordes vom Vorstand der DaimlerChrysler AG darüber beraten, wie sie sich selbst abschaffen. Sollten sie wider Erwarten zu einem anderen Ergebnis kommen, so ist schon einmal für die Segnung der Waffen gesorgt: Mit von der Partie sind nämlich auch der Vizepräsident des Zentralkomitees Deutscher Katholiken, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Präsident der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Für grüne Betroffenheitssoße wird Waltraud Schoppe zuständig sein.

Nebenkrieg: Kaum beachtet, gehen auch die Bombardements des Iraks weiter. US-amerikanische und britische Flugzeuge bombardieren regelmäßig in den Flugverbotzonen des Golfanrainers. Nach offiziellen Angaben aus Baghdad kamen dabei im April 18 Menschen ums Leben. Laut Zeitungsberichten bestätigte der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, Hans von Sponek, den Tod eines Schafhirten und sechs Mitgliedern seiner Familie. Nach irakischen Angaben war das Zelt der Familie in der Nähe der nordirakischen Stadt Mossul am 26.4. von einer US-Bombe getroffen worden. Am Tag zuvor hatte es in der Stadt bei einem Angriff 20 Verletzte gegeben. Im Januar hatte Sponek einen Schauplatz in der südlichen Hafenstadt Basra besucht, an dem 17 Menschen gestorben und 100 verwundet worden waren. Nach US-Angaben war eine Rakete vom Kurs abgekommen.

Die NATO hat Graphitbomben eingesetzt, um die Stromversorgung in Jugoslawien zu stören. Die "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) warnen in diesem Zusammenhang vor einer durch die gestörte Energieversorgung gefährdeten medizinischen Versorgung der jugoslawischen Zivilbevölkerung. In einer Pressemitteilung vom 4.5. heißt es dazu: "Die medizinischen Folgen solcher gewaltsamen Abschaltungen gefährden gerade jene Patienten, die z.B. in Intensivstationen und Frühgeborenen-Inkubatoren von einer sicheren Energieversorgung abhängen." Die IPPNW erneuert daher ihren Widerstand gegen den Krieg: "Die Schreckensherrschaft eines Milosevic über das Kosovo rechtfertigt nicht den Einsatz von Mitteln, die Leid und Schrecken für die Bevölkerung des Kosovos vergrößern, die Infrastruktur Serbiens zerstören und darüber hinaus mit nicht kalkulierbaren Risiken für den Weltfrieden verbunden sind."

Der Spaltpilz sport fleißig unter den Grünen. In Schwäbisch-Hall (Baden-Württemberg) werden Alternative und Grüne Liste getrennt zur Kommunalwahl antreten. Bei einem letzten Gesprächsversuch der noch gemeinsamen Liste war für die grünen VertreterInnen nicht der Krieg in Jugoslawien das Hauptthema, sondern ein Transparent gegen den Krieg, das die AL vor dem soziokulturellen Zentrum "club alpha 60" aufgehängt hatte. Günter Hasenfuß, Fraktionssprecher der AL, erklärte in einer Pressemitteilung: "Die aktuelle Außen- und Militärpolitik der Bündnisgrünen steht in totalem Gegensatz zur Tradition und Programmatik dieser Partei (...). Alle berechtigte Empörung über die Verbrechen eines Milosevic-Regimes kann nicht dazu führen, schon in der Irak-Krise als untauglich erwiesene Militärstrategien anzuwenden. (...) Indem die Bündnisgrünen auf die Chancen einer alternativen Friedenspolitik verzichten und auf die politischen Lösungen des Kalten Krieges einschwenken, (...) haben sie sich von meinen eigenen politischen Wertvorstellungen so weit entfernt, daß mir eine weitere Zusammenarbeit auf einer gemeinsamen Liste mit dieser Partei bei der nächsten Kommunalwahl unmöglich ist."

(jm, wop - z.T. nach Meldungen aus dem Internet)