Betrieb & Gewerkschaft

Billigjobs sind keine Wohltat

Mit Willi Lüpkes von der unabhängigen Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), der sich am europäischen Erwerbslosenparlament im Rahmen des Kölner EU-Alternativgipfels vom 30.5. bis 2.6. beteiligt hat, sprach für die SoZ Gerhard Klas. Täglich trafen sich etwa 100 Vertreter von Erwerbslosenorganisationen aus Frankreich, Belgien, Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Ost- und Westdeutschland. Die SoZ (Sozialistische Zeitung) hat uns das Interview freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Was ist der Sinn und Zweck des europäischen Erwerbslosenparlaments?

Ein wichtiger Punkt ist, daß verschiedene Erwerbslose und prekär Beschäftigte aus den verschiedenen Ländern zusammenkommen und über ihre Situation berichten. Ein weiterer ist der Beginn einer Vernetzung dieser Initiativen in Europa. Vor zwei Jahren ist in Amsterdam der Anfang gemacht worden, die Erwerbslosigkeit im Kontext der europäischen Einigung zu diskutieren, eigene Positionen zu erarbeiten und Forderungen aufzustellen. Bei der Vernetzung der Erwerbsloseninitiativen geht es v.a. um ein garantiertes Mindesteinkommen, das wir in Europa durchsetzen wollen.

Die Lebensbedingungen für Erwerbslose und prekär Beschäftigte sind in den einzelnen EU-Mitgliedsländern sehr unterschiedlich. Gibt es nach den ersten Erfahrungsberichten Anzeichen, daß durch den europäischen Einigungsprozeß die Bedingungen auf einem niedrigen Niveau angeglichen werden?

In vielen Mitgliedsstaaten ist derzeit ein Trend hin zu mehr Billigjobs zu registrieren, v.a. im Dienstleistungsbereich. Die EU propagiert ja unablässig, mehr Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Das sind jedoch keine herkömmlichen Vollzeitarbeitsplätze, sondern v.a. welche im Niedriglohnbereich. Das wollen die Politiker in der EU als Wohltat für die Erwerbslosen verkaufen. In vielen Ländern werden heute vom Staat subventionierte Niedriglohnarbeitsplätze angeboten. Dabei handelt es sich durchweg um "minderwertige Arbeit". Die Mitgliedsstaaten orientieren sich nicht an sinnvollen Bedarfsfeldern für neue Arbeitsplätze, wie etwa im ökologischen Bereich. "Non-profit-jobs" erfahren so gut wie keine Förderung.

Beteiligen sich am Erwerbslosenparlament hauptsächlich unabhängige oder gewerkschaftlich orientierte Gruppen?

Das ist im Einzelfall manchmal schwer auseinanderzuhalten. Die französischen Erwerbslosengruppen um AC! (Agir ensemble contre le chomage - gemeinsam gegen Erwerbslosigkeit handeln) entwickeln eigene Positionen, arbeiten aber mit Gewerkschaften zusammen. Aus der Bundesrepublik sind sowohl Vertreter unabhäniger Erwerbsloseninitiativen als auch der ostdeutsche Arbeitslosenverband und die Arbeitsloseninitiative aus Thüringen mit dabei.

Welche Hoffnung verbindet die ALSO mit einer europäischen Vernetzung im Rahmen der EuroMärsche?

Zunächst einmal finden wir es wichtig, daß es überhaupt einen Informationsaustausch gibt. Mit wenigen Ausnahmen ist die Erwerbslosenbewegung in den EU-Mitgliedsländern relativ schwach und hat keine Lobby, auch kaum bei den Gewerkschaften. Sie sind also ziemlich auf sich allein gestellt. Allein deshalb gibt es die Notwendigkeit, enger zusammen zu arbeiten, um auch im Sinne der Erwerbslosen ein ökologischeres und sozialeres Europa zu entwickeln. Insbesondere müssen wir uns in Zukunft mit dem geplanten EU-Beschäftigungspakt auseinandersetzen und den entsprechenden Initiativen auf nationaler Ebene, wie z.B. dem sog. Bündnis für Arbeit. Dabei geht es um die eingangs erwähnten Billigjobmodelle, denen wir uns konsequent entgegen stellen müssen.

In der Bundesrepublik haben erstmals auch zwei Gewerkschaftsvorstände zu den EuroMärschen aufgerufen. Was hält die ALSO von dieser Entwicklung?

Wir haben uns gefreut, daß so viele von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß und Gaststätten da waren. Einige Gewerkschafter der IG BAU habe ich auch gesehen. Allerdings habe ich die großen Gewerkschaften auf der Demonstration vermißt. Ihre Vorstände befinden sich unter Zugzwang: Sie wollen im Bündnis für Arbeit mitmachen und auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze vorweisen können. Das machen sie jedoch völlig unabhängig von den Betroffenen selbst, den Erwerbslosen, mit denen sie kaum Gespräche führen. Dann müßten sie sich auch mit der Art der Arbeit, die sie schaffen wollen, auseinandersetzen. In der Erwerbslosenbewegung wird z.Z. der Begriff der Arbeit diskutiert, der nicht nur die Lohnarbeit, sondern auch die Nichterwerbsarbeit mitberücksichtigt. Wenn es um die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums geht, muß ein erweiterter Arbeitsbegriff her, der etwa auch die bisher unentlohnte Arbeit vieler Frauen mitberücksichtigt. Die Gewerkschaften scheuen sich außerdem vor der Debatte um Grundsicherung oder Existenzgeld.