Glosse

Kiel ist eine Reise wert

Und sei es nur, um sich dessen einzigartigen öffentlichen Nahverkehr zu besehen. Macht man sich allerdings aus einer der etwas belebteren Ecken der Republik auf den Weg, so sollte das rechtzeitig geschehen. Vom Rheinland aus so spätestens gegen 20 Uhr. Für gewöhnlich.

So dachte ich auch neulich, fuhr zum nächstgelegenen Bahnhof und bestieg wohlgemut den Zug Richtung Norden. Der war angenehm leer, so daß ich mich ungestört hinter Zeitung und Buch verstecken konnte.

Einige Stunden später, Buchholz, ein Ort in der Mitte von Nirgendwo am Fuße der Harburger Berge, wackelte gerade am Fenster vorbei, warf ich mehr zufällig einen Blick auf das Zug-Faltblatt. Merde! Anschluß nach Kiel Mo.-Fr. und So. Es war Samstag. Nach Lübeck hätte ich weiter fahren können, auch nach Flensburg, wahrscheinlich gar nach Westerland. Nur das Landeshauptdorf ist am Wochenende abgekoppelt. Schließlich fahren Samstagabend keine Bundis nach Kiel. Und wer sollte sonst schon dahin wollen?

Was blieb? Ich suchte mir einen Schlafplatz. Mein Riecher führte mich zu einem Alternativ-Betrieb im Schanzenviertel, so alternativ, daß man selbst so bürgerliche Äußerlichkeiten wie freundlichen Service abgeschafft hatte.

Naja, nach einer kurzen Nacht fuhren dann wieder Züge an die Förde. Die kommen dort fahrplanmäßig - wenn die Siemens-Software im Stellwerk Altona mitspielt - um Dreinachhalb an. Und jugendliche Beine schaffen ohne weiteres den Anschluß bei der KVAG, deren Busse um Fünfnachhalb fahren. Andere, so wie ich, dürfen den Rücklichtern hinterherwinken.

Irgendwie gelang es mir an diesem Tag dennoch, meine Wohnung vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Und da ereilte mich schließlich nach der Reise Mühsal endlich eine frohe Kunde: Mit Kiels Verkehrsproblemen wird jetzt radikal aufgeräumt, entnahm ich dem Werbeblättchen, das meinen Briefkatsen verstopft hatte. Die Fördeschiffahrt wird (fast) eingestellt. Als ökologische Ausgleichsmaßnahme werden auf dem Ostufer (das ist da, wo sowieso niemand wohnt) die letzten Kleingärten für neue Straßen platt gemacht. Freie Fahrt für freie Wahnsinnige! In Zeiten knapper Kassen erfordert das natürlich innovative Finanzierungsideen. Aber dafür haben wir King Norbert (Pfff! Die in Bonn haben bloß Eichel!). Nächsten Monat wird die KWG verscherbelt und wenn das dann noch immer nicht für die flächendeckende Asphaltierung des Landeshauptdorfes reicht, hätten wir ja auch noch die Stadtwerke im Angebot.

(wop)