Herr, send' Hirn!

André Bries Sorgen müßte man haben. "Ich weiß nicht, ob überhaupt und wann diese Kolumne gelesen werden wird" jammert der PDS-"Reformer" im Pressedienst seiner Partei. Wenn sich die Mitarbeiter der LinX diese Frage stellen würden, gäbe es für ca.100 KielerInnen alle 14 Tage nur leere Umschläge und auch die website unter www.nadir.org/nadir/periodika/linx/index.html bliebe öd' und leer. Daß dem nicht so ist, liegt an dem Umstand, daß es für KommunistInnen und SozialistInnen eh nur eine Richtung gibt, nämlich vorwärts, und die zu beschreibenden, respektive zu kritisierenden Verhältnisse im Moment so gar keine Anstalten machen, sich zu ändern.

PDS-NationalistInnen hätten vielleicht bis zu einem gewissen Grad ihre Freude daran, Alt-KPD/AO-ler auf jeden Fall: Gemeint ist ein Wahlspot zur Europawahl. In schicken Schwarzweiß-Bildern lamentiert ein bedächtiger Prolet über die großen Konzerne, die nur dort investieren, wo es billige Arbeitskräfte gibt. Irgendwie wird dann auch der Bogen geschlagen zu der Erkenntnis, daß nicht nur der kleine Mann, sondern eigentlich ganz Deutschland ständig untergebuttert wird. Zu "Es muß doch jemanden geben, der deutsche Interessen in Europa vertritt" zuckt ein Bleistift nervös über einem Wahlzettel zwischen den Optionen PDS und NPD. Dann wird der Vorzeigeprolet von seinen Entscheidungsqualen erlöst: Ein blondes Rasseweib fährt im Cabrio vor und lädt ihn ein. "Ein gutes Gefühl, die richtige Wahl getroffen zu haben. Gas geben - NPD wählen!"

Zumindest der Slogan "Gas geben!" wäre vor einigen Jahren nicht so einfach unkommentiert über den Bildschirm geflimmert. Irgendein Kommentator der FR oder SZ, vielleicht auch ein paar Sozialdemokraten, Norbert Blüm oder der Deutsche Presserat hätten sich gut demokratisch zu den Grenzen von Wahlwerbung und dem unsensiblen Umgang mit der deutschen Vergangenheit geäußert. Doch selbst dieser hilflose bürgerliche Humanismus scheint ganz und gar verschwunden zu sein.

Daß das Tempo der ständig fortschreitenden allgemeinen Verrohung und Verblödung in den letzten Monaten immer rasanter wurde, ist sicher auch ein Nebeneffekt des Kosovo-Krieges. Die ideologische Aufrüstung wird immer gnadenloser. Und kaum jemand ist sich zu schade, seinen Beitrag zur Militarisierung des Volksbewußtseins zu leisten. Kriegsministers Tochter Susanne Scharping zum Beispiel. Anstatt sich mal wieder wie vor dem Krieg für das belanglose Magazin max auszuziehen - was weder groß stört noch interessiert - "macht sie sich auf dem Zerstörer Mölders ein Bild von den Bedingungen der Mannschaft", läßt sich von der US-Navy zur "Azaleen-Königin" wählen und posiert zusammen mit den Mölder-Jungs für ein überdimensioniertes KN-Foto. Die Botschaft: Das Sozi-Pin-up hatte viel Spaß bei den Mördern mit Herz.

Einspannen fürs Vaterland läßt sich auch der ansonsten recht passable Schauspieler Ulrich Pleitgen mit seiner Hauptrolle bei einer ARD-Vorabendserie, die das menschlich, allzumenschliche Dasein von Bundeswehrangehörigen zum Thema hat. Wie liberal und freundlich dieser Verein ist, beweisen ein Schwuler und ein Theologe, die manchmal mitspielen dürfen und letzte Woche sogar mal eine Asylantin verstecken durften. Einfach grausam diese Mörder-Soap. Die Folgen dieser mentalen Nebenschäden sind wahrscheinlich irreparabel. Dafür sorgt schon die "Implementierung" einer "robusten" Truppe unter "substantieller" Beteiligung der NATO - Meine Fresse!

(cs)