Gegen den Krieg

Dialog von unten statt Bomben von oben

Hamburger Gewerkschafter besuchten das Kriegsgebiet in Jugoslawien. Wir dokumentieren hier ihre Schilderungen nebst einem Spendenaufruf für die Opfer der NATO-Aggression.

Vom 23. bis 28.5. besuchten wir, eine zehnköpfige Gewerkschaftergruppe aus IG Medien, GEW, IG Metall und ein Mitglied des Chemiekreises, mehrere Städte in Jugoslawien und sahen mit eigenen Augen die Folgen der NATO-Angriffe.

Nach sechs Tagen in Jugoslawien wissen wir, gegen wen dieser Krieg geführt wird. Bundeskanzler Schröder hatte zu Beginn des Angriffs gesagt: "Die Militäraktion richtet sich nicht gegen das serbische Volk. Dies möchte ich auch gerade unseren jugoslawischen Mitbürgern gesagt haben."

Nachdem wir in Novi Sad, Belgrad, Kragujevac, Nis und Aleksinac mit eigenen Augen die zerstörten Fabriken, Fernsehsender, Krankenhäuser, Schulen, Hochschulen, Wohnviertel, Straßen und Brücken gesehen und durch Gespräche mit Beschäftigten, Vertretern der jugoslawischen Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und des Roten Kreuzes, Ärzten, Lehrern und Wissenschaftlern erfahren haben, was die Bornbardements für die Menschen in Jugoslawien bedeuten, können wir mit Sicherheit sagen: "Der saubere" Krieg der NATO ist kein "Krieg gegen Milosevic", sondern ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Hauptleidtragende sind die Arbeiter der zerstörten Fabriken, ihre Frauen und Kinder, die Überlebenden in den zerbombten Arbeiterwohnvierteln, die ihre Angehörigen und ihre Habe verloren haben. Unser Resümee lautet: Durch Vernichtung von Produktionsanlagen, durch Zerschlagung der Infrastruktur wird Jugoslawien auf das Niveau einer Kolonie zurückgebombt. Die Mehrheit der jugoslawischen Bevölkerung erwartet tiefe Armut, denn die materiellen Schäden sind (so der Vorsitzende des serbischen Gewerkschaftsbundes, Tornislav Banovic) nach zwei Kriegsmonaten bereits größer als am Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Nervenzentren der Wirtschaft sind zerstört, z.B. die beiden großen Komplexe der erdölverarbeitenden Chemieindustrie bei Belgrad (Pancevo) und in Novi Sad, wo Milliardeninvestitionen ruiniert und Umweltschäden entstanden sind, deren ganzes Ausmaß erst künftige Generationen werden ermessen können.

In Deutschland kämpfen wir um den Erhalt unserer durch Rationalisierung und Überproduktion bedrohten Arbeitsplätze - in Jugoslawien haben die Bomben und Raketen der NATO die Arbeitsplätze von mehr als 500.000 Kolleginnen und Kollegen zerstört. Allein im Automobilwerk Zastava in Kragujevac verloren 37.000 Arbeiter (darunter 2.000 albanische Kollegen) durch die Bombardierungen am 9. und 12.4. ihre Lebensgrundlagen und Zukunftsperspektiven; mitbetroffen sind die Beschäftigten in 229 Zulieferbetrieben. Das Heizkraftwerk von Zastava speiste 30% seiner Energie in das öffentliche Netz, für Schulen, Krankenhäuser und Wohnungen. Nichts lief in Kragujevac ohne Zastava - ähnlich wie in Wolfsburg ohne VW. In diesem Bewußtsein versuchten allnächtlich viele Beschäftigte, durch einen "menschlichen Schutzschild" das Werk zu retten. Dabei ging es ihnen auch um die Zukunft ihrer Kinder.

Zerstörte Autofabrik Zastava in Kragujevac

2.000 Jugendliche konnten im Ausbildungszentrum von Zastava einen Metallverarbeitungsberuf erlernen. Aber "erbarmungslos" (Präsident Clinton) wie die NATO diesen Krieg führt, nahm sie auch keine Rücksicht auf die ihr Werk bewachenden Menschen. 160 wurden verletzt, viele von ihnen schrecklich verstümmelt. Die Betriebsratsvorsitzende Rusica Milsavljovic nennt die Folgen der Bombardements für die Stadt eine humanitäre Katastrophe. Noch herrscht kein Hunger, aber die Verelendung ist unausweichlich, wenn die letzten Ersparnisse aufgebraucht sind. Die Arbeitslosen erhalten für ein Vierteljahr 330 Dinar im Monat (35 DM), danach für ein weiteres Vierteljahr 100 Dinar. Die Gewerkschaft versucht über einen Fonds, in den die Arbeiter in der Vergangenheit einen Teil ihres Lohns eingezahlt haben, die größte Not zu lindern, z.B. hilft sie finanziell bei der Beschaffung von Medikamenten. Aber nun kann niemand mehr in diesen Fonds einzahlen, sein Ende ist absehbar. Und dies alles geschieht auch im deutschen Namen an einem Ort, der 1941 Schauplatz des grausamsten von der Naziwehrmacht verübten Massakers auf dem Balkan gewesen ist: 7.000 Menschen wurden an einem einzigen Tage als "Geiseln" erschossen. NATO-Raketen trafen auch die Gedenkstätte, zerstörten das Dach des Museums. Wir haben dort gesagt, daß dieser Krieg nicht in unserem Namen geführt wird. Die Arbeiter von Zastava, die Einwohner von Kragujevac sind nicht unsere Gegner.

Die jugoslawischen Kolleginnen und Kollegen brauchen nicht unser Mitleid, sondern unsere tätige Solidarität: die Verbreitung der Wahrheit über diesen Krieg entgegen der lügenhaften Propaganda der Aggressoren; politisches Engagement für die Hilfe zum Überleben. Wir rufen deshalb zu einer Spendensammlung auf. Weil unsere Mittel nicht ausreichen, um allen Menschen zu helfen, die unter den Kriegsfolgen leiden, und schon gar nicht, um die von der NATO angerichteten Schäden zu beheben, möchten wir unseren Beitrag auf Hilfe für "ZASTAVAHUM" beschränken, den Sozialfond der gewerkschaftlichen Vertretung der Zastava-Automobilfabrik zur humanitären Hilfe besonders betroffener Familien. Alle Spenden werden direkt dorthin überwiesen. Die Prüfung des Kontos erfolgt durch die IG Medien Hamburg.

Kontobezeichnung: "Kragujevac!" (Josef Bergmann), Hamburger Sparkasse (BLZ 20050550), Kto. 1230499335

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gegen den Krieg, Kontakt: Rolf Becker (IG Medien Hamburg) Fax 040-2803214, e-mail über H.Artus@nikoma.de