Herr, send' Hirn!

Eigentlich ließ sich die letzte Woche recht vielversprechend an: Zunächst die Entdeckung am Kiosk, daß es doch noch Zeitschriften gibt, die vernünftig zu titeln verstehen - "mare", das Fanzine für Wasserfreunde nämlich mit dem wunderbaren "Der Hai - Täter? Opfer? Oder einfach nur der freundliche Fisch von nebenan?" Dann die Nachricht, daß Peinsack Hombach im Balkan zwischengelagert wird. Und, um das kleine Glück perfekt zu machen, fingen dann auch noch die Radieschen auf dem Balkon endlich zu wachsen an. Kurz - man hätte fast meinen können, es gäbe doch noch so etwas wie ein besseres Leben im falschen.

Doch spätestens mit dem Amtsantritt des neuen Staatsoberhauptes war die kurze Periode unbeschwerten Daseins vorbei. Rau, den man besser bei seinen Bergwerkskapellen, Skatrunden auf Spiekeroog und seinen Bergpredigtzitaten hätte lassen sollen, drohte schon gleich nach der Amtsübergabe. Diesmal nicht mit seinem Ladenhüter "Versöhnen statt Spalten", sondern mit der ebenso unerträglichen Upgrade-Version "Ich möchte denen zuhören, die ungehört bleiben". (Ganz nebenbei: Wenn Rau dies wirklich möchte, soll er gefälligst die LinX oder meinetwegen "Gegenwind" bzw. "enough" abonnieren). Das einzig Sympathische am neuen Präsidenten ist seine Frau. Dieser Ausdruck von - völlig nachvollziehbarem - Lebensekel macht ihr so schnell keine andere "First Lady" nach. Vielleicht hat ihr Laienprediger-Gatte sie ja in ihre neue Rolle geprügelt.

Auch über das neue Wirkungsfeld von Schröders Mann fürs Grobe, Hombach, kann sich so richtig nur der BDI-Präsident Henkel freuen. Hombach übernehme, so Henkel voller Begeisterung, "eine phantastische Aufgabe, und die deutsche Industrie wird künftig in Südosteuropa einen kompetenten Ansprechpartner haben. (...) Ich halte ganz Ex-Jugoslawien für genauso interessant wie Rußland". Diejenigen, die Lenins "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" im Bücherregal stehen haben - es gab ja mal Zeiten, wo so etwas gekauft wurde -, können sich die Lektüre des ansonsten sehr aufschlußreichen "Spiegel"-Interviews mit Henkel sparen.

Wer kennt das nicht? Jede/r anständige Revolutionär/in hat diese Liste in seiner/ihrer Schreibtischschublade liegen. Die Liste für den Tag nach der Revolution, an dem dann abgerechnet wird. Auch wenn klar ist, das Linke als die letzten Humanisten wahrscheinlich, wenn es ernst wird, niemandem ein Haar krümmen könnten, allein das ständige Herummodeln an dieser Liste in der Art von "Professor K. ist von alleine gestorben, rückt jetzt Carolin Reiber oder doch besser Waldemar Hartmann auf Platz 5 vor?" hat schon manchem/mancher über schwierige Zeiten hinweggeholfen. Nun ist es an der Zeit, all die Hans Meisers und Carolin Reibers von der Liste zu nehmen. Erstens sind diese Figuren nicht mehr die jüngsten, zweitens keine Aufregung mehr wert, drittens gibt es genügend durchgeknallte Psychopathen, die sich mit ihren Drohungen gegen TV-Anstalten um so etwas kümmern und - viertes, wichtigstes Argument - es muß Platz gemacht werden auf der Liste. Platz für diesen 25-40-jährigen Arschgesichter, die als selbsternannte Vertreter dieser ominösen "Generation Berlin" ständig und v.a. ungebeten mit ihren großmäuligen Statements aller Welt beweisen möchten, daß es völlig ausreicht, eitel, karrierebesessen, reaktionär und etwas schlicht zu sein, um als jung und wild zu gelten. Gemeint sind damit sowohl die Dumpf-Juppies der G.R.Ü.N.E.N., die nichts Besseres zu tun haben, als die kurdischstämmige Spitzenkandidatin der PDS zu denunzieren und Lobbyarbeit für die Autoindustrie zu betreiben, als auch jene Zombies, die sich Berliner Jungkreative nennen und - wiederum ein "Spiegel"-Intervew - darüber schwadronieren, daß "der Beruf ein Hochleistungssport ist. Da ist Einsatz gefragt. Wenn man an die Spitze kommen will, muß man seine Grenzen testen".

Bei diesem "Rausch des Erfolgs" ist eine Beziehung dann natürlich ein "Desaster". Vorbild dabei ist der frischgetrennte DaimlerChrysler-Chef Schrempp, dem "die Herausforderung, diesen neuen Weltkonzern zu führen, wichtiger ist, als alles andere auf der Welt". - Genug gekotzt für heute!

(cs)