Kommentar

Wer hat uns verraten ...?

Eigentlich ist die Antwort auf diese Frage bereits seit 85 Jahren klar, seit den Kriegskrediten vom August 1914. Aber nicht nur bei der Veranstaltung von deutschem Boden ausgehender Kriege zeigt sich die "alte Tante SPD" traditionsbewußt. Mit ihrem neoliberalen Kurs konsequenter Sozialdemontage haben die "Spezialdemokraten" ihren ehemaligen Verfolger Bismarck mit großem Vorsprung rechts überholt und sind über die "neue Mitte" weit hinausgeschossen.

Man nehme sich nicht allein diese Ausgabe der LinX vor, um dafür die entsprechenden Beweise zu finden. Wer das Blatt nicht nur abonniert und liest, sondern auch archiviert, hat sich in den letzten Jahren unfreiwillig ein Bestiarium zumindest der Kieler Schandtaten einer Partei angelegt, deren Präfix "sozial" auch mit Anführungsstrichen, wie hier seit längerem praktiziert, nicht mehr adäquat wiedergegeben wird. Die SPD ist eine kapitalfreundliche und arbeitnehmerfeindliche Partei und damit nicht einmal mehr - im ursprünglichen Wortsinne - demokratisch. Und wer, z.B. als Gewerkschafter, auf sie noch irgendwelche Hoffnungen setzt, ist entweder blind für Tatsachen oder einfach ein Träumer. Daran ändern auch "Genossen" nichts, die in der Partei die "guten alten Werte" wirklich hochhalten und nicht nur wie OB Gansel als verblasene Worthülse benutzen. Da kann man taktieren und strategieren, wie man will. Wer mit der SPD zusammenarbeitet, macht sich mitschuldig am Verrat an den Interessen und Lebensgrundlagen von sozial "Schwachen". Die PDS, die in manchem neuen Bundesland mit Koalitionen liebäugelt oder sie wie in Mecklenburg-Vorpommern betreibt, sollte das auch wissen. Die Grünen wissen es nicht nur, sondern wollen es ja auch schon.

Aber warum regen wir als sich radikal-links Verstehende eigentlich in diesem Blatt fortwährend mit solcher Vehemenz über das gänzlich verblaßte Rosa der SPD auf? Warum verbringen wir Nächte vor dem Laptop, um etwa in "Ratssplittern" zynische Kolportagen einer nicht mehr nur zynischen, sondern z.T. geradezu menschenverachtenden Politik zusammenzulöten? Vielleicht deshalb, weil wir mit dieser Partei selbst noch nicht ganz abgeschlossen haben, was längst angestanden hätte. Weil wir den kapitalen Fehler der Sozialfaschismusthese im Rücken haben, die sich - "in veränderter Form", um nochmal den Obersozi Gansel zu zitieren - doch wieder aufdrängt ...

Linkes Sentiment verabschiedet sich eben nur schwerfällig (und in der Endphase mit verzweifeltem Spott) von alten Gewohnheiten und auch Ritualen. Bei der SPD sollten wir es jetzt endgültig gelernt haben. Bei den Grünen können wir weiter üben.

(jm)