Ratssplitter

Es war die Sommerpause vor einem Jahr, als OB Norbert Gansel über das Neue Rathaus nachdachte und einsam entschied: Das Bürgeramt bleibt im Alten Rathaus, dafür zieht das Kulturviertel ins ehemalige Postgebäude an der Andreas-Gayk-Straße um. Nach heftigen Auseinandersetzungen drückte die SPD-Fraktion Gansels Ordre de Mufti im Rat durch. Nun gibt es die ersten "Nachbesserungen". Als Pilotprojekt will Stadtrat Schirmer Stadtteilbürgerämter in Dietrichsdorf und Pries/Friedrichsort einrichten. In Sachen Bürgernähe ist das gewiß ein Gewinn, allein, so fragte sich in der Ratsversammlung vom 8.7. v.a. die CDU, warum erst beim Bürgeramt sparen und jetzt wieder mehr Geld ausgeben? Wäre das zentrale Bürgeramt also doch besser und größer im Neuen Rathaus aufgehoben und hätte Stadtteilämter überflüssig gemacht? Noch vor Fertigstellung des Bürgeramtumbaus im alten Rathaus, so CDU-Ratsherr Rogacki, zeige sich, daß das Bürgeramt "offenbar unzureichend" sei. Nun mache der OB eine "Rolle rückwärts". Selbiger betonte hingegen die größere Bürgernähe vor Ort, die ein "Mammut-Giganto-Bürgeramt" nicht hätte leisten können. Warum dann aber nur zwei Stadtteilämter, fragte die Opposition zurück. Gansel: "Gegen ähnliche Begehrlichkeiten aus anderen Stadtteilen hilft nur eins: die Standfestigkeit der Ratsversammlung, jedenfalls ihrer Mehrheit." Was denn nun? Mehr Bürgernähe oder doch nur eine stille Auslagerung, weil das Bürgeramt im alten Rathaus den Anforderung nicht entsprechen wird?

Auch im Kultursektor zeigt die Mehrheitsfraktion ein ähnliches Bild des zwei Schritte zurück, einen wieder vor. Nach den Kahlschlägen (Kaputtumzug des Kulturviertels, Abriß des Künstlerhauses Schwentineschule, gerade noch gestoppte Pläne, die soziokulturellen Zentren zu zersparen, &c.) und der in mehreren Podiumsdiskussionen immer wieder an den Tag gelegten kompletten Inkompetenz in Kulturfragen will die SPD nun wieder medienwirksame Vorstöße machen, mit einem Konzept für einen "Kultursommer Kiel 2000". Daß dabei in den SPD-Köpfen v.a. Marketingmüll à la Kieler Woche rumschwirrt, sei mal dahingestellt. Es ist schon eine Zumutung, mit ansehen zu müssen, wie die SPD uralte Ideen aus der Mottenkiste zaubert, die sie selbst dorthin gestimmt hat, wenn sie von anderer Seite kamen. Und an Provinzialität ist der kulturlose sozialdemokratische Sparkopf Fenske auch nicht zu überbieten: "Kein großartiges Spektakel, weniger ist mehr, langsam starten, z.B. mit kleinen Nummern wie den Kommödianten (...), die Krusenkoppel aus ihrem Dornröschenschlaf wecken." Das hat das Kulturviertel mit seinem "Gewaltig leise"-Programm bei der Kieler Woche erfolgreich getan. Die SPD will nun auf den Zug aufspringen und sich gleich wieder als Schaffner betätigen. "Trotz aller Unkenrufe haben wir bemerkenswerte Kulturakzente in Kiel gesetzt." Ja, Herr Fenske, wirklich bemerkenswert, wie der Kulturvogel erst kräftig gerupft wird und man sich dann mit den übrig gebliebenen fremden Federn zu schmücken gedenkt.

Seit 1994 gilt sie auch in Kiel, die "Sondernutzungssatzung", wegen ihrer Auswirkungen auch "Trinkersatzung" genannt. Sie gibt der Stadt die Möglichkeit, u.a. "öffentliches Biertrinken" z.B. auf dem Asmus-Bremer-Platz zu verfolgen, ist also das wesentliche Werkzeug, um Berber, Punker und Obdachlose aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben. Kürzlich hat das Schleswiger OVG die Anwendung der Satzung zu solchen Zwecken kassiert - am Beispiel der Elmshorner "Sondernutzungssatzung". Trinken in der Öffentlichkeit sei keine "Sondernutzung" und bedürfe daher keiner Reglementierung durch die Kommune. So stellten die Grünen im Rat einen Antrag auf entsprehende Änderung der Satzung. Eine Satzungsanpassung "im Sinne der Damen und Herren, die in der Innenstadt sitzen und leider nichts anderes tun, als Bier zu trinken", sei nicht erforderlich, meinte hingegen CDU-Ratsherr Dietrich Huckriede und berief sich auf den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes, wonach es "keine Sonderrechte für Biertrinker" geben dürfe. Die "Sonderbehandlung" derselben durch die "Trinkersatzung" hatten die Grünen zwar gerade in Frage gestellt, Huckriede drehte das Argument aber einfach um, so als bevorteile die Satzungsänderung, wie von den Grünen gewünscht, das Trinken in der Öffentlichkeit zu Ungunsten des dadurch sich belästigt fühlenden braven Bürgers. Mit Vorurteilen und menschenverachtenden Sprüchen gegen die "Trinker, die um 18 Uhr platt, wie 'ne Briefmarke da rumliegen", sparte Huckriede dabei nicht. Inge Lindner (SPD) sprach sich zwar gegen solche "Ausgrenzung" aus, sah jedoch in der Satzung einen "wichtigen Beitrag zur Lösung des Problems" und stimmte mit ihrer Fraktion dem CDU-Antrag auf Beibehaltung der Satzung in ihrer jetzigen Form zu.

(jm)