Soziales

Armut nimmt zu

Armutsbericht S.-H.

Armut nimmt im nördlichsten Bundesland zu und die Armen werden immer jünger. Zu diesem Ergebnis kommt der Landesarmutsbericht Schleswig-Holstein, den die Landesregierung in Kiel 1996 in Auftrag gegeben hat und der jetzt vorliegt.

11% der Privathaushalte leben in Armut, beziehen also weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens. Das stellt das Institut für Soziologie der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz in seinem Gutachten fest. 3,8% leben in "strenger Armut" (weniger als 40% vom Durchschnitt). Primär betroffen sind Arbeitslose sowie kinderreiche Familien, unter diesen in erster Linie solche mit nur einem Elternteil. Während der Anteil der Familien mit minderjährigen Kindern, deren Monatseinkommen unter 1.000 DM liegt, im April 1996 noch bei 2,5% lag, hat sich dieser bis März letzen Jahres bereits auf 5,2% mehr als verdoppelt. Die Zahl der Familien mit einem geringen Einkommen von bis zu 1.800 DM verdreifachte sich im selben Zeitraum sogar auf 22,4%. Dem gegenüber finden sich unter den besserverdienenden (5.000 DM und mehr) immer weniger Familien mit Kindern.

Einem Drittel geht es heute viel schlechter

Nach einer aktuellen Befragung armer Familien von 1998 leben über 32% von ihnen in "strenger Armut", also mit einem Einkommen von 40% unter dem durchschnittlichen Nettoeinkommen. Knapp ein Drittel der befragten Familien gab an, dass es ihnen heute "viel schlechter" als noch vor fünf Jahren geht. Vor allem kinderreiche Familien leiden unter der sog. "kumulativen" Armut. Sie sind neben der Einkommensarmut auch in den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit, Wohnen, Gesundheit und zwischenmenschliche Beziehungen unterversorgt.

So hat jedes elfte befragte Elternteil die Schule ohne Abschluss beendet oder nur einen Sonderschulabschluss erworben. Ein ganzes Viertel der Befragten verfügt über keine Berufsausbildung. Bildungsarmut findet sich besonders häufig bei jungen Eltern. Arbeitslos, geringfügig oder nur gelegentlich beschäftigt sind fast drei von zehn der befragten Eltern. 7,8% von ihnen leben in einer Notunterkunft. Der Gesamtanteil der "Wohnungsnotfälle", also solchen Elternteilen, die in Notunterkünften leben, unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht sind oder in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben, liegt bei 17,5%. In Wohnungen, die weniger Fläche aufweisen als der Minimalstandard des sozialen Wohnungsbaus in Schleswig-Holstein vorsieht, leben nach der Befragung 30,8% der befragten Familien. Jeder zehnte Erfasste ist dauerhaft krank oder pflegebedürftig. Weitere 15% leben mit kranken und pflegebedürftigen Angehörigen zusammen. Die Befragten haben auch weniger soziale Beziehungen als üblich. 16,5% der Befragten gaben an, keine engen Freunde zu haben. Die Familien gerieten v.a. durch Verlust des Arbeitsplatzes, Trennung, Schwangerschaft oder Verschuldung in Armut.

Kinder tragen ein ganz besonderes Armutsrisiko

Die Zahl der Sozialhilfeempfänger hat sich in Schleswig-Holstein zwischen 1980 und 1997 etwa verdreifacht. Alleinerziehende Mütter beziehen am häufigsten "Stütze", fast jede dritte erhielt landesweit 1997 Sozialhilfe. Ein besonderes Armutsrisiko tragen dem Bericht zufolge Kinder und Jugendliche, v.a. wenn sie in kinderreichen Haushalten leben. Kinder bis zum Alter von 7 Jahren waren 1995 von allen Altersgruppen am häufigsten arm. Kinder und Jugendliche trifft auch das größere Risiko, in Sozialhilfeabhängigkeit zu geraten.

Die Folgen von Armut zeigen sich für 62,4% der Befragten in umfassenden Konsumeinschränkungen. Gespart wird in erster Linie am Urlaub, dann am Besuch von Gaststätten, bei Wohnungseinrichtungen, Hobbys und Kleidung. Die Hälfte der einkommensarmen Familien muss sich selbst bei Kinderbekleidung und Spielzeug und ein Viertel bei Ausgaben für das Essen einschränken. Etwa die Hälfte der Kinder der befragten Familien erhält kein regelmäßiges Taschengeld.

Die im Bericht erwähnten Einschränkungen beim Essen beziehen sich auf den Verzicht auf Fleisch, frisches Gemüse, Obst, Vollkornbrot und Vollmilch. Für zahlreiche Kinder aus sozialen Brennpunkten, so der Gutachter, sei das Mittagessen im Hort die erste Mahlzeit am Tage. Sie erhielten in der Familie kein Frühstück. Nicht wenige Kinder bekämen in der Familie praktisch nie eine warme Mahlzeit. Zudem seien die finanziellen Verhältnisse der befragten Familien oft so beengt, dass nicht einmal der normale Schulalltag der Kinder gewährleistet ist. "Der Bericht macht deutlich", so Schleswig-Holsteins Sozialministerin Heide Moser, "dass sich Sozialhilfebedürftigkeit von der älteren auf die jüngere und jüngste Generation verlagert."

(bam)