Herr, send' Hirn!

Ob es an seinem Alter, seinem Amt als Bundespräsident oder seiner SPD-Mitgliedschaft liegt, weiß niemand. Jedenfalls setzt Johannes Rau alles daran, sich seine Wirklichkeit so zurecht zu basteln, wie er es gerne hätte. "Ignatz Bubis bleibt ein Deutscher", tönt er trotzig auf dessen Beisetzung in Tel Aviv. Sowohl die Einschätzung von Bubis' Neffen, "Er ist kein deutscher Patriot gewesen", als auch den Wunsch des Präsidenten des Zentralrats der Juden, in Israel beerdigt zu werden, scheinen "Versöhnen-statt-Spalten"-Rau in seinem Eingemeindungswahn, der selbst Verstorbene nicht in Ruhe lässt, wenig zu interessieren. Bubis' Befürchtung, sein Grab könne in Deutschland wie das seines Amtsvorgängers Heinz Galinski in die Luft gesprengt werden, ist für Rau daher auch nicht mehr als eine "spontane Äußerung". Die Ankündigung der NPD, einen "Freudenmarsch" anlässlich Bubis' Tod zu veranstalten, zeigen dagegen allerdings, wie berechtigt Bubis' Bedenken gegen ein Grab in Deutschland waren.

Zu dem perversen NPD-Spektakel wird es nach einem gerichtlichen Verbot wohl nicht kommen, der Freudenmarsch in den Köpfen von Historiker Wolffsohn, Ex-Bürgermeister Dohnany, Schriftsteller Walser und etlichen ihnen nach plappernden LeserbriefschreiberInnen ist wahrscheinlich schon im Gange: Wolfssohn, der sich nicht zu schade war, noch einige Tage vor Bubis' Tod dessen Rücktritt zu fordern, kann jetzt endlich zeigen, was ein echter deutscher Patriot jüdischer Herkunft ist. Dohnany braucht sich nicht mehr auszumalen, wie sich Juden in einem imaginären "3. Reich" ohne Shoa gegenüber Sinti und Roma verhalten hätten, und Walser kann endlich seine Glotze anstellen, ohne dauernd mit Deutschlands Vergangenheit behelligt zu werden. Und die LeserbriefschreiberInnen aus FAZ und taz? Die können sich in ihrer Hetze nun wieder ganz auf "Scheinasylanten", "Sozialschmarotzer" und "Leistung, die sich wieder lohnen muß", konzentrieren.

Deutschlands Fernsehsender stellte der Zeitpunkt von Bubis' Tod allerdings vor ein ziemliches Problem: Wäre der Tod einer solchen Persönlichkeit normalerweise ein willkommener Anlass, das Sommerloch mit einer ganzen Reihe von (schon vorproduzierten) Sondersendungen zu füllen, kollidierte dieses traurige Ereignis dummerweise mit dem Rücktritt Steffi Grafs vom Turniertennis. Und deutsch-jüdische Aussöhnung schön und gut, aber als Intendant ist man nun mal seinen Werbekunden anständige "ratings" schuldig. Und für die sorgt eine abtretende Sportskanone, die sich - selber ganz gerührt - mit einem aus dem Nest gefallenen Vogeljungen, dem erst Flügel wachsen müssen, vergleicht, allemal besser als ein toter Jude.

Wesentlich amüsanter dagegen die Berichterstattung des TV über die als "SoFi" verhunzte Sonnenfinsternis. Nein - nicht die schon hundert Mal erzählte Geschichte von Ho und Hi, die als chinesische Hofastronomen vor 4.000 Jahren auf Grund falscher Vorhersage der Sonnenfinsternis einen Kopf kürzer gemacht wurden, gefiel, sondern die Beiträge über die Rezeption dieses Naturschauspiels in fernen Ländern. Die Tatsache, dass die meisten Palästinenser es vorzogen, sich vor dem Kernschatten in ihre Häusern zu verdrücken, veranlasste den Kommentator zur launigen Formulierung von der natürlichen Ausgangssperre. Noch besser Rumänien - ausgerechnet in diesem so gebeutelten, armen Land dauerte die Finsternis am längsten. Ganze 6 Minuten und 38 Sekunden. Zeit, die ausreichte, um in Bukarest an dem ehemaligen Standort eines Lenin-Denkmals ein Mega-Holzkreuz anzuzünden und so "ein Fanal gegen den Kommunismus" zu setzen.

Um ein solches Fanal handelt es sich offenbar auch bei Gysis "12 Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus". Das ist schade, aber war wohl nicht anders zu erwarten. Da die Formulierung dieses Papiers weitaus eloquenter ausfiel als gedacht, muss eine Auseinandersetzung damit an dieser Stelle noch ein wenig warten.

(cs)