Flüchtlinge

Auf der Suche nach dem Sündenbock

Hafenstraßen-Prozess wird in Kiel neu aufgerollt

Am 3.9. beginnt vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Kiel die Neuauflage des Prozesses gegen Safwan Eid, dem erneut vorgeworfen wird, in der Nacht zum 18.1.1996 den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße begangen zu haben. Damals starben zehn Menschen, 38 BewohnerInnen der Unterkunft wurden zum Teil schwer verletzt. Die Ermittlungsbehörden haben diesen folgenschwersten rassistischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik nicht aufgeklärt, sondern unterließen die notwendigen Verfolgungsmaßnahmen gegen die mutmaßlichen deutschen Täter aus der Naziszene Mecklenburg-Vorpommerns. Stattdessen wurde mit Safwan Eid einer der Überlebenden des Brandes zum Täter gemacht. Der erste Prozess gegen Eid vor dem Landgericht Lübeck endete am 30.6.97 mit einem Freispruch "in dubio pro reo". Eine Tatbeteiligung konnte Eid nicht nachgewiesen werden. Am 24.7.98 hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil auf und verwies das Verfahren zur Neuverhandlung an das Landgericht Kiel. Damit findet ein deutscher Ermittlungs- und Justizskandal ersten Ranges seine Fortsetzung.

Vorgeschichte zum Prozessauftakt

Am 14.7. fand eine "kommissarische Vernehmung" von Victor Atoe vor dem Landgericht Kiel (Jugendkammer) statt. Anwesend waren alle Prozessbeteiligten: Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und (zugelassene) Nebenklage. Victor Atoe gab an, in der Brandnacht über den Flur im 1. Stock zum Treppenhaus geflohen zu sein. Während im Flur kein Feuer war, sei er die Treppe wegen der Flammen nicht runter gekommen, umgekehrt und durch das Fenster geflohen. Dabei habe er sich schwere Beinverletzungen (komplizierte Brüche) zugezogen. Nach Beendigung dieser Vernehmung zur Sache fragte der Richter noch, ob Victor Atoe unter mehreren Namen Asylanträge gestellt habe und ob er unter mehreren Namen Sozialhilfe bezogen habe.

Victor Atoe hielt sich in der Brandnacht "illegal" in Lübeck auf, da sein zugewiesener Kreis der benachbarte Landkreis Ostholstein war. Während vor Klärung des Bleiberechts der Lübecker Bürgermeister Abschiebeversuche unterband, schob Ostholstein sehr schnell ab, Victor Atoe wurde am 1.5.1996 noch schwer verletzt (aus dem Krankenhaus musste er wegen der schon früher drohenden Abschiebung fliehen) nach Nigeria abgeschoben. Im Mai 1999 tauchte er wieder in Lübeck auf und beantragte ein Bleiberecht als Brandüberlebender (Regelung vom Januar 1999). Die jetzt zuständige Lübecker Ausländerbehörde (Frau Rohde) beantragte sofort Abschiebehaft, der Richter unterschrieb, und Victor Atoe wurde mangels Haftplatz in Schleswig-Holstein nach Brandenburg (Eisenhüttenstadt) überführt.

Für die kommissarische Vernehmung wurde er aus der Haft vorgeführt, seiner erneuten Abschiebung steht damit von Seiten des Landgerichts Kiel nichts mehr im Wege. Zur Zeit befindet sich Victor Atoe im Krankenhaus, er wurde am 25.8. am Bein operiert.

Richterliches Drehbuch

Für den Prozess in Kiel wurden zunächst 7 Verhandlungstage angesetzt: 3.9. als Tag der Prozesseröffnung, dann jeweils Mo./Di.: 6. und 7., 13. und 14. sowie 20. und 21.9. Vorgeladen wurden ZeugInnen mit dem ausdrücklichen Vermerk, sie sollten zu Belastendem für den Angeklagten Safwan Eid befragt werden. So ist für den ersten Prozesstag die Aussage von Safwan Eid vorgesehen, vorgeladen wurden die Polizisten, die ihn als erste vernommen haben - allerdings ausschließlich zu diesem Thema. D.h. sie werden voraussichtlich zu anderen Themen, z.B. der Vernehmung von Verdächtigen aus Grevesmühlen, von vornherein keine Aussagegenehmigung beantragen und bekommen, so dass alle Prozessbeteiligten die Zeugen nur nach Belastendem gegen Safwan Eid befragen können.

Die Planung des Richters: Wenn alles Belastende auf dem Tisch liegt, kann man diskutieren, ob das "im Zweifel gegen den Angeklagten" reichen würde. Wenn nicht, ist die Vorladung von Entlastungszeugen überflüssig, und der Prozess kann sehr viel schneller über die Bühne gehen als damals in Lübeck, wo er fast ein Jahr dauerte.

Das würde allerdings bedeuten, dass Safwan Eid auch bei einem Freispruch nach "kurzem Prozess" in der Öffentlichkeit als weiterhin verdächtig dargestellt werden könnte (und würde): Wenn nur Belastendes zur Sprache kommt, dann ein Freispruch erfolgt, bleibt bei vielen Leuten hängen, dass er es wohl doch war, die Beweise nur nicht reichten bzw. die deutsche Justiz zu schlaff ist.

Reinhard Pohl

Die Prozessberichterstattung erfolgt online über http://www.gaarden.net/hafenstr/ Für weitere Rückfragen und Informationen zum Prozessablauf: Gegenwind, Reinhard Pohl, Tel. 0431/565899, Fax 577056, E-Mail: gegenwind-kiel@t-online.de