Herr, send' Hirn!

Doris Schröder-Köpf ist besorgt. Besorgt um ihre Tochter Klara. Klara könne, so die Kanzlergattin, seelischen Schaden erleiden, wenn sie begreift, wie ihr Stiefvater im "Pfui-TV" (Bildzeitung) dargestellt wird. Offensichtlich überschätzt Frau Köpf die Wirkung der albernen Gummi-Kanzlerpuppe mit Brüsten und Piercing-Geschmeide. Anlass zur Sorge um Klaras Seelenheil gibt weniger das Bild Schröders in den Medien, sondern dessen politische Entscheidungen. Was soll Klara - eine vernünftige politische Sozialisation vorausgesetzt - in ein paar Jahren eigentlich davon halten, dass ihr Stiefvater den Grafen Lambsdorff zum Regierungsbeauftragten für die Regelung der Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter in deutschen Unternehmen ernannt hat? Gut - der dicke Hombach musste diesen Posten räumen, um für die EU Immobiliengeschäfte im Kosovo und Kanada abzuwickeln. Aber das ist doch noch lange kein Grund, jemanden, der sich in den 50er Jahren heftigst für die Amnestierung von Werner Best, Hitlers Statthalter im besetzten Dänemark, engagiert hat, zum Verhandlungspartner für die noch übrig geblieben NS-Opfer zu machen. Als vor über 30 Jahren das NSDAP-Mitglied Kiesinger Bundeskanzler wurde, bekam er zumindest öffentlich eine gescheuert. Auf die Idee, Lambsdorff die Krücke wegzutreten, ist heutzutage natürlich noch niemand gekommen.

Gregor Gysi hat geschafft, was den meisten seiner GenossInnen noch abgesprochen wird: Er ist im wiedervereinigten Deutschland angekommen. Um davon Zeugnis abzulegen, macht er wie jeder anständige Politiker allerlei publicityträchtigen Firlefanz mit. Gysi trank zwar kein Rheinwasser und aß auch keine verstrahlte Molke, er ravte auch nicht wie einst Lafontaine, und er klebte auch keine PDS-Plakate auf Mallorca. Nein, Gysi ließ sich - wohl auf die Resistenz seines dialektisch geschulten Bewusstseins vertrauend - im Rahmen einer Zirkusvorstellung hypnotisieren. Hübsche Bilder davon zeigte die ARD als warming-up für ihr Sommerinterview "Peter Hahne im Gespräch mit dem PDS-Fraktionsvorsitzenden". Ein Gespräch, in dem Gysi dem Dauerlächler Hahne auch anvertraute, daß die Heirat einer Westdeutschen sein ganz persönlicher Beitrag für ein besseres Verständnis zwischen Ost und West war. Nun poppt zusammen, was zusammengehört, hätte Willy Brandt gesagt.

Anyway - Gut getan hat ihm die Hypnose offensichtlich nicht. Sein kurz darauf verfasstes Papier "Gerechtigkeit ist modern" hat mit Buhlen um die Schimäre "neue Mitte" viel, mit Sozialismus dagegen wenig zu tun. So ist der zwischen Marx-Zitaten und Soziologen-Slang verfasste Passus über das "Neben- und Nacheinander verschiedener Rollen in der Erwerbsbiografie" keine Anwort auf das Schröder-Blair-Papier, sondern dessen Fortsetzung mit etwas moderateren Mitteln. "Vom Teilzeitbeschäftigten zum Unternehmer und schließlich zum Sozialhilfeemfänger mit Aktienbesitz"!? - Wer soll dieses Mobilitätsmärchen denn glauben?

Aber möglich ist ja heute alles: Der Name einer Kandidatin für eine potentielle CDU-Regierung in Schleswig-Holstein, der verdammt sozialdemokratisch klingt - Schnieber-Jastram - nämlich oder der Wechsel eines ehemaligen grüne Fraktionsvorsitzenden zur CSU. Groovy auch der FDP-Spitzenkandidat aus Thüringen, der zur Zweitstimme für die CDU aufruft. Alles gute Gründe, sich in jener Bar zu betrinken, die sich zum Leidwesen des Rechnungshofs eine Polizeistation einbauen ließ, um Einsätze im Kneipenmilieu lebensecht proben zu können.

(cs)