Historisches

Gedenken light

Stadt ehrt den Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen

Im Herbst 1942 deckten Gestapo und Abwehr die Widerstandsorganisation um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen auf, die von den Nationalsozialisten als "Rote Kapelle" bezeichnet wurde. Weit über einhundert ihrer Mitglieder wurden verhaftet, mehr als fünfzig von ihnen in den folgenden Monaten vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt - unter ihnen auch Harro Schulze-Boysen. Er wurde am 22.12.1942 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Damit wurde den Aktionen einer der größten deutschen Widerstandsgruppen ein gewaltsames Ende bereitet.

Harro Schulze-Boysen hätte am 2.9. seinen 90. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass enthüllte Kulturdezernent Rethage am 10.9. an Schulze-Boysens Kieler Geburtshaus in der Feldstraße 68 (Ecke Düppelstraße) eine Gedenktafel. Auch wenn Kiels Kulturdezernent mit dem leicht gelangweilten Ablesen eines Pressetextes zum Ausdruck brachte, dass er zur Geschichte ein gleichermaßen distanziertes Verhältnis hat wie zur Kultur, die Tatsache, dass diese Ehrung vorgenommen wurde, ist alles andere als selbstverständlich.

Kulturdezernent Rethage und Hartmut Schulze-Boysen (Bruder des Widerstandskämpfers) bei der Enthüllung der Gedenktafel am Haus Feldstraße 68 (Foto: jm)

Wohl kaum ein Bereich des deutschen Widerstandes war nach 1945 so umstritten wie die Geschichte der Roten Kapelle. Die Überlieferung der nationalsozialistischen Verfolgungsinstanzen, nach der die Männer und Frauen um Harnack und Schulze-Boysen "bezahlten Landesverrat" begangen hätten, wirkte weit in die Nachkriegszeit hinein. Der Kalte Krieg und die damit verbundene Ost-West-Konfrontation beförderten in Westdeutschland diese einseitige und diskreditierende Sicht. Die Rote Kapelle wurde zur "größten sowjetischen Spionageorganisation des Zweiten Weltkrieges" stilisiert und bekam die Rolle des negativen Gegenstücks zum "offiziellen" bürgerlichen Widerstand der Männer des 20. Julis zugewiesen. Diese Ausgrenzung der Gruppe aus dem deutschen Widerstand hielt bis in die 70er Jahre an. Überlebende Mitglieder der Widerstandsgruppe waren zahlreichen Diffamierungen ausgesetzt und bemühten sich vergeblich um Wiedergutmachungsleistungen und eine öffentliche Würdigung.

In der DDR dagegen wurde die Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack zum Beleg für die Legende von der ungebrochenen Kontinuität des von der KPD geführten Widerstandes und somit in ihrer weltanschaulichen und politischen Breite gründlich verkannt. Nach 1969 - die sowjetische Seite begann ihr Schweigen über die tragischen Vorgänge im Vorfeld des deutschen Überfalls auf die UdSSR am 22.6.1941 zu brechen - wurden die Gruppenmitglieder als erfolgreiche "Kundschafter" gefeiert.

Zur Ehrung durch die Stadt Kiel wäre es ohne die Initiative von Jan Tönnies und Hartmut Schulze-Boysen, Großneffe, bzw. Bruder von Harro Schulze-Boysen nicht gekommen. Durch deren Engagement kam die Stadt zu einem Gedenken an den Widerstand im Nationalsozialismus, das sie nicht viel gekostet hat. Ein Politikum sind nach dem Sieg über den Sozialismus derartige Ehrungen ohnehin nicht mehr.

Harro Schulze-Boysen verbrachte seine beiden ersten Lebensjahre in Kiel. Er wuchs in einer national gesinnten bürgerlichen Offiziersfamilie auf. Sein Vater war der spätere Fregattenkapitän Erich Edgar Schulze, sein Groß- und Patenonkel Großadmiral Alfred von Tirpitz, ein anderer Onkel der Soziologe Ferdinand Tönnies. 1932, er lebte jetzt in Berlin, wurde Schulze-Boysen Redakteur der nationalrevolutionären Monatsschrift "der gegner". Diese Zeitschrift wurde unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im April 1933 verboten, Harro Schulze-Boysen von der SA festgenommen und gefoltert. Er behielt seine oppositionelle Haltung zum NS-Regime bei, fand jedoch nach seiner Freilassung eine Anstellung im Reichsluftfahrtministerium. Dort bildeten sich Mitte der 30er Jahre um Schulze-Boysen und den Oberregierungsrat Dr. Arvid Harnack Widerstandskreise, denen sich im Laufe der Jahre mehr als einhundert Gegner des Nationalsozialismus ganz unterschiedlicher sozialer und weltanschaulicher Herkunft anschlossen.

Mit Flugblättern und Broschüren versuchten die Gruppen, die Bevölkerung über das verbrecherische NS-Regime aufzuklären. Ihre Widerstandsarbeit bestand auch im Verstecken von Untergetauchten und dem Schleusen von KZ-Flüchtlingen über die Grenzen. Sie unterstützen die Inhaftierten und halfen ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen. Ein Teil der Gruppe gab wichtige Informationen an die Sowjetunion weiter, um so den Krieg zu verkürzen. Nur in der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches sahen sie die Möglichkeit, eine neue politische Ordnung aufzubauen.

Harro Schulze-Boysen und seine Frau Libertas

Die Diffamierung der Widerstandsorganisation um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen in der alten BRD war ungerechtfertigt und Ausdruck der Kommunistenhatz des Kalten Krieges. Die Vereinnahmung der Gruppe als "kommunistisch geführt" dagegen durch die DDR-Historiografie wird in keiner Weise ihrer heterogenen Zusammensetzung gerecht.

Eine nähere Beschäftigung mit den Biografien dieser WiderstandskämpferInnen könnte verhindern, dass sie nun unkritisch als linke Ikonen abgefeiert werden. Bei allem Respekt vor ihrem politischen Kampf, müssten die biografischen Widersprüche und Brüche - gerade bei Harnack und Schulze-Boysen (Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Elite im NS, politische Wurzeln in nationalrevolutionären Männerbünden, Rekurs auf Ernst Jünger und Oswalds Spengler) näher betrachtet werden.

Nützlich könnte hierbei die Lektüre des 1994 erschienen Buches "Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" sein. Herausgegeben von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand bricht dieser Band mit den oben beschrieben Stereotypen und verwendet auch erst kürzlich freigegebene Quellen aus russischen Archiven.

Wer sich für die Lebensgeschichte der kommunistischen Mitglieder der "Roten Kapelle" Hans und Hilde Coppi interessiert, sollte sich den Roman "... damit Du weiterlebst" der sozialistischen Schriftstellerin Elfriede Brüning kaufen. Dieser auch für Jugendliche geeignete Roman erschien in der DDR in einer Auflage von über 150.000 Exemplaren. Der Kieler Verlag agimos, dessen Programm allen LinX-LeserInnen ohnehin wärmstens empfohlen wird, hat sich vor zwei Jahren um eine auch ästhetisch ansprechende Neuausgabe verdient gemacht.

(cs)