Herr, send' Hirn!

Meinungspluralismus - mega-out!

Zu den Unnötigkeiten modernen Lebens gehört das Erstellen sogenannter In/Out-Listen. Als wäre es ein zwanghafter Reflex, fühlt sich so ziemlich jeder, der die Kulturtechnik Schreiben halbwegs beherrscht, gegen Ende eines Zeitabschnittes, sei es eine Woche oder ein Jahrtausend, bemüßigt, dem Rest der Menschheit zu erklären, was nun gerade statthaft und trendy respektive missfits und altbacken ist. Auf Grundlage irgendwelcher nicht nachvollziehbarer Kriterien wird dann festgestellt, daß Augenbrauenpiercing gerade mega-out, dafür freundliches Grüßen am Arbeitsplatz mega-in sei. Keine Frage - für fortschrittliche Menschen, die ohnehin wissen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich die Dinge wirklich entwickeln, ist es sonnenklar: Von solcherlei Unfug ist nichts zu halten.

Konsequenterweise sollte daher aus den gleichen Gründen die Kür von Unwörtern abgelehnt werden. Ein Schritt der nicht leicht gemacht wird. Denn - Hand aufs Herz - "Schnäppchenjäger", "Nähe zulassen" und "Ich sag jetzt mal 'was ganz Ketzerisches" zu den Unworten des Junis '92 zu erheben, hat etwas bestechend Objektives, ja Wahrhaftiges, förmlich außerhalb jeder Kritik Stehendes. Wer möchte da nicht den selbsternannten Unwort-Zensoren zustimmen. Daher exklusiv für die kleine Gemeinde der Herr-send'-Hirn-Kolumne-LeserInnen eines meiner persönlichen Top-Unworte/-wörter der letzten 15 Jahre: Meinungspluralismus. Erklärt sei dies an folgendem kleinen Beispiel:

Das Kieler Lokalblatt KN läßt einen ihrer Kommentatoren rhetorisch fragen, ob es denn "nicht längst überfällig" sei, "die Mauer des Schweigens und Vertuschens zu durchbrechen, auch mal deutliche Worte zu sagen und Gegenposition zu beziehen". Was den Mann umtreibt, ist die "Ausländerproblematik", in der sich seiner Meinung nach, "die Tendenz entwickelt" habe, "möglichst nichts, und wenn doch, nur Positives zu sagen". Der Job dieses Mannes, der da so jammert: Als bad guy des KN-Kommentars, die KN für xenophob Veranlagte jeglicher Couleur unverzichtbar zu machen.

Und für dieses Ziel zieht er alle Register. So wirft er larmoyant und neumalklug zugleich ein, daß auch die Deutschen "durchaus ein Recht auf Wahrung ihrer Identität haben" und beschwört die "gesellschaftlichen Veränderungen", die "der massive Ausländerzuzug nach Deutschland" bewirken soll. Die Unterschriftenaktion der CDU/CSU hält er offensichtlich für zu lasch, um den "insbesondere grünen Reformeifer" zu stoppen. Aber - da lacht das Herz des KN-Kommentators - "die Union hat wenigstens das Ausländer-Tabu gebrochen und den Einstieg in eine neue Diskussion gewagt. Das ist schon eine Menge wert". Es ist nicht schwer, sich auszumalen, daß dieser Tabubruch, diese neue Diskussion, mindestens in Richtung Rostock-Lichtenhagen geht.

Kurz: Wer soetwas schreibt, schreibt rassistischen Dreck, und ein Blatt, das diesen Dreck abdruckt, weiß genau, welche dumpfen Ressentiments es damit bedient. Und dabei ist es sowas von egal, wenn dasselbe Blatt tagsdarauf etwas moderatere Kommentare zum gleichen Thema veröffentlicht oder auch mal eine intelligente Konzertkritik über "subkulturelle" Highlights in der Alten Meierei oder dem Aubrook durchgehen läßt: Dreck bleibt Dreck, Hetze bleibt Hetze.

(C.S.)