Herr, send' Hirn!

Meine Fresse, selbst wenn man von seinen gutwilligen Mitmenschen so etwas Exotisches wie politisches Bewusstsein gar nicht mehr erwartet, ein kleines bisschen Takt, Feingefühl Pietät und semantisches Basiswissen müsste doch wohl noch drin sein. Zumindest im Zusammenhang mit NS-Terror, Judenvernichtung und dem Erinnern und Gedenken daran. Vor 20 Jahren hatte so etwas jeder sozial-liberal denkende Studienrat drauf. Tja, müsste ... Die Wirklichkeit kommt anders daher. Zum Beispiel in Form eines Fotos auf dem eine große Torte zu sehen ist, die mit dem Zuckergussschriftzug "Shoah" - das hebräische Wort für den Mord an sechs Millionen Juden - verziert ist. Vor dieser Torte prosten sich der amerikanische Regisseur Steven Spielberg und ein Mitarbeiter der "Shoah Visual History Foundation" zu. Da versteht es sich von selbst, dass eine Mitarbeiterin dieses von Spielberg initiierten Projekts zur Sammlung von Video-Interviews mit 50.000 Überlebenden des Holocaust einem Journalisten die Auskunft gibt, sie habe ihren alten Beruf aufgegeben, um "bei der Shoah mitzuarbeiten". So peinlich diese sprachlichen Gedankenlosigkeiten auch sind - der Kritik an Spielberg, dem Amerikaner mit jüdischer Herkunft, dessen Projekt zumindest vom Ansatz her zu begrüßen ist, sind Grenzen gesetzt.

Ganz und gar nicht zu entschuldigen ist dagegen das, was zwei deutsche JournalistInnen vermutlich mangels Talent auf der Suche nach einer originellen Pointe verbrochen haben:

Zum Kotzen I: Der an sich gar nicht uninteressante Artikel eines Stern-Autors über reiche verklemmte Westdeutsche, die in ostdeutsche FKK-Nischen an den Stränden Mecklenburg-Vorpommern einfallen und sich über Zonis aufregen, die es wagen, auch ohne Waschbrettbauch nackt herumzulaufen. Um auf Biegen und Brechen noch schnell eine kleine Sprachspielerei unterzubringen, schloss der Autor mit der Bemerkung, die Ostdeutschen seien gegen die arroganten Westler gewappnet. Als Grund führte der Schreiberling, der gegen Geld wahrscheinlich alles schreiben würde, an, die Ex-DDR-Bürger hätten ja schließlich im Rahmen ihrer antifaschistischen Erziehung Bruno Apitz' Roman "Nackt unter Wölfen" gelesen - "Nackt unter Wölfen" spielt im KZ Buchenwald!

Zum Kotzen II: Eine dieser durch und durch überflüssigen Brigitte-Kolumnen, die einmal mehr zeigte, daß 4.000 Zeichen doch eine sehr hohe Hürde darstellen können für jemanden, der nichts zu sagen hat. Diesmal ging es um das Problem von Müttern, manchmal angesichts immens vieler Aufgaben und Pflichten wichtige Termine zu vergessen. Mal abgesehen davon, dass diese Thematik eher Anlass zu einer Kritik der Verhältnisse als zu launigen Kolumnen geben sollte, der Versuch diesen holprigen Langweiler mit der Überschrift "Ein Mahnmal gegen das Vergessen" aufzupeppen, ist schon reichlich daneben.

Manche Menschen machen wirklich genau das, was man von ihnen auch nicht anders erwartet. Dieser Kreis karrierebesessener junger Spezialdemokraten, die unter dem albernen Label "Youngsters" firmieren, zum Beispiel. Sie geben - der Name soll Programm sein - demnächst die Zeitung "Die Berliner Republik" heraus, um einmal mehr die Welt wissen zu lassen, dass sie mit der dank der Alliierten außenpolitisch gezügelten Bonner Republik, die ja aus Gründen der Systemkonkurrrenz soziale Absicherung noch nicht zur Disposition stellen konnte, nix mehr zu schaffen haben möchten. Dabei - Hand aufs Herz, Hans-Peter Bartels - um den modernen, zeitgeistigen, arschgeigengemäßen Charakter eures Vereins noch mehr zu unterstreichen, hätte da nicht der moderne, zeitgeistige, arschgeigengemäße Titel "Generation Berlin" doch noch etwas besser gepasst?

(cs)