KERNspalte

Viele haben es wahrscheinlich der Tageszeitung entnommen: Am 16.9. gab es im AKW Brunsbüttel einen relativ schweren Zwischenfall, bei dem 7 Tonnen leicht radioaktiver Dampf über den Abluftkamin auch an die Umgebung abgegeben wurden. Bei einer Routineuntersuchung zerbarst eine Druckleitung spontan und ließ sich erst nach 8 Minuten absperren. Kein Grund, den Reaktor abzuschalten, zumal, wie das Energieministerium in Kiel mitteilte, Grenzwerte mal wieder nicht überschritten worden seien. (Bei einer Routineuntersuchung meines Gartenschlauches platzt dieser auch nicht spontan, und ich brauche, falls es doch passiert, nicht 8 Minuten, um das Wasser abzuschalten, aber mein Gartenschlauch wird ja auch nicht regelmäßig von TÜV-Ingenieuren geprüft, ist nicht Bestandteil einer Atomanlage und sein Inhalt so harmlos wie Wasser!). Vielleicht ist es keine Parodie, die Szene nachzuspielen, indem ein Ingenieur vorsichtig an einem Rohr wackelt, das dann gleich abreißt, woraufhin fieberhaft nach einem großen Handrad gesucht wird, mit dem das Rohr abgesperrt werden kann, aber es stehen gerade zahllose Pizza-Kartons davor. Als man sich endlich durchgewühlt hat, ist das Handrad verrostet, und jemand muss erstmal Karamba-Rostlöser holen, aber der ist in einem abgeschlossenen Spind, und der Hausmeister ist mit dem Schlüssel eben weg gefahren ...

Am 17.9. haben mehrere Mitglieder von ROBIN WOOD das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter besetzt und gegen das derzeit laufende Genehmigungsverfahren für das CASTOR-Zwischenlager am AKW Lingen protestiert. Zwei Kletterer erklommen die Fassade des Bundesamtes und entrollten ein 6 mal 10 Meter großes Transparent mit der Aufschrift "Auch dezentral ist katastrophal. Stopp CASTOR-Halle in Lingen! Atomausstieg sofort!" Vor dem Eingang des BfS stellten die ROBIN WOOD-Aktivisten ein CASTOR-Modell und mehrere Atomfässer auf. Leider erwähnten sie in ihrer Presseerklärung den Aktionstag der Anti-AKW-Bewegung am darauf folgenden Wochenende mit keinem Wort. Das allein kann aber nicht der Grund gewesen sein, warum sich nur etwa 300 AtomkraftgegnerInnen am 25.9. vor dem Kühlturm des AKW Lingen einfanden, zusammen mit dem Castor-Modell und einer Ladung Ytong-Steine. Mit letzteren wurde der Nebeneingang zu gemauert, die Ordnungsmacht ließ den Kindern ihren Spaß, schließlich war deutlich erkennbar, dass alle Aktionen symbolisch bleiben würden. Francis von der BI Lüchow-Dannenberg erheiterte die DemonstrantInnen mit einer Parodie von einem Konsensvertrag, wonach die Grünen grundsätzlich mit 35 Jahren Restlaufzeit nur einverstanden sind, wenn nicht immer der Gleiche den Atommüll runterbringt und wenn Frauen- und Behindertenparkplätze auf dem Werksgelände ausgewiesen werden. Wenig lustig dagegen der Anlaß des Stelldicheins: Auf dem Werksgelände, das ursprünglich mal für 4 Reaktorblöcke gedacht war, wo nun nur einer steht, ist genug Platz, um eine Zwischenlagerhalle zu errichten, die abgebrannte Brennelemente aus über 100 Jahren Reaktorbetrieb aufnehmen soll, also sicher nicht nur für den Eigenbedarf geplant ist. Das grüne Umweltministerium hatte, wie berichtet, zum Bau dieser Zwischenlager geradezu aufgefordert, offenbar mit dem Hintergedanken, dadurch möglichst viele der Brennelement-Transporte zu vermeiden, an denen sich die Presse, die Polizei und Zehntausende AKW-GegnerInnen dann abarbeiten. Einwendungen gegen das Genehmigungsverfahren können noch erhoben werden, die öffentliche Anhörung, bei der die Einwender dann nach demokratischem Recht ignoriert werden, soll noch im November/Dezember stattfinden, und dann wird zweifellos, wie angekündigt, genehmigt. Derweil bestätigt sich in Wahlen wieder, dass die Absicherung der Restlaufzeiten von Atomkraftwerken die Betreiber nicht unbedingt scharenweise ins grüne Wählerlager treibt, wo doch jetzt Platz wäre, da die Naturschützer es schon verlassen haben (s.u.).

Das ist gemein, findet die energiepolitische Sprecherin der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Michaele Hustedt: "Die Grünen geben sehr viel, sie helfen bei der Entsorgungsfrage mit Blick auf die Zwischenlager und die Probleme bei den Transporten von radioaktivem Abfall. Wir wollen zur Beruhigung der Situation beitragen, zu mehr Sicherheit bei der Entsorgungsregelung und einem ruhigen Betrieb der Kernkraftwerke in den Restlaufzeiten. Dafür fordern die Grünen, dass der Ausstieg noch in dieser Legislaturperiode beginnen muss."

Na gut, ein bisschen fordern kann man sie ja lassen. Vielleicht überzeugt die Atommanager ja ein Papier, das im Ministerium von Herrn Trittin entstanden ist, wonach der im Koalitionsvertrag schon abgeschriebene Schacht Konrad nun doch als Endlager genehmigt werden soll, damit der Bund nicht die 1,4 Mrd. DM zurück zahlen muss, die bisher von Betreiberseite in das Projekt geflossen sind. Bis 30.9. hat das BMU noch Zeit, seine Position der des Wirtschaftsministeriums anzugleichen, sonst wird sowieso gemacht, was die Konzerne wollen, die sich in der Haltung des Wirtschaftsministers wiederum gut vertreten sehen.

Wegen Entsorgungsengpässen wird kein Kernkraftwerk stillgelegt, diesem Leitspruch vom Kanzler beeilt sich Jürgen Trittin nachzukommen, insbesondere auf Wunsch der Werkleitungen von Biblis, Neckarwestheim und Stade. Die Auflagen für die Genehmigung neuer Atomtransporte seien fast alle erfüllt. Er will im Januar 2000 mindestens einen Transport von Neckarwestheim nach Ahaus genehmigen. Neckarwestheim hat es besonders nötig, da nicht nur die Abklingbecken voll sind, sondern sogar schon der Antrag gestellt wurde, die überzähligen abgebrannten BE in CASTOR-Behältern auf einem Abstellplatz des Betriebsgeländes zwischenzulagern. Möglicherweise noch eiliger ist ein Transport von Stade, da das dortige AKW sonst schon im Februar heruntergefahren werden muss, dazu sagte Trittin aber nichts.

Die Umweltschutzverbände und Initiativen bereiten sich auf diesen Tag gemeinsam vor. Am 9.9. verabredeten Vertreter der BI Lüchow-Dannenberg, AG Schacht Konrad, X-1000-mal quer (Jochen Stay) und NABU-Präsident Jochen Flasbarth ein gemeinsames Vorgehen für den Fall, dass bei den Konsensverhandlungen kein zügiger Atomausstieg vereinbart werde. Natürlich nur in diesem Fall will auch der Naturschutzbund den Sofortausstieg sogar durch gesellschaftlichen Druck herbeiführen. Tatsächlich bietet sich erstmals die Möglichkeit, Reaktoren vom Netz zu blockieren, allerdings müssen sich dann mehr Leute als in Lingen einfinden, denn den Schritt von der symbolischen zur echten Blockade werden die Olivgrünen bestimmt nicht so humorvoll hinnehmen wie die Ytong-Mauer dort.

(BG)