Hörn-Wüste:

“Das kam völlig unerwartet.”

Ganz schnell musste seinerzeit der Bau des Ision-Gebäudes an der Hörn beginnen. Doch das Gelände mit der davor liegenden Treppe ist gerade noch fertig geworden, da war das namensgebende new-Economy-Unternehmen pleite. So weit hat es der Schmidt-Klotz ein paar hundert Meter weiter am  Gansel-  Gedächtnis-Becken nicht geschafft. Wuchtig ragt seine Bauruine in den grauen Herbsthimmel, die Container der Baufirmen sind letzt abgeholt. LinX sprach über die Krise der Überflieger und die Kieler Ansiedlungspolitik mit dem ver.di- Fachrefernten für Informationstechnologie und Datenverarbeitung Heino Rahmstorf.  (wop)

LinX: In Kiel hat man bis vor kurzem große Hoffnungen auf die IT- und Telekommbranche gesetzt und die halbe Innenstadt für Neuansiedlung umgemodelt. Doch nach den jüngsten Pleiten bei Ision und Mobilkom gab es einen starken Dämpfer. Was ist falsch gelaufen?

Heino Rahnmstorf (H.R:): Der Niedergang liegt weder an Kiel noch an den Betrieben, sondern an der allgemeinen Schwäche der Branche. Wir haben zur Zeit eine Situation, wie wir sie seit zehn Jahren nicht erlebt haben.

LinX: An der Hörn sind etliche Millionen aus öffentlichen Kassen geflossen. Wurden die nicht etwas leichtfertig in den Sand gesetzt?

H.R.: Nein, das war notwendig. Seinerzeit herrschte am Aktienmarkt allgemein eine erhebliche Erwartungshaltung. Es war einfach nicht absehbar, daß in Folge des 11. September und auch der jetzigen Konjunkturschwäche ein derartiger Einbruch erfolgt. Insofern ist da niemandem ein Vorwurf zu machen. Das kam völlig unerwartet.

LinX: Es hat seinerzeit aber durchaus Stimmen gegeben, die eine öffentliche Diskussion über die Gestaltung der Hörn gefordert haben, die den Oberbürgermeister Norbert Gansel kritisiert haben, der diese verweigert hat, weil die Investoren nicht verschreckt werden sollten.

H.R.: Das ist kein Führungsstil, das gebe ich zu. Nur was die wirtschaftliche Situation an geht, hat es auch noch andere Stimmen gegeben, die nach noch mehr Förderung gerufen haben. Wenn Sie sich diesen enormen Aufschwung ansehen, wo alle mitgelaufen sind, wirklich alle.

LinX: Sie meinen nicht, dass man mit den öffentlichen Investitionen auch in einer solchen Hysterie etwas vorsichtiger hätte umgehen müssen?

H.R.: Ich will nicht alles entschuldigen, was in Kiel an Förderung gelaufen ist. Im Nachhinein, angesichts der konkreten Erfahrungen, ist es leicht zu kritisieren. Wenn ich zwei Jahre zurückdenke, dann war es damals eine zwingende Erfordernis, Betriebe der New Economy zu fördern und hier aufzubauen. Heute ist die Situation anders. Die ganze Branche strauchelt. Viele junge Betriebe haben für die Krise nicht genug Fett auf den Rippen. Wäre das absehbar gewesen, wäre es in der Tat verwerflich gewesen, in diesem Bereich öffentliche Mittel rein zu stecken. Aber aus der damaligen Sicht heraus, vermag ich wirklich keinen Vorwurf abzuleiten. Im Gegenteil. Hätte es nie einen 11. September und nie einen Konjunktureinbruch gegeben, dann wäre die Branche der Newcomer überhaupt. Das kam alles sehr schnell und sehr überraschend.

LinX: Dass die Ökonomie sich in Konjunkturzyklen entwickelt, ist doch keine besonders neue Erkenntnis.

H.R.: Nein. Aber lassen Sie mich wirklich unabhängig von diesen Betrieben ein Beispiel nennen. Bisher war es wirklich immer so. Wenn die Konjunktur ein Stück abschwächte, dann boomte das Outsourcing-Geschäft, dann wurde verlagert. Heute ist das anders. Auch das Outsourcing-Geschäft bricht weg. Nehmen Sie zum Beispiel den Konzern EDS. Dort ist Anfang letzter Woche der Aktienkurs innerhalb von zwei Tagen um 70 Prozent abgesunken. Ein internationaler Konzern! Etwas völlig Untypisches. Das hat es bisher nicht gegeben.

LinX: Wie geht es denn nun mit dem Mulit-Media-Campus weiter, dessen Hauptsponsor Gerhard Schmidt derzeit etwas klamm ist?

H.R.: Wenn ich das wüsste. Die wirtschaftliche Unsicherheit wird, nehme ich an, politisch nicht ganz ohne Konsequenzen bleiben. Ich befürchte, es sieht nicht rosig aus.

LinX: Hat die Krise des Neuen Marktes bei den Beschäftigten, die bisher nicht gerade zahlreich in die Gewerkschaften gestürmt sind, zu einem Umdenken geführt?

H.R.: Das ist unterschiedlich. Wir haben einen hohen Zuspruch. Viele kommen zu uns und wollen Betriebsräte gründen. Auf der anderen Seite gibt es eine erhebliche Angst um den Arbeitsplatz. IT-Fachkräfte haben inzwischen Probleme, einen Job zu finden. Und in dieser Situation ist die Bereitschaft, kollektive Interessenvertretung zu praktizieren, wieder im Abnehmen. Es herrscht viel Angst unter den Kolleginnen und Kollegen.

Das Interview entnahmen wir der jungen Welt.